Abgrenzung Inhalts-/Eigenschaftsirrtum

16. Februar 2025

16 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K zeigt in einem Möbelgeschäft auf einen Sessel und sagt zu V: „Den kaufe ich!“, in der Erwartung er sei antik. V willigt ein. Tatsächlich handelt es sich jedoch um einen neuen Sessel, der nur antik aussieht.

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Einordnung des Falls

Abgrenzung Inhalts-/Eigenschaftsirrtum

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K und V haben einen Kaufvertrag über den neuen Sessel geschlossen (§ 433 BGB).

Ja!

Ein Vertrag kommt zustande durch zwei inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot und Annahme (§§ 145, 147 BGB). Die von K gegenüber V abgegebene Erklärung, er möchte den Sessel kaufen, kann in Verbindung mit dem Zeigen auf den Sessel nach dem objektiven Empfängerhorizont (§ 157 BGB) nur so verstanden werden, dass er genau den Sessel kaufen möchte, auf den er zeigt. Dass er nach seinem subjektiven Willen (§ 133 BGB) davon ausging, der Sessel sei antik, führt aus Verkehrsschutzgründen nicht zur Unwirksamkeit der Erklärung. V hat das Angebot auch angenommen (§ 147 BGB), sodass ein Kaufvertrag zustande kam.
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2. K kann seine Willenserklärung wegen eines Inhaltsirrtums anfechten (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs.1 Alt. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

K kann wegen Inhaltsirrtums anfechten, wenn Wille und Erklärung auseinander fallen. K muss also, ohne dies zu bemerken, gegenüber V aus dessen Sicht etwas anderes zum Ausdruck gebracht haben, als er tatsächlich erklären wollte. Allerdings zeigte K gerade auf den Sessel, den er auch kaufen wollte. Das Alter des Sessels wird hier nicht in die Erklärung aufgenommen und zu einer Eigenschaft gemacht, sondern bleibt bloßes Motiv zur Abgabe der Erklärung. Es handelt sich damit nicht um einen auf Eigenschaften der Sache bezogenen Inhaltsirrtum (error in obiecto), sondern um einen bloßen Motivirrtum, der grundsätzlich nicht zur Anfechtung berechtigt.

3. Das Alter des Sessels ist eine verkehrswesentliche Eigenschaft i.S.d. Anfechtungsrechts (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Der Eigenschaftsirrtum stellt eine Ausnahme von der Regel dar, dass die Motive, die den Erklärenden zum Vertragsschluss bewegen, nicht zur Anfechtung berechtigen. Dazu muss sich der Erklärende jedoch über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Sache geirrt haben. Eigenschaften einer Sache sind alle wertbildenden Faktoren. Sie sind verkehrswesentlich, wenn sie nach der Verkehrsanschauung oder der Parteienabrede als wesentlich anzusehen sind. Das Alter eines Möbelstücks hat immense Auswirkungen auf dessen Wert. Es ist somit eine verkehrswesentliche Eigenschaft.

4. Diese Eigenschaft berechtigt K hier unstreitig zur Anfechtung.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums durch den Käufer soll die ausdifferenzierten Regelungen des Sachmängelgewährleistungsrechts (z.B. hinsichtlich Nacherfüllung, Verjährung) nicht unterlaufen. Die wohl h.M. befürwortet daher einen weitreichenden Ausschluss der Anfechtung durch den Käufer, wenn eine Eigenschaft betroffen ist, die Gewährleistungsrechte begründen kann. Ob das selbst dann gelten soll, wenn es sich bei der betroffenen Eigenschaft lediglich um einen potenziellen Mangel handelt, ein Sachmangel im konkreten Fall also gar nicht vorliegt, ist besonders str. Das Alters des Sessels ist jedenfalls eine Eigenschaft der Sache, die auch im Rahmen des Sachmängelgewährleistungsrechts der §§ 434ff. BGB beachtlich wäre. Ob K hier zur Anfechtung berechtigt ist, ist deshalb str. Bejaht man hier ein Anfechtungsrecht, weil es sich lediglich um einen potenziellen Mangel handelt, kann K sich vom Vertrag lösen. Lehnt man es ab, um Wertungswidersprüche zwischen §§ 434ff. BGB und dem Anfechtungsrecht zu vermeiden, kann er weder anfechten noch stehen ihm Rechte aus §§ 434ff. BGB zu, weil die tatsächlichen Eigenschaften der Sache nicht von der Vereinbarung abweichen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAN

Daniel

14.11.2022, 17:30:12

Aufgrund des Wortlautes der Norm finde ich es naheliegend, einen

Inhaltsirrtum

nach § 119 I Alt. 1 (i.V.m. § 119 II) zu bejahen. Insofern wäre die entsprechende Frage dann anders zu beantworten.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

15.11.2022, 11:11:29

Hallo Daniel, ein

Inhaltsirrtum

liegt vor, wenn der Erklärende über die Bedeutung des Wortes (oder anderen Erklärungszeichens) irrt, das er abgibt. Vorliegend möchte K "kaufen" sagen und sagt genau das, er irrt somit nicht über die Bedeutung des Wortes. Ein

Inhaltsirrtum

scheidet daher aus. K stellt sich vor der Sessel sei antik. In Wahrheit ist es aber ein neuer Sessel in Antik-Optik. Er irrt somit über eine Eigenschaft des Kaufgegenstandes, dies begründet einen

Eigenschaftsirrtum

i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DAN

Daniel

15.11.2022, 13:15:57

Diese schematische Einteilung habe ich auch Anno dazumal im ersten Semester gelernt. Aber wenn man sich den Wortlaut der Norm ansieht ("Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch...") scheint das Gesetz ja den

Eigenschaftsirrtum

als Unterfall des

Inhaltsirrtum

s einzuordnen. Wird das vertreten? Wenn nein, was spricht dagegen (außer das der Professor es im ersten Semester so erklärt hat)?

DAN

Daniel

16.11.2022, 09:46:58

Ich füge hinzu: Mir ist bewusst, dass Fragen dieser Art etwas "Out of the box" sind und die meisten Studenten dagegen wohl eher abgeneigt sind. "Nicht prüfungsrelevant." Aber ich versuche immer solche Sachen nicht einfach auswendig zu lernen, sondern - auch durch kritisches hinterfragen - wirklich zu verstehen.

Jonas22

Jonas22

23.12.2023, 21:46:08

Hallo Daniel, ich habe es auch erst so wie du gelesen und gedacht, dass der

Eigenschaftsirrtum

nach § 119 Abs. 2 BGB ein Unterfall des

Inhaltsirrtum

s nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB ist, aber die Formulierung „gilt auch“ könnte m.M. nach eher für eine

gesetzliche Fiktion

sprechen. Das heißt er wird eben nur behandelt wie ein

Inhaltsirrtum

.

BL

Blotgrim

3.2.2024, 11:01:27

So würde ich es auch eher sehen. Das mit dem Unterfall sehe ich kritisch. Damit es ein Unterfall ist müssten ja die Voraussetzungen des

Inhaltsirrtum

s erfüllt sein, Unterfall bedeutet ja dass etwas unter die Voraussetzungen einer Oberkategorie (hier des

Inhaltsirrtum

s) fällt. Hier liegt meiner Meinung nach das Problem. Beim

Inhaltsirrtum

irre ich darüber was ich sage, wie im Klassiker mit dem Hai- und Walfleisch. Beim

Eigenschaftsirrtum

bewerte ich den Inhalt meiner

Aussage

korrekt, irre aber über eine Eigenschaft die nicht Teil meiner Erklärung war. Wenn ich bpsw sage "Ich kaufe Bild A von Herr B" und es handelt sich um ein Bild A das Herr B gehört aber gefälscht ist, dann irre ich nicht über den Inhalt meiner Erklärung, der ist ja richtig, sondern über eine davon unabhängige Eigenschaft. Die beiden Fälle sind damit zu verschieden, damit einer ein Unterfall des anderen sein kann. Sie haben lediglich die selbe Rechtsfolge.

REUS04

Reus04

19.4.2023, 14:07:53

Hier liegt doch kein Unterschied zum Pferdefleisch/Schweinefleisch Fall? Hier wird jedoch der

Inhaltsirrtum

verneint

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.4.2023, 13:36:51

Hallo Reus04, der Unterschied liegt darin, dass K bei Abgabe der Erklärung genau den Sessel meinte der auch vor ihm stand. Er hat sich nicht geirrt in dem Objekt, was er meinte und dieses auch nicht falsch bezeichnet. Sein Irrtum liegt auf der Ebene der Eigenschaft ebendieses korrekt bezeichneten Objektes. Er stellte sich vor, es handle sich um einen antiken Sessel. Dies ist nicht der Fall. Daher handelt es sich um einen

Eigenschaftsirrtum

. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

16.10.2024, 18:31:07

Ist hier die Anfechtung wegen eines

Eigenschaftsirrtum

s nicht wegen des Kaufrechts gesperrt?

TI

Timurso

16.10.2024, 21:48:47

Ich würde sagen nein, da kein Mangel vorliegt. Nach dem objektivem

Empfängerhorizont

wurde ein Vertrag über ein neuen Sessel in antikem Stil geschlossen. Genau dieser wird auch übereignet. Lediglich die Vorstellung des Käufers weicht hier vom Vertrag ab, nicht jedoch der Kaufgegenstand vom Vereinbarten.

Ala

Ala

17.10.2024, 16:27:34

Wieso greift hier nicht dieses „er hätte die Eigenschaft „antik“ in die Vereinbarung mit aufnehmen können, wenn ihm diese so wichtig ist“, womit man eine Sperrung der Anfechtung durch das

gewährleistung

srecht begründet, siehe Kapitel „Konkurrenzen“ beim kaufrecht :) Ist der Knackpunkt, dass durchaus eine

beschaffenheitsvereinbarung

vorliegt (nämlich neuer Sessel im antik-Look) und dem Käufer dadurch nicht vorzuwerfen ist, dass er diese Eigenschaft hätte zur Sprache bringen müssen?

TI

Timurso

18.10.2024, 07:12:37

@[Ala](241758) tatsächlich kannte ich diese Konstellation vorher nicht, würde mich deiner Begründung aber anschließen. Andernfalls wäre ja im gesamten Kaufrecht insgesamt keine Anfechtung nach § 119 II möglich.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

28.10.2024, 08:35:04

Hallo @[DeliktusMaximus](178154), es ist gut, dass Dir dieses Abgrenzungsproblem bewusst ist und man sollte diesen Punkt immer gedanklich kurz checken, wenn eine Anfechtung wegen

Eigenschaftsirrtum

s im Raum steht. Den Grund, warum die Sach

mängelgewährleistung

srechte hier nicht die Anfechtung nach § 119 II BGB sperren, hat @[Timurso](197555) schon genau richtig dargestellt: Wir haben hier keinen

Sachmangel

, dementsprechend müssen wir §§ 434 ff keinen Vorrang einräumen (näher dazu zB MüKoBGB/Armbrüster, 9. Auflage 2021, § 119 Rn 29). Wir haben iÜ nach unserer knappen Sachverhaltsdarstellung wohl auch noch keinen

Gefahrübergang

, wobei str ist, ob das eine Rolle spielt (dazu ebenfalls MüKoBGB/Armbrüster, 9. Auflage 2021, § 119 Rn 32 mwN). Was die Frage von @[Ala](241758) angeht: Ich würde gerne mal einen Blick auf den anderen Fall werfen, den Du meinst, weil ich Deine Frage noch nicht ganz verstanden habe, fürchte ich. Ich bin allerdings nicht ganz sicher, um welchen Fall es Dir geht, meinst Du den hier: https://applink.jurafuchs.de/jmZRwBWA3Nb? Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Ala

Ala

6.1.2025, 10:42:42

Hi @[Sebastian Schmitt](263562), vielen Dank! Genau den Fall meine ich. Eine Erklärung wäre großartig 😍

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

19.1.2025, 12:46:37

Hallo @[Ala](241758), danke für die Aufklärung! Die Antwort auf Deine Frage ist alles andere als einfach. Nach genauerer Recherche muss ich deswegen auch meine Antwort oben etwas revidieren, auch wenn das wohl nach wie vor eine vertretbare Auffassung ist. Die wohl hL befürwortet einen sehr umfassenden Ausschluss der Anfechtung nach § 119 II BGB ggü den kaufrechtlichen

Gewährleistung

srechten (BeckOGK-BGB/Rehberg, Stand 1.9.2024, § 119 Rn 166 ff; Staudinger/Singer, BGB, Neubearb 2021, § 119 Rn 85). Das scheint zumindest mittlerweile auch die Tendenz der Rspr zu sein. Die Formulierungen hinsichtlich des Umfangs bleiben allerdings etwas kryptisch. So soll der Ausschluss hinsichtlich solcher Eigenschaften gelten, die "

Gewährleistung

srechte begründen können" (Staudinger/Singer, BGB, Neubearb 2021, § 119 Rn 85) oder "vom

Gewährleistung

srecht erfasst werden" (BeckOGK-BGB/Rehberg, Stand 1.9.2024, § 119 Rn 167). Noch einmal besonders umstritten ist daher die Frage, ob das selbst dann gelten soll, wenn wir es lediglich mit einem potenziellen Mangel zu tun haben, einer Eigenschaft, die einen Mangel begründen kann (!), es aber in concreto nicht tut (so in diesem Fall hier, weil der Sessel "neu" sein soll und es auch ist). So oder so führt all das aber iE zu einem weitreichenden Ausschluss der Anfechtung wegen

Eigenschaftsirrtum

s im KaufR, @[Timurso](197555), jedenfalls bei Anfechtung durch den Käufer. Man wird die Möglichkeit der Anfechtung in unserem Fall auch kaum allein dadurch rechtfertigen können, dass hier tatsächlich eine

Beschaffenheitsvereinbarung

vorliegt, denn gerade dann sind wir ja im Sach

mängelgewährleistung

srecht und gerade dann drohen die fein ausdifferenzierte Regelungen des

Gewährleistung

srechts (hinsichtlich

Nacherfüllung

, Verjährung etc) durch die recht "plumpe" Anfechtung unterlaufen zu werden (vgl Staudinger/Singer, BGB, Neubearb 2021, § 119 Rn 84). Vor diesem Hintergrund halte ich den oben verlinkten "Auto-Fall" für gut vertretbar gelöst. Bei unserem Fall hier mit dem Sessel sollten wir aber besser noch etwas zurückhaltender formulieren, was die Möglichkeit der Anfechtung angeht. Wir haben deshalb diese Aufgabe angepasst. Ich möchte betonen, dass das im Einzelnen eine wirklich komplexe und vielschichtige Frage ist, die dementsprechend auch nicht leicht in Kürze aufzubereiten ist und an der wir aus Klarstellungsgründen möglicherweise auch in Zukunft nochmal arbeiten müssen - wir behalten Euer Feedback hierzu im Auge! Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

STEFU

stefunny

7.2.2025, 18:35:33

Liebes Jurafuchs-Team, ich bin etwas verwirrt, wieso hier Wertungswidersprüche mit 433ff. BGB vorliegen sollen. Der Sessel ist doch nicht mangelhaft? Habe es leider trotz der sehr ausführlichen Erklärung in den Kommentaren noch nicht verstanden, wann die Anfechtung wegen eines

Eigenschaftsirrtum

s nun ausgeschlossen ist und wann nicht. Über eine kurze Zusammenfassung darüber, wann

Gewährleistung

srecht zur Anwendung kommt und wann nicht, wäre ich sehr dankbar! Liebe Grüße


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