+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Arzt A entscheidet sich medizinisch indiziert, das Kind der 24jährigen O per Kaiserschnitt zu entbinden. O stimmt zu. Während der OP bilden sich Gebärmutterrisse. Spontan sterilisiert A die O noch während der OP, um eine erneute Schwangerschaft, bei der A das bei 4% liegende Risiko eines Gebärmutterrisses mit lebensgefährlichen Folgen für Mutter und Kind befürchtet, sicher zu vermeiden. O, die sich drei Kinder wünscht, ist mit der Sterilisation nicht einverstanden.

Einordnung des Falls

Mutmaßliche Einwilligung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Fehlt eine ausdrücklich oder konkludent erklärte Einwilligung, kommt es auf die Ermittlung des mutmaßlichen Willens an.

Diese Rechtsfrage lösen 98,5 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Ja!

Der Inhalt des mutmaßlichen Willens ist aus den persönlichen Umständen, individuellen Interessen und Wertvorstellungen des Rechtsgutsträgers zu ermitteln. Liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er sich anders entschieden hätte, ist anzunehmen, dass sein hypothetischer Wille mit dem übereinstimmt, was gemeinhin als normal und vernünftig angesehen wird.

2. Die Sterilisation entsprach dem mutmaßlichen Willen der O.

Diese Rechtsfrage lösen 91,1 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Eine mutmaßliche Einwilligung als Rechtfertigungsgrund komme nur dann in Betracht kommt, wenn ohne einen - sofort oder später - erfolgenden Eingriff eine erhebliche Gefahr für Leben oder Gesundheit des Patienten besteht. Sei die Gefahr wie denkbar gering und bestünde kein sofortiger Handlungsbedarf, ist eine unvorhergesehene Operationserweiterung nicht vom mutmaßlichen Willen gedeckt. O hätte ohne nennenswerte Nachteile später dazu befragt werden können.

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