Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2021

Analogie zum Grundsatz "Kauf bricht nicht Miete" bei fehlender Identität zwischen Vermieter und Veräußerer (§ 566 BGB)

Analogie zum Grundsatz "Kauf bricht nicht Miete" bei fehlender Identität zwischen Vermieter und Veräußerer (§ 566 BGB)

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M schließt mit V 2010 einen bis Ende 2020 befristeten „Pachtvertrag“ über ein Grundstück mit Zustimmung des Eigentümers E, ohne ein Fruchtziehungsrecht zu vereinbaren. E veräußert das Grundstück 2011 an K. Seitdem zahlt M an K. 2021 erklärt K mündlich die ordentliche Kündigung.

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Einordnung des Falls

Analogie zum Grundsatz "Kauf bricht nicht Miete" bei fehlender Identität zwischen Vermieter und Veräußerer (§ 566 BGB)

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer Hamburg 2023
Examenstreffer NRW 2023

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Haben M und V 2010 einen Pachtvertrag iSv § 581 BGB geschlossen?

Nein!

Der Pachtvertrag setzt neben der Vereinbarung der Gebrauchsgewährung der Pachtsache ein Fruchtziehungsrecht voraus (§ 581 Abs. 1 BGB). Es wurde kein Fruchtziehungsrecht vereinbart. Damit liegt vielmehr ein Mietvertrag über ein Grundstück vor (§§ 535 Abs. 1, 578 BGB). Die übereinstimmende Falschbezeichnung ist unschädlich (falsa demonstratio non nocet). „Früchte" meint nicht nur die Ernte vom Feld (vgl. §§ 99, 100 BGB). Z.B. ist die Überlassung möblierter Geschäftsräume ein Pachtvertrag. Der Geschäftsbetrieb ist dann die Fruchtziehung aus der überlassenen Einrichtung. Die dingliche Rechtslage an den Früchten regelt § 956 BGB.
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2. Ist K kraft rechtsgeschäftlicher Vertragsübernahme in den Mietvertrag zwischen M und V eingetreten?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die gesetzlich nicht geregelte, gewillkürte Vertragsübernahme ist in Rechtsfortbildung der §§ 563, 563a, 566, 613a, 1251 BGB zulässig (§ 311 Abs. 1 BGB). Sie ist ein einheitliches Rechtsgeschäft, nicht bloße Kombination von Abtretung und Schuldübernahme. Konstruktiv ist sie durch dreiseitigen Vertrag oder durch Vertrag zwischen ausscheidender und eintretender Partei unter Einwilligung (§ 183 BGB) bzw. Genehmigung (§ 415 Abs. 1 BGB analog) des Dritten möglich. Eine derartige rechtsgeschäftliche Vereinbarung haben die Beteiligten nicht getroffen. „Causa" einer Vertragsübernahme kann jeder schuldrechtliche Vertrag sein (z.B. § 453 Abs. 1 BGB).

3. K ist kraft Gesetzes in den Mietvertrag zwischen M und V eingetreten (§§ 566 Abs. 1, 578 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

§ 566 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) Mietvertrag, (2) Besitz des Mieters vor Veräußerung („nach Überlassung"), (3) Veräußerung durch den Vermieter an Dritten. Veräußert hat nicht der Vermieter V, sondern der Eigentümer E. Die Voraussetzungen von § 566 Abs. 1 BGB liegen nicht vor. Die Überschrift „Kauf bricht nicht Miete" ist ungenau. Gemeint ist eigentlich „Verfügung bricht nicht Miete". Ob die causa ein Kauf oder eine Schenkung ist, spielt keine Rolle.

4. Allerdings gilt § 566 Abs. 1 BGB in bestimmten Fällen analog, auch wenn Veräußerer und Vermieter personenverschieden sind.

Ja!

Eine Analogie setzt (1) eine planwidrige Regelungslücke und (2) eine vergleichbare Interessenlage voraus. Eine Regelungslücke besteht. Nach Rspr. des BGH besteht Interessenvergleichbarkeit, wenn die Vermietung mit Zustimmung und im alleinigen wirtschaftlichen Interesse des Eigentümers erfolgt und der Vermieter kein eigenes Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses hat. Denn schaltet der Eigentümer einen Dritten nur ein, um – ggf. zur Umgehung des § 566 BGB – nicht selbst als Vermieter auftreten zu müssen, so muss er auch den durch den Dritten geschlossenen Vertrag gegen sich gelten lassen. Dies ist etwa bei Vermietung durch einen Hausverwalter der Fall.

5. § 566 Abs. 1 BGB gilt auch dann analog, wenn der veräußernde Eigentümer einer Vermietung durch einen Dritten zwar zugestimmt, aber kein wirtschaftliches Interesse an ihr hat (z.B. berechtigte Untervermietung).

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Analogie setzt (1) eine planwidrige Regelungslücke und (2) eine vergleichbare Interessenlage voraus. Es fehlt an der Interessenvergleichbarkeit. Sinn des § 566 Abs. 1 BGB ist es, dem Mieter sein Besitzrecht (§ 986 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) gegenüber dem Erwerber zu erhalten. Ein abgeleitetes Besitzrecht besteht zwar auch bei der Untervermietung (§ 986 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB). Doch soll § 566 BGB den Mieter nicht vor der Beendigung des Rechtsverhältnisses zwischen Eigentümer und Vermieter schützen. In diesem Fall realisiert sich nur das Risiko des gestuften Besitzes.

6. Damit ist K nicht nach § 566 Abs. 1 BGB analog in den Mietvertrag zwischen M und V eingetreten.

Ja, in der Tat!

Dies erfordert, dass § 566 Abs. 1 BGB analog auf den vorliegenden Fall der Personenverschiedenheit anwendbar wäre. Dafür müsste der Eigentümer bei wirtschaftlicher Betrachtung als Vermieter angesehen werden können (s.o.). Hier hat Veräußerer E der Vermietung durch V nur zugestimmt. Ein eigenes wirtschaftliches Interesse hatte E nicht. Insbesondere hat E den V nicht nur vorgeschoben, um § 566 BGB zu umgehen. Damit ist § 566 Abs. 1 BGB hier nicht analog anzuwenden und K ist nicht in den Vertrag eingetreten.

7. Allerdings haben K und M konkludent einen Mietvertrag geschlossen.

Ja!

Ein konkludenter Vertragsschluss ist dann anzunehmen, wenn sich eine Willenserklärung (v.a. der Rechtsbindungswille) nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) zwar nicht aus einer ausdrücklichen Erklärung (z.B. durch Worte), aber aus schlüssigem Verhalten ergibt. K hat M den Gebrauch des Grundstücks seit 2011 gestattet. M hat an K die Miete gezahlt. Durch die Erfüllung der mietvertraglichen Hauptleistungspflichten haben K und M konkludent einen Mietvertrag geschlossen.

8. Konnte dieser konkludent geschlossene Mietvertrag ordentlich gekündigt werden?

Genau, so ist das!

Nur unbefristete Mietverträge können nach den gesetzlichen Vorschriften ordentlich gekündigt werden (§ 542 Abs. 1 BGB). Für die Grundstücksmiete ist die gesetzliche Vorschrift § 580a BGB. Zwar hat M mit V den Vertrag schriftlich geschlossen und damit wirksam befristet. M und K haben den eigenständigen konkludenten Mietvertrag jedoch nicht verschriftlicht. Somit war der Vertrag unbefristet (§§ 578 Abs. 1, 550 S. 1 BGB) und konnte ordentlich gekündigt werden. Befristete Mietverträge können hingegen nur außerordentlich gekündigt werden (Umkehrschluss § 542 Abs. 2 BGB).

9. K hat den konkludent geschlossenen Mietvertrag ordentlich gekündigt (§ 580a Abs. 1 Nr. 3 BGB).

Ja, in der Tat!

Die ordentliche Kündigung setzt voraus: (1) Kündigungserklärung, (2) Wahrung der Kündigungsfrist. K hat die Kündigung erklärt. Dies bedurfte keiner Form. § 568 Abs. 1 BGB ist nicht anwendbar. Die Frist bemisst sich nach § 580a Abs. 1 Nr. 3 BGB. Bei der Wohnraummiete setzt die ordentliche Kündigung ein berechtigtes Interesse voraus (§ 573 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Rick-energie🦦

Rick-energie🦦

11.6.2022, 09:28:38

Sehe ich richtig, dass M vor der Kündigung seitens M letztlich zwei Mietverträge (einen mit K und einen mit V) über die selbe

Mietsache

hat?

PPAA

Philipp Paasch

11.6.2022, 23:32:34

Das ist wirklich eine interessante Frage. Sehe ich auch so. Allerdings kann V durch dem Verkauf nicht mehr erfüllen, da

subjektive Unmöglichkeit

(§ 275 Abs. 1 Alt. BGB) eingetreten ist. Diese hat er auch zu verschuldet durch die

Übereignung

(nicht: Verkauf) und nicht der M. Denn m.E. kann er als Nichtberechtigter die

Mietsache

nicht mehr "überlassen" bzw. weiterhin dafür Sorge tragen. Für den M ändert sich aber insofern nichts, da der Vertrag dennoch erfüllt wird. (

Vertrag zugunsten Dritter

?) Ich konnte es mir nicht verkneifen: "Die Kündigung seitens des K" natürlich. 😬

CEMA

cemawo

12.6.2022, 19:25:49

Wieso soll V die Unmöglichkeit verschuldet haben? Eigentümer und Übereigner war ja der E.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.6.2022, 14:25:35

Hallo Rick-dich, ganz richtig - es liegen zwei verschiedene Mietverträge über dieselbe Sache vor. Die Unmöglichkeit wird aber nicht unbedingt durch die

Übereignung

E an K hervorgerufen. Denn geschuldet ist beim Mietvertrag nur die Überlassung, nicht die

Übereignung

. Hier hat K konkludent einen eigenen Mietvertrag mit M geschlossen, wodurch V nicht mehr überlassen kann. Also tritt dadurch letztendlich die

subjektive Unmöglichkeit

gem. § 275 I BGB ein. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Rick-energie🦦

Rick-energie🦦

15.6.2022, 21:49:15

Toop - dann passt meine Ausgangsthese soweit🥳

Blackpanther

Blackpanther

6.7.2022, 20:12:12

M könnte gegen V also einen ganz normalen Schadenersatzanspruch aus §§ 280 I, III, 283 BGB geltend machen? Oder gibt es da vorrangige mietrechtliche Vorschriften?

DAV

David.

11.6.2023, 09:22:54

Sehe ich es richtig, dass durch die Kündigung der K, ein Schadensersatzanspruch des M gegen V nach §§ 280 I, III, 283 entsteht? Die

subjektive Unmöglichkeit

entsteht für V ja schon in dem Moment, indem K mit M konkludent einen neuen Mietvertrag abschließt, aber ein Schaden entsteht dem M ja erst durch den Ausspruch der Kündigung durch K (etwa weil M jetzt ein teureres Grundstück mieten muss), sodass der Anspruch auch noch nicht verjährt wäre oder? Die Verjährungsfrist beträgt ja 3 Jahre erst mit Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist.

Simon

Simon

1.1.2024, 22:10:51

Wo soll das Vertretenmüssen von V liegen? Unmöglichkeit tritt ja dadurch ein, dass K dem M das Grundstück überlässt, sodass dies V nun nicht mehr möglich ist.

IS

IsiRider

11.6.2023, 15:32:15

Muss die Früchteziehung immer gesondert vereinbart werden? Ein zusammenfassendes Prüfungsschema wäre am Ende schön.

CR7

CR7

25.8.2023, 22:08:33

Examenstreffer ZR2 2023/II Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (Abgewandelt)

Mimmi A.

Mimmi A.

26.8.2023, 22:34:28

Examenstreffer auch in Rheinland-Pfalz

DIAA

Diaa

12.10.2023, 20:05:09

Ich versteh gerade nicht, wieso erhält/hat E kein wirtschaftliches Interesse? Es ist sein Eigentum und sollte im Gegenzug für die Nutzungsüberlassung an einen Dritten Miete erhalten. Ich verstehe nur die 4 Personenverhältnis nicht. Könnte es jemand erklären 🫣

SHE

Sherwien

13.10.2023, 09:23:36

Lief August 23 in Hamburg

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

13.10.2023, 18:09:23

Lieben Dank für die Meldung, Sherwien!

Irina95

Irina95

15.12.2023, 20:42:52

Ich versteh nicht ganz, wieso der konkludent geschlossene Mietvertrag mündlich gekündigt werden konnte und § 568 BGB nicht angewendet wird.

Simon

Simon

1.1.2024, 22:06:17

§ 568 BGB ist im Falle der Miete von Grundstücken über die Brückennorm des § 578 I BGB nicht anwendbar. Systematisch gilt § 568 unmittelbar nur für die Wohnraummiete (s. Stellung im UT 2).

falktghl

falktghl

1.1.2024, 13:19:42

so

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.1.2024, 19:01:19

Vielen Dank, falktg!

Simon

Simon

1.1.2024, 22:17:13

Liegt eigentlich ein Vertragsverhältnis zwischen E und V vor (bspw. ein

unechter Vertrag zugunsten Dritter

), oder kann der E seine Zustimmung einfach jederzeit widerrufen? Bei einem unechten VzD könnte man mE §

566 BGB

durchaus analog anwenden, dann aber im Verhältnis V-K, sodass K ggü. V verpflichtet ist, dem M das Grundstück zur Verfügung zu stellen. Wenn E jederzeit seine Zustimmung widerrufen könnte, würde doch der Mieterschutz umgangen werden, da für V dann eine - von ihm nicht zu vertretende - Unmöglichkeit vorliegt. M stünde dann iErg ohne Ansprüche da.


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