Öffentliches Recht

Polizei- und Ordnungsrecht

Polizeiliche Standardmaßnahmen

Anwendungsvorrang vor der Generalklausel: Standardermächtigung einschlägig, aber Voraussetzungen nicht erfüllt

Anwendungsvorrang vor der Generalklausel: Standardermächtigung einschlägig, aber Voraussetzungen nicht erfüllt

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Polizist P nimmt Randalierer R fest. Bevor P den R in die Zelle sperrt, nimmt P dem R seinen Glücksbringer, einen kleinen Plüsch-Schornsteinfeger ab. Diesen verwahrt er in einem Schrank auf der Polizeiwache.

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Einordnung des Falls

Anwendungsvorrang vor der Generalklausel: Standardermächtigung einschlägig, aber Voraussetzungen nicht erfüllt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Polizeigesetze der Länder ermächtigen die Polizei zur Sicherstellung von Sachen. Sicherstellung ist die Aufhebung alten und die zielgerichtete Begründung neuen hoheitlichen Gewahrsams. Ist die Sicherstellung hier einschlägig?

Ja!

Fällt eine polizeiliche Maßnahme unter den Anwendungsbereich einer Standardermächtigung, stellt diese Standardermächtigung die richtige Ermächtigungsgrundlage für die Maßnahme dar. Nur wenn der Regelungsgehalt einer Standardermächtigung nicht eröffnet ist, kommt ein Rückgriff auf die Generalklausel in Betracht. Indem P dem R den Glücksbringer abnimmt, hebt er den alten Gewahrsam auf und begründet gleichzeitig neuen hoheitlichen Gewahrsam. Die Maßnahme stellt eine Sicherstellung (vgl. § 27 PAG TH, § 25 BbgPolG, § 21 PolG SL) dar. Die Sicherstellung gemäß anwendbarem Landespolizeigesetz ist daher die richtige Ermächtigungsgrundlage für Ps Handeln. Die Bestimmung der richtigen Ermächtigungsgrundlage ist strikt von der Frage der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit der Maßnahmen zu trennen. Ob eine Maßnahme rechtswidrig ist oder nicht, zeigt sich noch nicht bei der Bestimmung der richtigen Ermächtigungsgrundlage.
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2. Von festgehaltenen Personen können Sachen sichergestellt werden, die zur Tötung, Verletzung, Zerstörung oder Flucht verwendet werden können (§ 27 Nr. 3 PAG TH, § 25 Abs. 1 Nr. 3 BbgPolG, § 21 Nr. 3 PolG SL). Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm vor?

Nein, das ist nicht der Fall!

Im Gegensatz zur Generalklausel modifizieren und konkretisieren die Standardermächtigungen die Eingriffsvoraussetzungen. Die Tatbestandsvoraussetzungen variieren von Standardmaßnahme zu Standardmaßnahme. R wird festgehalten. Allerdings kann sein Glücksbringer in keiner Weise gefährlich eingesetzt werden: Der Plüsch-Schornsteinfeger eignet sich weder zur Tötung, Verletzung, Zerstörung oder Flucht. Die Tatbestandsvoraussetzungen liegen nicht vor. Es ist nicht sinnvoll, die Tatbestandsvoraussetzungen jeder Standardermächtigung auswendig zu lernen. In der Regel reichen eine nahe Arbeit am Gesetzestext und die Anwendung der Auslegungsmethoden aus.

3. Kann P die Wegnahme des Glücksbringers subsidiär auf die polizeiliche Generalklausel stützen?

Nein, das trifft nicht zu!

Fällt eine polizeiliche Maßnahme in den Anwendungsbereich einer Standardermächtigung, stellt diese Standardermächtigung die richtige Ermächtigungsgrundlage für die Maßnahme dar. Ist der Anwendungsbereich einer Standardmaßnahme eröffnet, liegen ihre Tatbestandsvoraussetzungen aber nicht vor, ist die polizeiliche Generalklausel trotzdem nicht anwendbar. Der Rückgriff auf die Generalklausel ist gesperrt. Nur wenn der Regelungsgehalt einer Standardermächtigung nicht eröffnet ist, kommt ein Rückgriff auf die Generalklausel in Betracht. P hebt alten den alten Gewahrsam des R auf und begründet neuen hoheitlichen Gewahrsam. Der Anwendungsbereich der Sicherstellung ist eröffnet. Ein subsidiärer Rückgriff auf die Generalklausel ist ausgeschlossen. Dies ändert sich auch nicht dadurch, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Sicherstellung nicht vorliegen. Die Standardermächtigungen haben das Ziel, klare und abschließende Eingriffsvoraussetzungen für bestimmte polizeiliche Eingriffe zu definieren. Für diese Eingriffe stellen sie abschließende Regelungen dar. Wäre ein subsidiärer Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel erlaubt, würde dieser abschließende Regelungscharakter unterhöhlt. Die Sicherstellung ist hier mangels Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen (§ 27 Nr. 3 PAG TH, § 25 Abs. 1 Nr. 3 BbgPolG, § 21 Nr. 3 PolG SL) materiell rechtswidrig.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

KE🦦

kerberos 🦦

16.3.2024, 12:15:53

§ 38 ASOG


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