+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
M schließt mit V 2010 einen bis Ende 2020 befristeten „Pachtvertrag“ über ein Grundstück mit Zustimmung des Eigentümers E, ohne ein Fruchtziehungsrecht zu vereinbaren. E veräußert das Grundstück 2011 an K. Seitdem zahlt M an K. 2021 erklärt K mündlich die ordentliche Kündigung.
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Einordnung des Falls
Analogie zum Grundsatz "Kauf bricht nicht Miete" bei fehlender Identität zwischen Vermieter und Veräußerer (§ 566 BGB)
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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Haben M und V 2010 einen Pachtvertrag iSv § 581 BGB geschlossen?
Nein!
Der Pachtvertrag setzt neben der Vereinbarung der Gebrauchsgewährung der Pachtsache ein Fruchtziehungsrecht voraus (§ 581 Abs. 1 BGB).
Es wurde kein Fruchtziehungsrecht vereinbart. Damit liegt vielmehr ein Mietvertrag über ein Grundstück vor (§§ 535 Abs. 1, 578 BGB). Die übereinstimmende Falschbezeichnung ist unschädlich (falsa demonstratio non nocet).
„Früchte" meint nicht nur die Ernte vom Feld (vgl. §§ 99, 100 BGB). Z.B. ist die Überlassung möblierter Geschäftsräume ein Pachtvertrag. Der Geschäftsbetrieb ist dann die Fruchtziehung aus der überlassenen Einrichtung. Die dingliche Rechtslage an den Früchten regelt § 956 BGB.
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2. Ist K kraft rechtsgeschäftlicher Vertragsübernahme in den Mietvertrag zwischen M und V eingetreten?
Nein, das ist nicht der Fall!
Die gesetzlich nicht geregelte, gewillkürte Vertragsübernahme ist in Rechtsfortbildung der §§ 563, 563a, 566, 613a, 1251 BGB zulässig (§ 311 Abs. 1 BGB). Sie ist ein einheitliches Rechtsgeschäft, nicht bloße Kombination von Abtretung und Schuldübernahme. Konstruktiv ist sie durch dreiseitigen Vertrag oder durch Vertrag zwischen ausscheidender und eintretender Partei unter Einwilligung (§ 183 BGB) bzw. Genehmigung (§ 415 Abs. 1 BGB analog) des Dritten möglich.
Eine derartige rechtsgeschäftliche Vereinbarung haben die Beteiligten nicht getroffen.
„Causa" einer Vertragsübernahme kann jeder schuldrechtliche Vertrag sein (z.B. § 453 Abs. 1 BGB).
3. K ist kraft Gesetzes in den Mietvertrag zwischen M und V eingetreten (§§ 566 Abs. 1, 578 Abs. 1 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
§ 566 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) Mietvertrag, (2) Besitz des Mieters vor Veräußerung („nach Überlassung"), (3) Veräußerung durch den Vermieter an Dritten.
Veräußert hat nicht der Vermieter V, sondern der Eigentümer E. Die Voraussetzungen von § 566 Abs. 1 BGB liegen nicht vor.
Die Überschrift „Kauf bricht nicht Miete" ist ungenau. Gemeint ist eigentlich „Verfügung bricht nicht Miete". Ob die causa ein Kauf oder eine Schenkung ist, spielt keine Rolle.
4. Allerdings gilt § 566 Abs. 1 BGB in bestimmten Fällen analog, auch wenn Veräußerer und Vermieter personenverschieden sind.
Ja!
Eine Analogie setzt (1) eine planwidrige Regelungslücke und (2) eine vergleichbare Interessenlage voraus.
Eine Regelungslücke besteht. Nach Rspr. des BGH besteht Interessenvergleichbarkeit, wenn die Vermietung mit Zustimmung und im alleinigen wirtschaftlichen Interesse des Eigentümers erfolgt und der Vermieter kein eigenes Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses hat. Denn schaltet der Eigentümer einen Dritten nur ein, um – ggf. zur Umgehung des § 566 BGB – nicht selbst als Vermieter auftreten zu müssen, so muss er auch den durch den Dritten geschlossenen Vertrag gegen sich gelten lassen. Dies ist etwa bei Vermietung durch einen Hausverwalter der Fall.
5. § 566 Abs. 1 BGB gilt auch dann analog, wenn der veräußernde Eigentümer einer Vermietung durch einen Dritten zwar zugestimmt, aber kein wirtschaftliches Interesse an ihr hat (z.B. berechtigte Untervermietung).
Nein, das ist nicht der Fall!
Eine Analogie setzt (1) eine planwidrige Regelungslücke und (2) eine vergleichbare Interessenlage voraus.
Es fehlt an der Interessenvergleichbarkeit. Sinn des § 566 Abs. 1 BGB ist es, dem Mieter sein Besitzrecht (§ 986 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) gegenüber dem Erwerber zu erhalten. Ein abgeleitetes Besitzrecht besteht zwar auch bei der Untervermietung (§ 986 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB). Doch soll § 566 BGB den Mieter nicht vor der Beendigung des Rechtsverhältnisses zwischen Eigentümer und Vermieter schützen. In diesem Fall realisiert sich nur das Risiko des gestuften Besitzes.
6. Damit ist K nicht nach § 566 Abs. 1 BGB analog in den Mietvertrag zwischen M und V eingetreten.
Ja, in der Tat!
Dies erfordert, dass § 566 Abs. 1 BGB analog auf den vorliegenden Fall der Personenverschiedenheit anwendbar wäre. Dafür müsste der Eigentümer bei wirtschaftlicher Betrachtung als Vermieter angesehen werden können (s.o.).
Hier hat Veräußerer E der Vermietung durch V nur zugestimmt. Ein eigenes wirtschaftliches Interesse hatte E nicht. Insbesondere hat E den V nicht nur vorgeschoben, um § 566 BGB zu umgehen. Damit ist § 566 Abs. 1 BGB hier nicht analog anzuwenden und K ist nicht in den Vertrag eingetreten.
7. Allerdings haben K und M konkludent einen Mietvertrag geschlossen.
Ja!
Ein konkludenter Vertragsschluss ist dann anzunehmen, wenn sich eine Willenserklärung (v.a. der Rechtsbindungswille) nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) zwar nicht aus einer ausdrücklichen Erklärung (z.B. durch Worte), aber aus schlüssigem Verhalten ergibt.
K hat M den Gebrauch des Grundstücks seit 2011 gestattet. M hat an K die Miete gezahlt. Durch die Erfüllung der mietvertraglichen Hauptleistungspflichten haben K und M konkludent einen Mietvertrag geschlossen. 8. Konnte dieser konkludent geschlossene Mietvertrag ordentlich gekündigt werden?
Genau, so ist das!
Nur unbefristete Mietverträge können nach den gesetzlichen Vorschriften ordentlich gekündigt werden (§ 542 Abs. 1 BGB). Für die Grundstücksmiete ist die gesetzliche Vorschrift § 580a BGB.
Zwar hat M mit V den Vertrag schriftlich geschlossen und damit wirksam befristet. M und K haben den eigenständigen konkludenten Mietvertrag jedoch nicht verschriftlicht. Somit war der Vertrag unbefristet (§§ 578 Abs. 1, 550 S. 1 BGB) und konnte ordentlich gekündigt werden.
Befristete Mietverträge können hingegen nur außerordentlich gekündigt werden (Umkehrschluss § 542 Abs. 2 BGB).
9. K hat den konkludent geschlossenen Mietvertrag ordentlich gekündigt (§ 580a Abs. 1 Nr. 3 BGB).
Ja, in der Tat!
Die ordentliche Kündigung setzt voraus: (1) Kündigungserklärung, (2) Wahrung der Kündigungsfrist.
K hat die Kündigung erklärt. Dies bedurfte keiner Form. § 568 Abs. 1 BGB ist nicht anwendbar. Die Frist bemisst sich nach § 580a Abs. 1 Nr. 3 BGB.
Bei der Wohnraummiete setzt die ordentliche Kündigung ein berechtigtes Interesse voraus (§ 573 BGB).