Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Stellvertretung

Fall zum Tod des Auftraggebers und zur Fiktion des Fortbestehens, § 674 BGB

Fall zum Tod des Auftraggebers und zur Fiktion des Fortbestehens, § 674 BGB

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Rentnerin R bittet ihre Nachbarin N, eine Pflegeperson für sie einzustellen und erteilt ihr eine entsprechende Vollmacht. Kurz darauf verstirbt R. Weil N hiervon nichts mitbekommen hat, stellt sie Pfleger P in Rs Namen ein.

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Einordnung des Falls

Fall zum Tod des Auftraggebers und zur Fiktion des Fortbestehens, § 674 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Vollmacht, die R der N erteilt hat, ist durch Rs Tod erloschen.

Genau, so ist das!

Nach § 168 S. 1 BGB bestimmt sich das Erlöschen der Vollmacht nach dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis (Grundverhältnis). Ohne ausdrückliche Regelung erlischt sie im Zweifel zusammen mit dem Grundverhältnis. Ob ein Auftrag durch den Tod des Auftraggebers erlischt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Nur im Zweifel ist gemäß § 672 S. 1 BGB vom Fortbestehen auszugehen. Eine Auslegung des Auftrags, den R der N erteilt hat, ergibt, dass dieser nur bestehen soll, solange die R noch lebt, denn danach ist die Einstellung eines Pflegers nicht mehr notwendig. Mit dem Auftrag ist auch die dazugehörige Vollmacht erloschen.
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2. Für N galten der Auftrag und die dazugehörige Vollmacht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit P als fortbestehend.

Ja, in der Tat!

Erlischt der Auftrag in anderer Weise als durch Widerruf, so gilt er zugunsten des Beauftragten gleichwohl als fortbestehend, bis der Beauftragte von dem Erlöschen Kenntnis erlangt oder das Erlöschen kennen muss (§ 674 BGB). Da sich das Erlöschen der Vollmacht gemäß § 168 S. 1 BGB nach dem Grundverhältnis richtet, gilt damit auch die erloschene Vollmacht als fortbestehend. Der Auftrag und die dazugehörige Vollmacht sind durch den Tod von R erloschen. Sie galten jedoch im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen N und P als fortbestehend, da N zu diesem Zeitpunkt nichts vom Tod der R wusste. Für den Beauftragten bedeutet dies, dass er trotz des Erlöschens der Vollmacht Ansprüche aus dem Auftragsverhältnis gegen den Auftraggeber geltend machen kann.

3. Der Vertrag, den N in Rs Namen geschlossen hat, ist wirksam und wirkt für und gegen die Erben von R (§ 1922 Abs. 1 BGB).

Ja!

Soweit nach § 674 BGB oder § 729 BGB a.F. (seit 01.01.2024: § 736b Abs. 2 BGB n.F.) die erloschene Vollmacht eines Beauftragten oder eines geschäftsführenden Gesellschafters als fortbestehend gilt, wirkt sie nicht zugunsten eines Dritten, der bei der Vornahme eines Rechtsgeschäfts das Erlöschen kennt oder kennen muss (§ 169 BGB). Sie wirkt jedoch zugunsten eines gutgläubigen Dritten. Da P zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit N nichts vom Tod der R und damit vom Erlöschen der Vollmacht wusste, wirkt die Vollmacht zu seinen Gunsten fort. Zwischen ihm und den Erben von R ist ein wirksamer Vertrag zustande gekommen. Weiß der Vertreter dagegen vom Erlöschen, so finden die §§ 177, 179 BGB Anwendung.

4. Auch wenn der Vertragspartner bösgläubig im Sinne des § 169 BGB ist, scheidet eine Haftung nach § 179 BGB gegen den Vertreter aus.

Genau, so ist das!

Wer als Vertreter einen Vertrag geschlossen hat, ist, sofern er nicht seine Vertretungsmacht nachweist, dem anderen Teil nach dessen Wahl zur Erfüllung oder zum Schadensersatz verpflichtet, wenn der Vertretene die Genehmigung des Vertrags verweigert (§ 179 Abs. 1 BGB). Der Vertreter haftet nicht, wenn der andere Teil den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder kennen musste (§ 179 Abs. 3 S. 1 BGB). Wenn der Vertragspartner nach § 169 BGB das Erlöschen der Vollmacht kennt oder kennen muss, kennt er zugleich den Mangel der Vertretungsmacht nach § 179 Abs. 3 S.1 BGB. Eine Haftung des Vertreters nach § 179 BGB scheidet daher aus.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Burumar🐸

Burumar🐸

23.4.2022, 15:30:01

672 S1 besagt doch, dass im Zweifel gerade nicht das Erlöschen Folge sein soll. Im Normalfall soll das Fortbestehen also Folge sein. Den Erklärungstext hier verstehe ich anders als die Norm.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.4.2022, 13:16:56

Hallo Burumar, hier muss man sauber zwischen der Vollmacht und dem Grundverhältnis differenzieren. Die Vollmacht erlischt grundsätzlich zusammen mit dem Grundverhältnis, wenn nichts anderes geregelt ist. Dies ergibt sich aus § 168 S. 1 BGB. Im zweiten Schritt ist dann zu überlegen, wann das Grundverhältnis erlischt. Hier gilt nun beim Auftrag § 672 S. 1 BGB. Auch diese Norm ist letztlich dispositiv, d.h. die Parteivereinbarung hat Vorrang. Diese ist also zunächst auszulegen. Kommt man dabei nicht weiter, so gilt der Auftrag im Zweifel als fortbestehend und damit im Ergebnis auch die daran gekoppelte Vollmacht. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Arturio

Arturio

6.8.2024, 17:02:50

Ja aber dann ist die Aufgabe ja völlig falsch aufgebaut. Die Vollmacht erlischt zwar mit dem zugrundeliegenden Grundverhältnis, aber eben regelmäßig NICHT mit dem Tod sondern muss ggfs. durch Auslegung ermittelt werden (ggfs. transmortale Vollmacht). Warum ihr hier das Erlöschen der Vollmacht zuerst bejaht und dann durch Auslegung prüft, ob diese doch bestehen könnte, macht keinen Sinn. Das zugrundeliegende Grundverhältnis ist ja eben NICHT erloschen und besteht im ZWEIFEL fort siehe §§ 672, 675 BGB (Stark verkürzt) Obersatz: "Vollmacht könnte erlöschen sein" Prüfungspunkt: "Dafür müsste das zugrundeliegende Grundverhältnis erloschen sein" Prüfungspunkt 2: "Im Zweifel erlischt der Auftrag NICHT mit dem Tod des Auftraggebers, § 672 I BGB" Ergo: Vollmacht besteht. Und ihr macht so: 1. Vollmacht erloschen, ja, weil Grundverhältnis nicht gegeben 2. Könnte Grundverhältnis doch gegeben sein? Also kp. meiner Meinung nach hat irgend ein Praktikant hat hier Urteils mit Gutachtenstil und auch noch 672 mit 673 verwechselt. Auch die Erklärung von Lukas Mengestu macht keinen Sinn, weil, wie schon gesagt, man muss ja zuerst prüfen, ob das zugrundeliegende Grundverhältnis erloschen ist. Das ergibt sich eben nicht automatisch mit dem Tod, da § 168 I BGB eben hierzu keine Regelung enthält.

QUAR

Quarklo

17.8.2024, 21:31:00

Ich denke der Aufbau wurde aus didaktischen Gründen so gewählt. Zudem besteht tatsächlich keine Vollmacht. Das Grundverhältnis ist, wie dargestellt, erloschen (und somit auch die Vollmacht, § 168). Zugunsten des Beauftragten wird das Fortbestehen jedoch FINGIERT, und damit auch das Fortbestehen der Vollmacht

Peter im Pech

Peter im Pech

20.11.2023, 07:07:07

Der falsus procurator kann doch noch nur bei Kenntnis seiner fehlenden Vertretungsmacht zum Schadensersatz verpflichtet werden (179 Abs. 2). Warum wird hier von Fahrlässigkeit ebenfalls davon ausgegangen (kennen müssen)?

Peter im Pech

Peter im Pech

20.11.2023, 07:08:35

(Bei der Vertiefung zur Anwendung der §§ 177, 179)

LELEE

Leo Lee

25.11.2023, 13:57:39

Hallo Peter im Pech, Vielen Dank für den Hinweis! In der Tat muss der Vertreter für eine Haftung nur seine fehlende Vertretungsmacht kennen. Das mit dem Kennenmüssen bezieht sich hingegen auf § 179 III, der allerdings von dem anderen Teil ausgeht :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

AN

Antonia

21.8.2024, 15:23:52

Ist § 169 BGB nach der MoPeG Reform nun fehlerhaft? Es wird auf § 729 BGB verwiesen, diese Norm enthält aber nicht mehr die Fiktion des Fortbestehens der Geschäftsführungsbefugnis, diese ist jetzt in § 736b zu finden, oder sehe ich das falsch?

Tobias Krapp

Tobias Krapp

23.8.2024, 17:21:22

Hallo Antonia, deine Anmerkung ist vollkommen korrekt, der Verweis passt nach dem MoPeG nicht mehr. Der nunmehrige § 729 BGB regelt die Auflösungsgründe, trifft aber keine Aussage zum Fortbestand der Geschäftsführungsbefugnis im Fall der Auflösung. Diese ist nun in § 736b II BGB zu finden. § 169 BGB ist nunmehr so zu lesen, dass er auf den neuen § 736b II BGB Bezug nimmt. Die gebotene redaktionelle Anpassung von § 169 BGB ist vom Gesetzgeber schlicht übersehen worden. Du hast also ein schärferes Auge als der Gesetzgeber 😉 Ich habe den Verweis im Aufgabentext angepasst. Danke, dass du uns dabei hilfst, Jurafuchs bis zum letzten Normverweis besser zu machen :) Viele Grüße - für das Jurafuchsteam – Tobias

AN

Antonia

23.8.2024, 17:30:15

Vielen Dank für die schnelle Antwort Tobias!☺️ Das Feedback und die Hilfe von der Jurafuchs Community und euch Moderatoren macht Jurafuchs wirklich besonders und hebt es von anderen Lernplattformen ab, macht weiter so👍🏼

Tobias Krapp

Tobias Krapp

23.8.2024, 17:53:09

Vielen Dank Antonia, das zu lesen freut uns natürlich sehr! 😊 Ich hoffe du hast weiterhin eine gute und produktive Zeit hier auf Jurafuchs mit regem Austausch mit der Community ☺️ Viele Grüße!

AN

Antonia

24.8.2024, 17:07:20

Danke dir Tobias!😊


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