+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
In Reaktion auf Missbrauch von EU-Subventionen wollen Rat und Parlament eine Verordnung erlassen, die die EU-Kommission ermächtigt, die Subventionsempfänger und deren Mitarbeiter voraussetzungslos elektronisch zu überwachen. Kommissionsjuristin J zweifelt daran, dass das so ginge.
Diesen Fall lösen 88,4 % der 15.000 Nutzer:innen
unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Grundfall Anwendungsbereich Unionsorgan
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Enthält die EU-Grundrechte-Charta (GRCh) ein ausdrücklich normiertes Recht auf den Schutz personenbezogener Daten?
Genau, so ist das!
Art. 8 GRCh normiert ausdrücklich den Schutz personenbezogener Daten als Grundrecht. Danach hat jede Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten (Art. 8 Abs. 1 GRCh). Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden (Art. 8 Abs. 2 S. 1 GRCh). Im GG gibt es kein ausdrücklich normiertes Grundrecht zum Schutz personenbezogener Daten. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) enthält jedoch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das personenbezogene Daten schützt.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.
2. Damit Art. 8 GRCh im vorliegenden Fall seinen Schutz entfalten kann, müsste die GRCh anwendbar sein.
Ja, in der Tat!
Die GRCh gilt nur dann, wenn ihr Anwendungsbereich eröffnet ist. Art. 51 GRCh normiert diesen Anwendungsbereich. Danach gilt die GRCh uneingeschränkt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU. Sollten in Deiner Klausur die Grundrechte der GRCh eine Rolle spielen, musst Du zuerst prüfen, ob der Anwendungsbereich (Art. 51 Abs. 1 GRCh) eröffnet ist. Nur hier werden von Dir bei den Grundrechten der GRCh vertiefte Kenntnisse erwartet.
Die Frage nach dem Anwendungsbereich eines Gesetzes ist für Juristen nichts Besonderes. Bei Grundrechten wirkt diese Frage aus innerstaatlicher Perspektive auf den ersten Blick etwas fremd, da Grundrechte ja immer gelten sollten. Bei genauem Hinsehen haben auch die Grundrechte des GG einen Anwendungsbereich: Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden sie alle deutsche Hoheitsgewalt.
3. Ist der Anwendungsbereich der GRCh vorliegend eröffnet?
Ja!
Die GRCh gilt zunächst für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union (Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh). Rat und Parlament sowie Kommission sind Organe der Union (Art. 13 Abs. 1, Abs. 2 EUV). Sie sind damit an die Grundrechte der GRCh gebunden, der Anwendungsbereich ist gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GRCh eröffnet. Ob die vorliegende Verordnung gegen Art. 8 GRCh verstößt, wäre nun im weiteren zu prüfen. Da die Verordnung eine voraussetzungslose elektronische Überwachung bestimmter Personen und Unternehmen ermöglichen soll, spricht viel dafür, dass die Verordnung gegen Art. 8 GRCh verstieße und daher rechtswidrig wäre. Im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten ist auch immer die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu beachten.