Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Grundbegriffe der Rechtsgeschäftslehre

Einseitiges Rechtsgeschäft (Anfechtungserklärung, § 143 Abs. 1 BGB)

Einseitiges Rechtsgeschäft (Anfechtungserklärung, § 143 Abs. 1 BGB)

7. April 2025

19 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V will K einen gebrauchten Skoda Fabia für €11.000 anbieten. In der E-Mail an K verschreibt sich V und verlangt €10.000. K nimmt dieses Angebot an. Nach Aufdeckung des Irrtums erklärt V gegenüber K die Anfechtung des Angebots wegen Erklärungsirrtums (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB).

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Einordnung des Falls

Einseitiges Rechtsgeschäft (Anfechtungserklärung, § 143 Abs. 1 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Anfechtungserklärung des V gegenüber K (§ 143 Abs. 1, 2 BGB) ist eine Willenserklärung.

Ja!

Eine Willenserklärung ist eine auf den Eintritt eines rechtsgeschäftlichen Erfolgs gerichtete private Willensäußerung. Mit der Anfechtungserklärung zielt V auf die Beseitigung des Kaufvertrags und damit den Eintritt der Rechtsfolge der Anfechtung ab. Nach § 142 Abs. 1 BGB wirkt die Anfechtung ex tunc: Das Rechtsgeschäft ist als von Anfang an nichtig anzusehen. Wird – wie hier – eine auf Vertragsabschluss gerichtete Willenserklärung angefochten, ist zwar genau genommen nur diese Erklärung gem. § 142 Abs. 1 BGB ex tunc nichtig. Durch den Wegfall der angefochtenen Willenserklärung ist aber auch der Vertrag als von Anfang an nichtig anzusehen.
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2. Die Erklärung der Anfechtung (§ 143 Abs. 1, 2 BGB) ist ein einseitiges Rechtsgeschäft. Sie wird wirksam, ohne dass K sie annehmen müsste.

Ja, in der Tat!

Von den Beteiligten her lassen sich die Rechtsgeschäfte in einseitige und mehrseitige unterteilen. Für die Einordnung als einseitiges Rechtsgeschäft ist entscheidend, dass sich nicht Willenserklärungen verschiedener Willensrichtungen gegenüberstehen. Die Erklärung der Anfechtung erfolgt durch eine Willenserklärung des Anfechtenden gegenüber dem Anfechtungsgegner (§ 143 Abs. 1 BGB) und ist somit ein einseitiges Rechtsgeschäft. Anfechtungsgegner ist bei einem Vertrag der Vertragspartner (K) (§ 143 Abs. 2 BGB). Als empfangsbedürftige Willenserklärung bedarf sie zu ihrer Wirksamkeit des Zugangs beim Empfänger (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB), d.h. bei K.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Cosmonaut

Cosmonaut

22.8.2022, 18:31:18

Ganz hervorragende juristische Feinarbeit hins. des § 142 Abs. 1 BGB und der ex-tunc-Nichtigkeit, die sich auf Willenserklärungen bezieht, nicht unmittelbar auf den Vertrag ! Das ist laut unseren Profs herausragend wichtige Detailarbeit, die entsprechend in der Mündlichen belohnt werden wird. Daher hab ich es einfach nochmal wiederholt. Super Arbeit, gefällt mir sehr!

Nora Mommsen

Nora Mommsen

23.8.2022, 19:38:21

Hallo Cosmonaut, danke für das Lob. Das gebe ich gerne an unsere Fallersteller weiter. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

PPAA

Philipp Paasch

16.9.2022, 00:02:04

Ob die Willenserklärung angefochten wird oder das

Rechtsgeschäft

ist wohl tatsächlich umstritten, vgl. die Formulierungen im Gesetz.

KLE

kleinerPadawan

14.3.2023, 07:45:08

Bin mir da auch nicht so sicher, ob man mit dieser künstlichen Aufdröselung ein "Problem" schafft, wo tatsächlich gar keines ist. Ich finde der Wortlaut des § 142 I macht mit "

Rechtsgeschäft

" eigentlich ziemlich deutlich, dass vielmehr der Vertrag und nicht nur die WE gemeint ist. Also da würde ich nie weiter drauf eingehen, sofern das nicht irgendiwie im SV angelegt ist.

PPAA

Philipp Paasch

15.3.2023, 00:59:45

@[kleinerPadawan](165293) es ist letztlich ein dogmatischer Streit, am Ergebnis ändert sich nichts. Da derlei Streits demnach nie eine Rolle spielen, müsste man auf sie in juristischen Gutachten nie eingehen. Es soll daher zulässig sein, wenn man sie kurz erwähnt, vielleicht in einem Nebensatz. Eine Auseinandersetzung sollte in einer Facharbeit oder Monografie verortet werden.

GALA

galapagosgarry

6.12.2023, 09:50:07

Das ist wieder so ein Fall, in dem Theorie und Praxis auseinanderfallen und der zeigt, dass das Jura Studium sin wissenschaftliches Studium ist. In der Praxis dürfte die Unterscheidung bedeutungslos sein. In der Theorie kann man darüber vortrefflich diskutieren. Dass man sich als Student mit diesen Fragen auseinandersetzt, trägt zum Verständnis der eigenen Disziplin bei und ist daher zu begrüßen.

J.R

J.R

3.5.2024, 22:31:17

Jedes Studium ist doch wissenschaftlich

GALA

galapagosgarry

3.5.2024, 22:36:10

Ich meinte das hier eher im Gegensatz zu Jura als Handwerk oder rein auf die Praxis abstellend. Zudem kann man sich darüber streiten, ob ein Studium am einer FH wissenschaftlich ist. Aber das ist ein anderes Thema.

J.R

J.R

4.5.2024, 05:07:56

Guten morgen, alles klar 👍

SCH

Schwanzanwaltschaft

4.3.2024, 19:53:03

Ich han mir darüber tatsächlich noch keine Gedanken gemacht, aber bedeuted das, dass es möglich ist seine Anfechtungserklärung anzufechten?

Gruttmann

Gruttmann

5.3.2024, 06:38:30

Ja, das ist korrekt. Die Anfechtungserklärung selbst kann angefochten werden, wenn sie z.B. unter Zwang oder durch eine widerrechtliche

Drohung

abgegeben wurde. Aber auch alle anderen Irrtümern sind anwendbar. LG Gruttmann

MIC

Michelle

8.6.2024, 17:04:06

was würde passieren, wenn die Behauptung, dass ein

Erklärungsirrtum

vorliegt, gelogen ist?

TI

Timurso

8.6.2024, 17:05:58

Dann besteht kein Anfechtungsgrund, somit liegt eine Voraussetzung des

Rechtsgeschäft

s Anfechtung nicht vor und damit entfaltet diese auch keinerlei rechtliche Wirkungen. Der Vertrag/die Willenserklärung bleiben somit wirksam.

LELEE

Leo Lee

10.6.2024, 08:15:46

Hallo Michelle, vielen Dank für die sehr gute Frage! Wie Timurso zu Recht anmerkt, hat eine „erlogene“ Anfechtung keine Wirkung, da bereits der Anfechtungsgrund nicht vorliegen würde (in der Theorie zumindest; in der Praxis müsste dies dann entsprechend nachgewiesen werden). Dann bleibt eben der Vertrag noch wirksam, weshalb etwaige Zahlungen, die aufgrund vermeintlicher Rückabwicklung erfolgen, ihrerseits unwirksam wären. Dann könnte man eben aufgrund des Vertrags weiterhin die Zahlung verlangen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

TI

Timurso

10.6.2024, 10:00:08

@[Leo Lee](213375) kleine Korrektur, da das in deinem Kommentar anders klingt: 1. Muss die Wirksamkeit der Anfechtung und daher auch die Voraussetzungen in der Regel vom Anfechtenden bewiesen werden, jedenfalls nichts zwangsläufig die Unwirksamkeit vom Erklärungsgener. 2. Sind die vermeintlich geschuldeten Rückzahlungen nicht "unwirksam" (soweit Zahlungen überhaupt begrifflich unwirksam sein können, das sind ja

Realakt

e und keine

Rechtsgeschäft

e), sondern nur

rechtsgrundlos

und damit nach

Bereicherung

srecht rückforderbar.

ALE

Alexandra

3.2.2025, 19:58:14

Ich muss jetzt mal doof fragen: warum ist es für die Wirksamkeit Anfechtungserklärung nicht entscheidend, dass sie angenommen wurde ? 🙈

LUC1502

luc1502

20.2.2025, 13:23:38

Hi Bei der Anfechtung handelt es sich um ein EINSEITIGES

Rechtsgeschäft

, also ein

Rechtsgeschäft

, das aus nur einer einzigen Willenserklärung besteht (ähnlich einer Kündigung). Die Definition eines

Rechtsgeschäft

s ist ja, dass dieses aus mindestens einer Willenserklärung besteht, die alleine oder iVm mit weiteren

Tatbestandsmerkmale

n eine Rechtsfolge herbeiführt (das

Rechtsgeschäft

führt die RF herbei!!), weil diese gewollt ist. Alleine die Erklärung der Anfechtung (=Willenserklärung, die wirksam sein muss) führt - wenn die übrigen Vss. der §§119ff. BGB erfüllt sind - die Rechtsfolgen der Anfechtung (§142 I BGB - ex tunc Nichtigkeit) herbei. Anders ist dies bspw. bei einem Kaufvertrag, der ein ZWEISEITIGES

Rechtsgeschäft

darstellt, d.h. die Rechtsfolgen des Kaufvertrags (z.B. Anspruch auf

Übergabe und Übereignung

) treten nur dann ein, wenn wir zwei kongruente Willenserklärungen haben, nämlich Angebot und Annahme (die jew. wirksam sein müssen, d.h. insb. abgegeben und zugegangen sein müssen). Ich hoffe, das hat dir geholfen!

ALE

Alexandra

20.2.2025, 17:46:23

Danke für die ausführliche Antwort! :) Jetzt hat sich aber ein neuer Knoten im Kopf gebildet (1. Semester EJP, verzeih mir die Unwissenheit): damit die Anfechtung ja „vollzogen“ werden kann, muss der andere Vertragspartner davon Kenntnis erlangen (bei einer Kündigung ja auch, auch einseitiges RG). Aber

Zugang

/ positive Kenntnis ist nicht gleichzusetzen mit der Annahme der Willenserklärung, oder ?🙈

LUC1502

luc1502

20.2.2025, 17:54:28

Gern :) Jeder fängt mal „klein“ an ;) Bei der Anfechtungserklärung handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, d.h. sie muss zugehen, um wirksam zu sein.

Zugang

haben wir, wenn die Erklärung derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser von dem Inhalt Kenntnis nehmen KANN. Es kommt also nicht drauf an, ob der Empfänger tatsächlich Kenntnis nimmt (z.B. Schriftstück liest), sondern nur, ob er die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat (auf die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es deswegen nicht an, weil der

Zugang

s-ZP nicht im Belieben des Empfängers stehen soll; sonst könnte der Empfänger nach ca. 1 Monat kommen und sagen, dass die Anfechtungsfrist bereits abgelaufen ist, weil er jetzt erst Kenntnis genommen hat, um so die Anfechtung zu verhindern). In dem Bereich von einseitigen

Rechtsgeschäft

en haben wir es NICHT mit Annahme oÄ zu tun. Beste Grüße


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