Diebstahl unter Beisichführen einer Waffe, §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Var. 1 StGB - zeitliche und örtliche Komponente


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Der mit einer Pistole bewaffnete D fährt zum Geschäft des E, um dort einzubrechen und Ware zu entwenden. 100m entfernt vom Grundstück parkt er sein Auto und setzt seinen Plan in die Tat um. Die Pistole belässt er dabei im Handschuhfach seines Pkws. Bei der Abfahrt mit seinem Pkw bemerkt D, dass E ihn entdeckt hat und verfolgt.

Einordnung des Falls

Diebstahl unter Beisichführen einer Waffe, §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Var. 1 StGB - zeitliche und örtliche Komponente

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Pistole des D ist eine Waffe i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Var. 1 StGB.

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Genau, so ist das!

Waffen sind Gegenstände, die objektiv gefährlich sind und ihrer Art nach zur Herbeiführen erheblicher Verletzungen generell geeignet und bestimmt sind. Dazu gehören insbesondere Schusswaffen, also solche Gegenstände, bei denen Geschosse durch einen Lauf nach vorne getrieben werden (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 WaffG) Die Pistole des D ist eine Schusswaffe und damit eine solche Waffe im technischen Sinn.

2. Während D in die Geschäftsräume des E eingebrochen ist, hat er die Pistole nicht i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) Var. 1 StGB bei sich geführt, weil er diese in seinem Pkw liegen gelassen hat.

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Ja, in der Tat!

Ein Beisichführen liegt vor, wenn dem Täter das Tatmittel während des Tathergangs zur Verfügung steht, d.h. es sich so in seiner räumlichen Nähe befindet, dass er es jederzeit, also ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten benutzen kann (räumliche Komponente). Die Pistole lag während des Einbruchs des D in dessen Auto, das 100m vor dem Geschäft des E abgestellt war. Sie war damit für E nicht ohne Weiteres griffs- und gebrauchsbereit.

3. Dass die Pistole während der Fahrt zu den Geschäftsräumen des E für D griffbereit in dem Handschuhfach seines Autos lag, reicht jedoch auch aus.

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Nein!

Die Waffe muss “bei” dem Diebstahl bei sich geführt werden (zeitliche Komponente). Die qualifikationstauglichen Tatphasen müssen vom Vorbereitungsstadium über den Versuch und die Vollendung bis zur Beendigung bestimmt werden. Im Hinblick auf den Tatbeginn ist festzuhalten, dass zum Tathergang (erst) das Stadium ab dem Versuchsbeginn gehört. Das bloße Beisichführen im Vorbereitungsstadium genügt nicht. Der Versuch des Einbruchsdiebstahl durch D beginnt frühestens kurz vor dem Betreten des Grundstücks des E. Zu diesem Zeitpunkt hatte D aber bereits keinen unmittelbaren Zugriff mehr auf seine Pistole.

4. Nach Ansicht der Rspr. reicht es allerdings aus, dass D nach dem Verlassen des Grundstücks während der Flucht vor E wieder Zugriff auf seine Pistole hatte.

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Genau, so ist das!

Nach Ansicht der Rspr. sind entsprechende Qualifikationstatbestände auch erfüllt, wenn der Täter das Tatmittel zwischen dem Vollendungs- und Beendigungsstadium bei sich führt. Denn der Vollendungszeitpunkt sei mehr oder weniger zufällig und ein Täter, der z.B. während der Flucht eine Waffe griffbereit hat, auch besonders gefährlich. Der Einbruchsdiebstahl durch D war spätestens nach dem Verlassen des Grundstücks des E vollendet. Als D wieder in seinem Pkw sitzt, wird er von E entdeckt und verfolgt, sodass mangels Beutesicherung die Tat noch nicht beendet ist. Zu diesem Zeitpunkt hat D wieder Zugriff auf die Pistole, sodass sich D nach dieser Ansicht gemäß §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 1 a) Var. 1 StGB strafbar gemacht hat.

5. Nach der hM. in der Literatur reicht ein Beisichführen während der Flucht allerdings nicht aus.

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Ja, in der Tat!

Nach der in der Literatur hM. stellt die Ausweitung der Tatbestandsphase über die eigentliche Wegnahme hinaus in den recht unbestimmten Zeitraum bis zur Beendigung einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG dar. Der § 244 Abs. 1 Nr. 1 StGB meine mit “Diebstahl” nur das mit der Vollendung abgeschlossene grunddeliktische Geschehen. Zudem würde § 252 StGB unterlaufen, wenn man auch Strafschärfungen nach vollendeter Wegnahme unabhängig von dessen Voraussetzungen für möglich hält. Nach dieser Ansicht hätte sich D zum Zeitpunkt der Flucht mit dem Auto nicht gemäß §§ 242 Abs. 1 , 244 Abs. 1 Nr. 1 a) Var. 1 StGB strafbar gemacht.

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BL

Blotgrim

21.11.2022, 08:04:24

Die Antwort zur Frage ob D die Waffe beim Einbruch bei sich führt ist glaube ich nicht richtig eingestellt, da hier "richtig" die korrekte Antwort ist, obwohl D die Waffe auch nach eurer Erklärung die Waffe nicht griffbereit hat. Außerdem redet ihr in der subsumtion davon das E keinen Zugriff auf die Waffe hat, was für mich wenig Sinn macht Lg

Nora Mommsen

Nora Mommsen

21.11.2022, 09:41:19

Hallo Blotgrim, die Frage ist in der Tat etwas tricky. Tatsächlich lautet die Frage, ob D die Waffe "nicht" bei sich führt. Damit ist "richtig" die korrekte Antwort. :) Liebe Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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