Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Versuch und Rücktritt

Verfolger Fall / Abgrenzung Wahndelikt und untauglicher Versuch BGHSt 11, 268

Verfolger Fall / Abgrenzung Wahndelikt und untauglicher Versuch BGHSt 11, 268

14. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A und B begehen gemeinsam einen Raub. Auf der Flucht verwechselt A den B mit einem Verfolger und schießt mit Tötungsvorsatz auf diesen, wie es vorher gemeinsam abgesprochen war. Wie macht sich B durch den Schuss des A strafbar?

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Verfolger Fall / Abgrenzung Wahndelikt und untauglicher Versuch BGHSt 11, 268

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch eines Totschlages (§ 212 Abs. 1 StGB) ist strafbar.

Ja!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen, da die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe 5 Jahre beträgt (§§ 212 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB).
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2. B hat „Tatentschluss“ hinsichtlich des Totschlages.

Genau, so ist das!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. B hat Vorsatz, mögliche Verfolger zu töten. B hat auch Vorsatz den Totschlag mittäterschaftlich zu begehen. Der Schuss auf Verfolger wurde auch vom Tatplan umfasst. Auch ein error in persona ist dabei voll zurechenbar. Hätte A auf eine andere Person geschossen, die er mit einem Verfolger verwechselt hätte, wäre der Totschlag ebenfalls voll zurechenbar. Daher liegt nach der Rechtsprechung ein Versuch vor, der für B allerdings untauglich ist. Auch bei Eintritt des Todes hätte B sich nur wegen untauglichen Versuchs strafbar gemacht, wobei eine Strafe dann in jedem Fall ausscheidet. Etwas andere wäre dann der Fall, wenn B bereits wüsste, dass er später erschossen werden würde.

3. B hat nach der Rechtsprechung „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“.

Ja, in der Tat!

Das unmittelbare Ansetzen (§ 22 StGB) liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Ein unmittelbares Ansetzen liegt im Rahmen der Mittäterschaft dann vor, wenn einer der Beteiligten unmittelbar ansetzt, da § 25 Abs. 2 StGB eine echte Zurechnungsnorm darstellt. A hat mit dem Schuss auf B unmittelbar angesetzt.

4. B handelte rechtswidrig und schuldhaft.

Ja!

Die Tathandlung war rechtswidrig und schuldhaft.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

melb1995

melb1995

20.6.2022, 18:42:39

Ich verstehe nicht ganz wieso nur wegen Versuch bestraft wird wenn der B sterben würde :) kann das vielleicht nochmal erklärt werden ?:) LG

Skywalker

Skywalker

29.6.2022, 16:47:56

Das Opfer bei Totschlag und Mord muss nach h.M. eine andere Person als der Täter sein. Daher kann der

Tat

bestand des Totschlag auch im Falle von B's Tot nicht vollendet werden, weil B kein taugliches

Tat

objekt ist. Im übrigen müsste auch die (eigene) versuchte Selbsttötung grds. nicht unter den Totschlag zu subsumieren sein. Hier wird es nur durch die spezielle Kostelation möglich, dass B Mittäter ist und A einem

Tat

objektsirrtum unterliegt. Allerdings wundert mich wieso das Wissen von B er würde später erschossen werden daran etwas ändern soll...

melb1995

melb1995

6.7.2022, 17:18:34

Danke dir für die Antwort, jetzt habe ich es verstanden :)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

7.7.2022, 11:08:57

Hallo Skywalker, hallo melb

199

5, um noch die letzte Frage zu beantworten, warum es einen Unterschied macht, wenn B wüsste, es werde auf ihn selber geschossen, muss man sich die Konstelllation vor Augen führen. B macht sich des mittäterschaftlichen versuchten Totschlags strafbar, weil er

Tat

entschluss hinsichtlich des Schusses auf die Verfolger hat - hier unterliegt er dem letztendlich strafbarkeitsbegründendem Irrtum. Zudem kann ihm die

Tat

handlung des A zugerechnet werden, sodass auch wenn für ihn untauglich (mangels "anderer Person") ein Versuch vorliegt. Hat er aber positive Kenntnis davon, dass A auf ihn selber schießen würde fehlt es an dem Irrtum, der den

Tat

entschluss bezüglich der Tötung einer "anderen Person" begründet, da er weiß dass auf ihn selber geschossen werden soll. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DAV

david1234

29.3.2024, 11:46:29

Hierzu nochmal eine Frage: der B irrt doch nicht, sondern der schießende A, er irrt über B, es wird die Handlung und der

error in Persona

des A dem B zugerechnet. Wenn jetzt wüsste, dass auf ihn geschossen wird, würde es doch trotzdem zugerechnet werden, da A irrt und handelt oder wäre das dann ein Exzess?

EB

Elias Von der Brelie

31.5.2023, 12:25:10

Ich bin mal wieder ein wenig verwirrt. Ich dachte bis jetzt, dass ein

untauglicher Versuch

strafbar sein müsste, da in den Fragen "etwas anderes ergibt sich daraus, dass es sich um einen untauglichen Versuch handelt" stets verneint wird. Aber hier wird gesagt, dass ein

untauglicher Versuch

in jedem Fall straflos ist. Handelt es sich hier um einen

Einzelfall

, oder habe ich hier etwas durcheinander gebracht?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.6.2023, 13:29:46

Hallo Elias, vielen Dank noch einmal für Deine Nachfrage! Der Fall ist in der

Tat

tricky! Der Hinweis bezieht sich nicht darauf, dass der untaugliche Versuch strafbar ist. Dieser ist - wie Du völlig richtig sagst - grundsätzlich strafbar. Eine Strafbarkeit wegen vollendeter mittäterschaftlichem Mordes an sich selbst scheidet aber aus, da die Selbsttötung nicht strafbar ist. Zudem stünde der Strafverfolgung mit dem Tod des B natürlich auch ein Strafverfolgungshindernis entgegen, da sich tote Personen schlecht auf die Anklagebank bringen lassen. Da also eine Vollendung hier nicht möglich war, wird das etwas kontraintuitive Ergebnis des BGH, dass B des mittäterschaftlichen versuchten Mordes §§ 211, 25 Abs. 2 StGB (gegenüber sich selbst) strafbar ist, auch von der Literatur kritisiert und teilweise dafür plädiert, B lediglich wegen

Verbrechensverabredung

zu verurteilen (§§ 30 Abs. 2, 212, 211 StGB), zB https://www.zjs-online.com/dat/artikel/2008_4_76.pdf. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

nullumcrimen

nullumcrimen

27.4.2024, 22:22:51

Würde man obwohl B tot ist seine Strafbarkeit in der Klausur überhaupt prüfen? Oder kommt es dafür auf den jeweiligen Bearbeitervermerk / die Fragestellung an?

L.G

L.Goldstyn

22.7.2024, 16:44:02

Hallo nullumcrimen, es gilt der Grundsatz, dass die Strafbarkeit von Toten nicht geprüft wird (alles andere wäre, gerade wenn man, wie im Examen die Regel, von einem Praktiker geprüft wird, ein massiver Fehler). Anders ist es, wie Du richtig sagst, nur, wenn der Bearbeitervermerk ausdrücklich auch nach der Strafbarkeit des Toten fragt. Viele Grüße!


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