Beginn des Strafrechtsschutzes erst ab der Geburt

16. April 2025

5 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die im 6. Monat schwangere S bekommt von ihrer Ärztin A das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan verschrieben. Dieses schädigt den Fötus. S bringt drei Monate später ein Kind mit starken Missbildungen zur Welt.

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Einordnung des Falls

Beginn des Strafrechtsschutzes erst ab der Geburt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat den Tatbestand der Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) erfüllt, wenn sie vorsätzlich eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt hat.

Ja!

§ 223 StGB enthält den Grundtatbestand der "Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit". Rechtsgut ist das körperliche Wohl einer anderen Person. Dies umfasst den Schutz der körperlichen Integrität und der Gesundheit.
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2. Der Fötus im Bauch der S ist "eine andere Person" (§ 223 Abs. 1 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine andere Person ist nur eine natürliche Person im Sinne eines lebenden Menschen. Der Beginn menschlichen Lebens ist nach h.M. die Geburt (Beginn der Eröffnungswehen), sodass die Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) pränatale Einwirkungen auf die Leibesfrucht nicht erfasst. Der Fötus ist keine andere Person. Die Verletzung des Fötus ist auch keine Körperverletzung zum Nachteil der S, weil insoweit deren eigenes Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit nicht betroffen ist.

3. Eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) liegt aber in Bezug auf das geborene Kind vor.

Nein!

Die h.M. stellt bei Zustandsdelikten wie den Körperverletzungsdelikten auf den Zeitpunkt der Verletzungshandlung ab (vgl. § 8 StGB), nicht darauf, ob der Schaden andauert. Die Schädigung vor der Geburt gilt somit nicht als Körperverletzung, obwohl das Kind später verletzt geboren wurde.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Juratiopharm

Juratiopharm

29.7.2023, 17:49:33

Ein absoluter Banger ist hier mMn der Verweis (sofern erlaubt) auf § 8, der grade auf die Handlung abstellt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

29.7.2023, 18:04:43

Klaro, das haben wir gerne noch mit aufgenommen ;-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

FW

FW

4.2.2025, 09:22:22

Hi, ich verstehe nicht ganz, warum das Leben erst mit der Geburt beginnt. Bei den Grundrechten hatte ich gelernt das schutzwürdiges Leben bereits mit der Nidation beginnt. Außerdem zeigt ja auch der § 218 StGB mit der Formulierung, dass mit der Nidation ein Schwangerschaftsabbruch strafbar ist. Ab der Nidation besteht somit auch schutzwürdiges Leben, mithin eine schutzwürdige Person. Wenn der Gesetzgeber in § 218 StGB den Abbruch der Schwangerschaft unter Strafe stellt, zeigt er dadurch das das Leben des Kindes bereits geschützt wird. Wenn das Leben bereits ab jetzt geschützt wird, warum sollte dies nicht auch für die körperliche Unversehrtheit oder die Gesundheit gelten.

PAUHE

Paul Hendewerk

6.2.2025, 14:26:56

@[FW](139488) Die §§ 218 ff. StGB enthalten Sonderregelungen für

Verletzungshandlung

en am ungeborenen Leben. Daraus ergibt sich im Umkehrsschluss, dass die "normalen" Strafnormen zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit auf das ungeborene Leben keine Anwendung finden. Andernfalls umginge man die vom Gesetzgeber intendierte Privilegierung der Schwangeren, die einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt.

LELEE

Leo Lee

13.2.2025, 11:08:42

Hallo FW, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat unterscheiden sich zw. den Rechtsgebieten auch die Auffassungen bzgl. des Zeitpunkts des Beginns des Lebens. Obgleich dies zunächst widersprüchlich erscheinen mag, steckt hierhinter die verschiedenen Gewährleistungsgehalte der jeweiligen Gebiete. Bei den Grundrechten geht es darum, das Grundrechtsubjekt (bspw. das ungeborene Kind) so "früh" wie möglich zu schützen. Dafür ist es dann auch nötig, bereits ab der Nidation (Einnistung) das Leben anzunehmen, damit man so früh wie mgl. das Kind in den Genuss der Grundrechte bringen kann. Beim Strafrecht - schärfstem Schwert des Staates - ist die Grundeinstellung nicht, wir wollen so "früh" bzw. schnell wie möglich bestrafen, weshalb wir so RESTRIKTIV wie möglich vorgehen (erkennst du auch etwa an der restriktiven Auslegung des Heimtückebegriffs in 211 oder dem Grundsatz von

in dubio pro reo

). Im Fall des Schwangerschaftsabbruchs ergibt sich also der folgende Gedanke: Wir wollen zunächst so "wenig" es geht, bestrafen, weshalb wir das TBM "Person" so weit nach hinten wie mgl. verlagern. Bzgl. deiner Verweisung auf 218. Ja, das stimmt, dass das Kind bereits vor der Geburt geschützt wird. Allerdings gibt es hier einen entscheidenden Unterschied: 1. 218 schützt das "Leben", also ein sehr hohes Rechtsgut, was diese frühe Bestrafung zu rechtfertigen vermag und 2. 218 stellt eine "Ausnahme" dar, dass normalerweise nur lebende Menschen (also geborene Menschen) beschützt werden, etwa durch 212, 211. Und weil es bei der Körperverletzung eben keine Ausnahmevorschrift gibt, die die Unversehrtheit auch vor Geburt schützt, wird das Kind nicht von 223 erfasst. Alles andere wäre eine Analogie ZULASTEN des Täters, was im Strafrecht bekanntermaßen verboten ist. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Gropp/Wörner § 218 Rn. 5 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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