Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2023
Mietmangel wegen nackten Vermieters im Hinterhof?
Mietmangel wegen nackten Vermieters im Hinterhof?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
M mietet ein Büro von Vermieter V. V selbst bewohnt eine Wohnung in dem Gebäude. Nach kurzer Zeit kürzt M die Miete wegen Baulärms auf dem Nachbargrundstück, gelegentlicher Kochgerüche anderer Mieter, abgestellten Gegenständen im Treppenhaus (Schuhe, Kinderwagen) und weil V sich regelmäßig nackt in einer schwer einsehbaren Ecke des Hinterhofs sonnt.
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Einordnung des Falls
Mietmangel wegen nackten Vermieters im Hinterhof?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Vs Anspruch gegen M auf Zahlung von Miete ergibt sich aus § 535 Abs. 2 BGB.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. M könnte jedoch nach § 536 Abs. 1 BGB von der Entrichtung der Miete (teilweise) befreit sein.
Genau, so ist das!
3. Welcher Zustand der Mietsache geschuldet ist, bestimmt sich in erster Linie nach den Parteiabreden.
Ja, in der Tat!
4. In Großstädten sind Immissionen von benachbarten Baustellen durch den Mieter stets hinzunehmen.
Nein!
5. Das Gebäude liegt in einer besonders ruhigen Gegend. Ist dies ist bei der Frage, ob der Baulärm einen Mangel darstellt zu berücksichtigen?
Genau, so ist das!
6. Von anderen Mietern im gleichen Gebäude darf ein Mieter vollkommene Störungsfreiheit erwarten.
Nein, das trifft nicht zu!
7. Die Kochgerüche hat M als typische Folge der Wohnnutzung des Gebäudes hinzunehmen.
Ja!
8. Abgestellte Gegenstände anderer Mieter im Treppenhaus begründen stets einen Mietmangel.
Nein, das ist nicht der Fall!
9. Der Rechtsgedanke des § 906 BGB kann zur Beurteilung der Zumutbarkeit im Mietrecht herangezogen werden.
Ja, in der Tat!
10. Ideelle Einwirkungen (wie ein sich nackt sonnender Nachbar) stellen grundsätzlich eine „ähnliche Einwirkung“ im Sinne des § 906 BGB dar.
Nein!
11. Handelte V ordnungswidrig (§ 118 OWiG), sodass sich die ideelle Einwirkung deshalb ausnahmsweise als unzulässige Beeinträchtigung darstellt?
Nein, das ist nicht der Fall!
12. M ist nur im Hinblick auf den Baulärm nach § 536 Abs. 1 BGB von der Entrichtung eines Teils der Miete befreit.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
IsiRider
18.6.2023, 17:22:40
Dass heißt, der Vermieter müsste sich an den Nachbarn wenden und zur Einstellung des Lärms auffordern? Wegen Baulärm an sich die Miete mindern zu können, finde ich fraglich. Muss man da nicht auf den
Einzelfallabstellen: wie lange geht der Lärm, zu welcher Uhrzeit usw.? Wäre mir sonst zu pauschal.
GoodMorning
29.6.2023, 10:47:09
Ja, kommt m.E. immer auf den
Einzelfallan. Aber der Vermieter würde im Normalfall dann m.E. wiederum gegen den Bauherrn einen Anspruch aus 906 2 2 BGB haben (BGH, Urteil v. 29.4.2020, VIII ZR 31/18, WuM 2020 S. 407) und würde den Nachbarn nicht auffordern, die Bauarbeiten einzustellen, sondern selbst eine Entschädigung fordern.
gottloser Vernunftsjurist
16.11.2023, 21:08:28
Guten Tag, ich habe zur letzten Frage zwei Anmerkungen: Zum einen finde ich die Aussage dahingehend irreführend, dass von der Befreiung von der Entrichtung des Mietzinses die Rede ist. Ich würde es besser finden, von der Minderung des Mietzinses zu sprechen, da es sonst so klingt, als müsste man deswegen gar keinen Mietzins mehr zahlen. Zum anderen ist im Praxistipps die Rede von zurückgehalten Miete. Wovon hier allerdings gesprochen werden sollte, ist die gemindert Miete, da die zurückbehaltene Miete nochmal etwas anderes ist (
§ 320 BGB).
Adrian
29.4.2024, 10:22:12
Die Minderung im Mietrecht unterscheidet sich von der Minderung wie man sie etwa aus dem Kaufrecht kennt. Im Kaufrecht bleibt nach §§437 Nr 2, 2. Alt,
441 BGBder Anspruch auf Kaufpreiszahlung bestehen, dieser wird lediglich gem. §443 III BGB korrigiert, also um einen Minderungsbetrag herabgesetzt. Im Mietrecht entfällt aber tatsächlich der Anspruch auf den gesamten Mietzins, in §536 I S.1, ist insofern auch explizit von einer „Befreiung“ die Rede. An die Stelle des zu entrichtenden Mietzinses tritt, nach S. 2, dann ein geminderter Mietzins. Der Grund dürfte darin liegen, dass es sich bei dem Mietverhältnis um ein Dauerschuldverhältnis handelt, bei dem beiderseits wiederkehrende Leistungen geschuldet sind - was dazu führt, dass wenn die wiederkehrende Leistung wiederholt nicht erbracht wird, ein Recht zur Kündigung besteht. Aus §543 II Nr. 3 BGB ergibt sich ja die Konkretisierung hinsichtlich der zwei Monatsmieten etc. Die Formulierung aus § 536 I 1 schützt gewissermaßen den Mieter, der eine mangelhafte
Mietsachehat, ein Stück Weit davor, während der Zeit, in der man sich über das Bestehen oder den Umfang des Mangels streitet, wegen „Minderung“ der Miete gekündigt zu werden - bzw. sich mit einer Kündigung auseinandersetzen zu müssen, da in dieser Zeit nicht „die“ Miete geschuldet wird, sondern nur eine (andere) geminderte Miete. Zwar ist in §543 II Nr. 3a BGB auch alternativ von einem „nicht
unerheblichen Teil der Miete“ die Rede, dieser dürfte aber bei einer Minderung regelmäßig nicht erreicht sein. Wenn es klar ist, dass es einen Mangel gibt, nur die Höhe der Minderung streitig ist, ergibt sich, dass jedenfalls nicht die eigentliche Miete geschuldet ist, sondern nur eine andere, insofern irgendwie geringere Miete, was die Hürde der „Erheblichkeit“ ja zumindest um einen gewissen Faktor heraufsetzt. (Wenn der Mangel als solcher bestritten wird, dann scheitert die Erheblichkeit aber wohl trotzdem regelmäßig, da die Standardfälle sich ja meist nur um Bereich von 5-20% abspielen, wenn auch der Spielraum dann geringer wäre, bzw. das Risiko höher.) Zwar regelt der Fall des §543 II Nr. 3b noch, dass ein wichtiger Grund auch dann gegeben ist, wenn der Rückstand den Betrag von zwei Monatsmieten erreicht hat, aber auch hier hätte der Mieter einen größeren Spielraum, sich mit dem Vermieter über die Minderung auseinandersetzen, ohne gleich die Kündigung fürchten zu müssen, da im fraglichen Zeitraum die Miete ja geringer wäre - jedenfalls wenn der Mangel sicher besteht, so dass der offene Betrag zumindest etwas höher sein muss, als lediglich zwei „reguläre“ Mieten. Natürlich ist das kein garantierter Schutz vor einer Kündigung, ein Vermieter wird sich dann aber wohl zwei Mal überlegen, tatsächlich zu kündigen, und damit Kosten zu riskieren.
Lukas_Mengestu
2.5.2024, 12:20:50
Hi ihr beiden, wir haben die Formulierungen noch einmal etwas angepasst, um deutlicher zu machen, dass hier M nur bzgl. eines Mietteils kürzen kann. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Jojo23
15.4.2024, 11:54:49
Ich habe es so in Erinnerung, dass, wenn der Vermieter als Eigentümer den Baulärm dulden muss, der Mieter diesen auch dulden muss. Eine
Beschaffenheitsvereinbarungbzgl. der Baulärmfreiheit anzunehmen, nur weil das Gebäude in einer ruhigen Strasse in einem gehobenen Viertel steht, finde ich auch schwierig. Mit Bebauungen oder mit Lärm verbundenen Renovierungen muss man doch eigentlich überall rechnen. Der Vermieter muss den Baulärm ja auch selbst hinnehmen und könnte Mangel ja auch gar nicht beseitigen.
Merle_Breckwoldt
16.4.2024, 15:47:38
Hallo Jojo23, zur
Beschaffenheitsvereinbarung: In der Tat bedarf es für eine (
konkludente)
Beschaffenheitsvereinbarungdes übereinstimmenden Willens beider Vertragsparteien (hier bezüglich der Baulärmfreiheit), wobei gem.
§§ 133, 157 BGBauszulegen ist. Würden sich gar keine Anhaltspunkte für einen beiderseits übereinstimmenden (!) Willen finden, wäre eine
Beschaffenheitsvereinbarungin den "Umfeldmangel"-Fällen tatsächlich ausgeschlossen. Der Wille wurde hier allerdings darin gesehen, dass das Gebäude in einer ruhigen/gehobenen Umgebung liegt (vgl. Pflicht des Vermieters, § 535 I BGB) und andererseits auch die vereinbarte Miete außerordentlich hoch war (Pflicht des Mieters, § 535 II BGB). In diesem Sinne ist tatsächlich nicht 'überall' mit Lärm zu rechnen, sondern der
Einzelfallist maßgeblich. Im Weiteren wird der Mangelbegriff nach h.M. tatsächlich dadurch beschränkt, dass kein Mangel vorliegen soll, wenn der Vermieter die Beeinträchtigungen i.S.v.
§ 906 BGBohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeit als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss. Das war hier jedoch gerade nicht der Fall, sodass ein Mangel vorlag und damit eine Minderung vorzunehmen war. Hinweis: Der Ansatz mit
§ 906 BGBsteht stark in der Kritik (s. nur KG Berlin, BeckRS 2020, 26421, Rn. 24 ff.), auch in einem anders gelagerten Fall könntest Du also ggf. noch weiter diskutieren. Viele Grüße, Merle für das Jurafuchs-Team