Abgrenzung Inhalts-/Eigenschaftsirrtum
16. Februar 2025
16 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K zeigt in einem Möbelgeschäft auf einen Sessel und sagt zu V: „Den kaufe ich!“, in der Erwartung er sei antik. V willigt ein. Tatsächlich handelt es sich jedoch um einen neuen Sessel, der nur antik aussieht.
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Einordnung des Falls
Abgrenzung Inhalts-/Eigenschaftsirrtum
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K und V haben einen Kaufvertrag über den neuen Sessel geschlossen (§ 433 BGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. K kann seine Willenserklärung wegen eines Inhaltsirrtums anfechten (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs.1 Alt. 1 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Das Alter des Sessels ist eine verkehrswesentliche Eigenschaft i.S.d. Anfechtungsrechts (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 2 BGB).
Ja, in der Tat!
4. Diese Eigenschaft berechtigt K hier unstreitig zur Anfechtung.
Nein, das ist nicht der Fall!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Daniel
14.11.2022, 17:30:12
Aufgrund des Wortlautes der Norm finde ich es naheliegend, einen
Inhaltsirrtumnach § 119 I Alt. 1 (i.V.m. § 119 II) zu bejahen. Insofern wäre die entsprechende Frage dann anders zu beantworten.
![Nora Mommsen](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar__1g4ube287wphue6xpdn8yy675.jpeg%3Ftype%3Draw&w=64&q=75)
Nora Mommsen
15.11.2022, 11:11:29
Hallo Daniel, ein
Inhaltsirrtumliegt vor, wenn der Erklärende über die Bedeutung des Wortes (oder anderen Erklärungszeichens) irrt, das er abgibt. Vorliegend möchte K "kaufen" sagen und sagt genau das, er irrt somit nicht über die Bedeutung des Wortes. Ein
Inhaltsirrtumscheidet daher aus. K stellt sich vor der Sessel sei antik. In Wahrheit ist es aber ein neuer Sessel in Antik-Optik. Er irrt somit über eine Eigenschaft des Kaufgegenstandes, dies begründet einen
Eigenschaftsirrtumi.S.d. § 119 Abs. 2 BGB. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Daniel
15.11.2022, 13:15:57
Diese schematische Einteilung habe ich auch Anno dazumal im ersten Semester gelernt. Aber wenn man sich den Wortlaut der Norm ansieht ("Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch...") scheint das Gesetz ja den
Eigenschaftsirrtumals Unterfall des
Inhaltsirrtums einzuordnen. Wird das vertreten? Wenn nein, was spricht dagegen (außer das der Professor es im ersten Semester so erklärt hat)?
Daniel
16.11.2022, 09:46:58
Ich füge hinzu: Mir ist bewusst, dass Fragen dieser Art etwas "Out of the box" sind und die meisten Studenten dagegen wohl eher abgeneigt sind. "Nicht prüfungsrelevant." Aber ich versuche immer solche Sachen nicht einfach auswendig zu lernen, sondern - auch durch kritisches hinterfragen - wirklich zu verstehen.
![Jonas22](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar__mzjdxrorqqhlhbviulayw.jpeg%3Ftype%3Draw&w=64&q=75)
Jonas22
23.12.2023, 21:46:08
Hallo Daniel, ich habe es auch erst so wie du gelesen und gedacht, dass der
Eigenschaftsirrtumnach § 119 Abs. 2 BGB ein Unterfall des
Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB ist, aber die Formulierung „gilt auch“ könnte m.M. nach eher für eine
gesetzliche Fiktionsprechen. Das heißt er wird eben nur behandelt wie ein
Inhaltsirrtum.
Blotgrim
3.2.2024, 11:01:27
So würde ich es auch eher sehen. Das mit dem Unterfall sehe ich kritisch. Damit es ein Unterfall ist müssten ja die Voraussetzungen des
Inhaltsirrtums erfüllt sein, Unterfall bedeutet ja dass etwas unter die Voraussetzungen einer Oberkategorie (hier des
Inhaltsirrtums) fällt. Hier liegt meiner Meinung nach das Problem. Beim
Inhaltsirrtumirre ich darüber was ich sage, wie im Klassiker mit dem Hai- und Walfleisch. Beim
Eigenschaftsirrtumbewerte ich den Inhalt meiner
Aussagekorrekt, irre aber über eine Eigenschaft die nicht Teil meiner Erklärung war. Wenn ich bpsw sage "Ich kaufe Bild A von Herr B" und es handelt sich um ein Bild A das Herr B gehört aber gefälscht ist, dann irre ich nicht über den Inhalt meiner Erklärung, der ist ja richtig, sondern über eine davon unabhängige Eigenschaft. Die beiden Fälle sind damit zu verschieden, damit einer ein Unterfall des anderen sein kann. Sie haben lediglich die selbe Rechtsfolge.
Reus04
19.4.2023, 14:07:53
Hier liegt doch kein Unterschied zum Pferdefleisch/Schweinefleisch Fall? Hier wird jedoch der
Inhaltsirrtumverneint
![Nora Mommsen](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar__1g4ube287wphue6xpdn8yy675.jpeg%3Ftype%3Draw&w=64&q=75)
Nora Mommsen
20.4.2023, 13:36:51
Hallo Reus04, der Unterschied liegt darin, dass K bei Abgabe der Erklärung genau den Sessel meinte der auch vor ihm stand. Er hat sich nicht geirrt in dem Objekt, was er meinte und dieses auch nicht falsch bezeichnet. Sein Irrtum liegt auf der Ebene der Eigenschaft ebendieses korrekt bezeichneten Objektes. Er stellte sich vor, es handle sich um einen antiken Sessel. Dies ist nicht der Fall. Daher handelt es sich um einen
Eigenschaftsirrtum. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
![DeliktusMaximus](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar__vvzhirxpfdjesipwrsggw.jpeg%3Ftype%3Draw&w=64&q=75)
DeliktusMaximus
16.10.2024, 18:31:07
Timurso
16.10.2024, 21:48:47
Ich würde sagen nein, da kein Mangel vorliegt. Nach dem objektivem
Empfängerhorizontwurde ein Vertrag über ein neuen Sessel in antikem Stil geschlossen. Genau dieser wird auch übereignet. Lediglich die Vorstellung des Käufers weicht hier vom Vertrag ab, nicht jedoch der Kaufgegenstand vom Vereinbarten.
![Ala](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar__zikcfdotpfstslbrnljcw.jpeg%3Ftype%3Draw&w=64&q=75)
Ala
17.10.2024, 16:27:34
Wieso greift hier nicht dieses „er hätte die Eigenschaft „antik“ in die Vereinbarung mit aufnehmen können, wenn ihm diese so wichtig ist“, womit man eine Sperrung der Anfechtung durch das
gewährleistungsrecht begründet, siehe Kapitel „Konkurrenzen“ beim kaufrecht :) Ist der Knackpunkt, dass durchaus eine
beschaffenheitsvereinbarungvorliegt (nämlich neuer Sessel im antik-Look) und dem Käufer dadurch nicht vorzuwerfen ist, dass er diese Eigenschaft hätte zur Sprache bringen müssen?
Timurso
18.10.2024, 07:12:37
@[Ala](241758) tatsächlich kannte ich diese Konstellation vorher nicht, würde mich deiner Begründung aber anschließen. Andernfalls wäre ja im gesamten Kaufrecht insgesamt keine Anfechtung nach § 119 II möglich.
![Sebastian Schmitt](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar__lyznfvckfbxavzofeqirs.jpeg%3Ftype%3Draw&w=64&q=75)
Sebastian Schmitt
28.10.2024, 08:35:04
Hallo @[DeliktusMaximus](178154), es ist gut, dass Dir dieses Abgrenzungsproblem bewusst ist und man sollte diesen Punkt immer gedanklich kurz checken, wenn eine Anfechtung wegen
Eigenschaftsirrtums im Raum steht. Den Grund, warum die Sach
mängelgewährleistungsrechte hier nicht die Anfechtung nach § 119 II BGB sperren, hat @[Timurso](197555) schon genau richtig dargestellt: Wir haben hier keinen
Sachmangel, dementsprechend müssen wir §§ 434 ff keinen Vorrang einräumen (näher dazu zB MüKoBGB/Armbrüster, 9. Auflage 2021, § 119 Rn 29). Wir haben iÜ nach unserer knappen Sachverhaltsdarstellung wohl auch noch keinen
Gefahrübergang, wobei str ist, ob das eine Rolle spielt (dazu ebenfalls MüKoBGB/Armbrüster, 9. Auflage 2021, § 119 Rn 32 mwN). Was die Frage von @[Ala](241758) angeht: Ich würde gerne mal einen Blick auf den anderen Fall werfen, den Du meinst, weil ich Deine Frage noch nicht ganz verstanden habe, fürchte ich. Ich bin allerdings nicht ganz sicher, um welchen Fall es Dir geht, meinst Du den hier: https://applink.jurafuchs.de/jmZRwBWA3Nb? Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
![Ala](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar__zikcfdotpfstslbrnljcw.jpeg%3Ftype%3Draw&w=64&q=75)
Ala
6.1.2025, 10:42:42
Hi @[Sebastian Schmitt](263562), vielen Dank! Genau den Fall meine ich. Eine Erklärung wäre großartig 😍
![Sebastian Schmitt](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar__lyznfvckfbxavzofeqirs.jpeg%3Ftype%3Draw&w=64&q=75)
Sebastian Schmitt
19.1.2025, 12:46:37
Hallo @[Ala](241758), danke für die Aufklärung! Die Antwort auf Deine Frage ist alles andere als einfach. Nach genauerer Recherche muss ich deswegen auch meine Antwort oben etwas revidieren, auch wenn das wohl nach wie vor eine vertretbare Auffassung ist. Die wohl hL befürwortet einen sehr umfassenden Ausschluss der Anfechtung nach § 119 II BGB ggü den kaufrechtlichen
Gewährleistungsrechten (BeckOGK-BGB/Rehberg, Stand 1.9.2024, § 119 Rn 166 ff; Staudinger/Singer, BGB, Neubearb 2021, § 119 Rn 85). Das scheint zumindest mittlerweile auch die Tendenz der Rspr zu sein. Die Formulierungen hinsichtlich des Umfangs bleiben allerdings etwas kryptisch. So soll der Ausschluss hinsichtlich solcher Eigenschaften gelten, die "
Gewährleistungsrechte begründen können" (Staudinger/Singer, BGB, Neubearb 2021, § 119 Rn 85) oder "vom
Gewährleistungsrecht erfasst werden" (BeckOGK-BGB/Rehberg, Stand 1.9.2024, § 119 Rn 167). Noch einmal besonders umstritten ist daher die Frage, ob das selbst dann gelten soll, wenn wir es lediglich mit einem potenziellen Mangel zu tun haben, einer Eigenschaft, die einen Mangel begründen kann (!), es aber in concreto nicht tut (so in diesem Fall hier, weil der Sessel "neu" sein soll und es auch ist). So oder so führt all das aber iE zu einem weitreichenden Ausschluss der Anfechtung wegen
Eigenschaftsirrtums im KaufR, @[Timurso](197555), jedenfalls bei Anfechtung durch den Käufer. Man wird die Möglichkeit der Anfechtung in unserem Fall auch kaum allein dadurch rechtfertigen können, dass hier tatsächlich eine
Beschaffenheitsvereinbarungvorliegt, denn gerade dann sind wir ja im Sach
mängelgewährleistungsrecht und gerade dann drohen die fein ausdifferenzierte Regelungen des
Gewährleistungsrechts (hinsichtlich
Nacherfüllung, Verjährung etc) durch die recht "plumpe" Anfechtung unterlaufen zu werden (vgl Staudinger/Singer, BGB, Neubearb 2021, § 119 Rn 84). Vor diesem Hintergrund halte ich den oben verlinkten "Auto-Fall" für gut vertretbar gelöst. Bei unserem Fall hier mit dem Sessel sollten wir aber besser noch etwas zurückhaltender formulieren, was die Möglichkeit der Anfechtung angeht. Wir haben deshalb diese Aufgabe angepasst. Ich möchte betonen, dass das im Einzelnen eine wirklich komplexe und vielschichtige Frage ist, die dementsprechend auch nicht leicht in Kürze aufzubereiten ist und an der wir aus Klarstellungsgründen möglicherweise auch in Zukunft nochmal arbeiten müssen - wir behalten Euer Feedback hierzu im Auge! Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
stefunny
7.2.2025, 18:35:33
Liebes Jurafuchs-Team, ich bin etwas verwirrt, wieso hier Wertungswidersprüche mit 433ff. BGB vorliegen sollen. Der Sessel ist doch nicht mangelhaft? Habe es leider trotz der sehr ausführlichen Erklärung in den Kommentaren noch nicht verstanden, wann die Anfechtung wegen eines
Eigenschaftsirrtums nun ausgeschlossen ist und wann nicht. Über eine kurze Zusammenfassung darüber, wann
Gewährleistungsrecht zur Anwendung kommt und wann nicht, wäre ich sehr dankbar! Liebe Grüße