Missbrauchstatbestand Grundfall 2

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Klassisches Klausurproblem

H ist Handelsvertreter bei Dekoartikelhersteller D. Er ist befugt, mit Hotellerie-Kunden Verträge abzuschließen und bekommt dann Provision. Vertraglich wurde ein Inkassoverbot vereinbart. Dennoch kassiert H Rechnungsbeträge ein und behält sie für sich

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Einordnung des Falls

Missbrauchstatbestand Grundfall 2

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn H die ihm durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen sie zu betreuen hat, Nachteil zufügt, erfüllt er den objektiven Tatbestand der Untreue (§ 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Der Missbrauchstatbestand erfasst Konstellationen, in denen dem Täter eine rechtliche Befugnis eingeräumt ist, nach außen rechtswirksam über fremdes Vermögen zu verfügen bzw. einen anderen schuldrechtlich zu verpflichten. Diese Befugnis missbraucht er, indem er die im Innenverhältnis bestehenden Schranken überschreitet und den vertretenen Treugeber im Außenverhältnis rechtswirksam bindet und so schädigt.§ 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB normiert als lex specialis für das Treueverhältnis engere Kriterien. In der Klausur sollte immer mit dieser Alternative als dem spezielleren Delikt begonnen werden. Bei Bejahung erübrigt sich die Prüfung der Alt. 2.
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2. H hat eine rechtliche Befugnis missbraucht.

Nein!

Die rechtliche Befugnis kann durch Gesetz, Rechtsgeschäft oder behördlichen Auftrag eingeräumt sein, wobei Überschneidungen vorkommen. Rechtsgeschäftliche Befugnisse ergeben sich insbesondere aus Vollmachten (§§ 164ff. BGB).H hat keine Inkassovollmacht. Daher kann er beim Einkassieren keine rechtliche Befugnis missbrauchen. Auch wenn D die Zahlungen nach den Grundsätzen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht gegen sich gelten lassen müsste, wäre § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB nicht gegeben. H erfüllt aber den Treuebruchstatbestand des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

L.G

L.Goldstyn

4.8.2024, 23:36:43

Aus meiner Sicht wird hier der Unterschied zum Prokuristen noch nicht hinreichend deutlich. Am besten lässt sich der Unterschied mE erklären, wenn man als Ausgangspunkt nimmt, dass ein Missbrauch der Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis dann vorliegt, wenn das „rechtliche Können“ des Täters sein „rechtliches Dürfen“ überschreitet. Warum überschreitet also das „rechtliche Können“ des Prokuristen sein „rechtliches Dürfen“, während dies beim Handelsvertreter hier nicht der Fall ist? Gem. § 50 Abs. 1 HGB ist bei einem Prokuristen eine interne Beschränkung des Umfangs (= rechtliches Dürfen) gegenüber Dritten unwirksam. Somit sind Verträge, die der Prokurist mit Dritten abschließt unter Überschreitung der Beschränkung abschließt, wirksam (= rechtliches Können). Damit überschreitet das rechtliche Können das rechtliche Dürfen. Beim einem Handelsvertreter, der wie hier zugleich Abschlussvertreter ist (§ 84 Abs. 1 iVm 55 Abs. 1 HGB) findet zwar grundsätzlich gem. § 55 Abs. 1 HGB der

§ 54 HGB

Anwendung, wonach andere Beschränkungen als die in § 54 Abs. 2 HGB genannten gegenüber Dritten nicht gelten, es sei denn, dass der Dritte sie kannte oder kennen musste. Demnach wäre hier die gleiche Situation wie beim Prokuristen denkbar (das rechtliche Können überschreitet das rechtliche Dürfen). Allerdings sieht § 55 Abs. 3 HGB vor, dass Handelsvertreter, die zugleich Abschlussvertreter sind, zur Annahme von Zahlungen nur berechtigt (Außenverhältnis, somit „rechtliches Können“) sind, wenn sie dazu bevollmächtigt (Innenverhältnis, „rechtliches Dürfen“) sind. Da eine solche Bevollmächtigung im Innenverhältnis hier fehlt, ist der Handelsvertreter im Außenverhältnis nicht zur Annahme von Zahlungen berechtigt. Mithin entspricht sein „rechtliches Können“ seinem „rechtlichen Dürfen“. Ein Missbrauch der Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis scheidet somit aus.


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