Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Verteidigungskosten (Schutzzweck der Norm)

Verteidigungskosten (Schutzzweck der Norm)

24. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Raserin R ist mit überhöhter Geschwindigkeit an einem Unfall mit Opi O (Halter) beteiligt, weil O der R fahrlässig die Vorfahrt nimmt. Bei dem Unfall erleidet R Körper- und Eigentumsverletzungen. Gegen R wird ein Strafverfahren wegen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit eingeleitet. Sie wird erst in der Revision freigesprochen. R verlangt von O Ersatz der Verteidigungskosten im Strafverfahren.

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Einordnung des Falls

Verteidigungskosten (Schutzzweck der Norm)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der haftungsbegründende Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB ist erfüllt.

Ja!

Der haftungsbegründende Tatbestand von § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) einen Verletzungserfolg (2) durch ein zurechenbares Verhalten des Schädigers, der dabei (3) rechtswidrig und (4) schuldhaft gehandelt haben muss. O hat zurechenbar durch sein Fahrverhalten den Körper und das Eigentum der R verletzt. Die Rechtswidrigkeit wird indiziert und O handelte fahrlässig.
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2. Weil eine Körper- bzw. Eigentumsverletzung haftungsbegründend war, werden auf Rechtsfolgenseite auch nur die unmittelbaren Körper- und Sachschäden ersetzt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Sind die haftungsbegründenden Anspruchsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB erfüllt ("Ob"), dann ist der Schädiger "zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens" verpflichtet ("Wie" beziehungsweise "Wie viel"). Der Schutzbereich des Deliktsrechts ist zwar grundsätzlich auf Rechtsgutsverletzungen beschränkt (§ 823 Abs. 1 BGB). Wenn aber eine solche haftungsbegründende Verletzung vorliegt, dann ist auf Rechtsfolgenseite jeder Vermögensschaden zu ersetzen (§§ 249ff. BGB). Im Rahmen der Haftungsausfüllung hört die Diskriminierung von Vermögensschäden also auf, solange sie Folge einer Rechtsgutsverletzung sind.

3. Der Schaden der R – die Verteidigungskosten – müssen dem O zurechenbar sein, damit sie im Rahmen der §§ 249ff. BGB ersetzbar sind.

Ja, in der Tat!

Die Rechtsfolge Schadensersatz tritt nur ein, wenn zwischen dem schädigenden Ereignis und dem entstandenen Schaden ein Zurechnungszusammenhang besteht. Die Schadenszurechnung dient dazu, durch wertende Betrachtung der Ursachenzusammenhänge zurechenbare von nicht mehr zurechenbaren Schadensfolgen zu trennen. Diese haftungsausfüllende Zurechnung erfolgt in drei Schritten: (1) Äquivalenztheorie, (2) Adäquanz und (3) Schutzzweck der Norm.

4. Ein Schaden ist vom Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB umfasst, wenn er nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit ist.

Nein!

Nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm ist ein Schaden nur dann zurechenbar, wenn er nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt. Es muss sich um Einbußen handeln, die aus einem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen wurde. In dem erlittenen Schaden muss sich die besondere Gefahr verwirklichen, in die der Geschädigte durch die Verletzung seines Rechtsguts versetzt worden ist. Wenn sich dagegen zufällig im Zusammenhang mit der Verletzung ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, dem der Verletzte so und so ausgesetzt ist, dann ist dies dem Schädiger nicht zurechenbar.

5. Die Verteidigungskosten sind als Schaden vom Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB erfasst.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 823 Abs. 1 BGB soll vor Gefahren schützen, die sich aus einer Verletzung der dort genannten Schutzgüter ergeben. Nur die Folgen von Verletzungen dieser Güter werden dem Schädiger zugerechnet, und nur in diesem Rahmen sind die Interessen des Geschädigten im Gesetz geschützt. Die Kosten für das Strafverfahren haben mit der Körper- und Eigentumsverletzung der R aber nichts zu tun. Sie beruhen vielmehr darauf, dass gegen R der Verdacht einer strafbaren Handlung bestand. Die Gefahr, in ein Strafverfahren verwickelt zu werden, ist jedoch unabhängig von der Körper- bzw. Eigentumsverletzung, denn sie besteht auch dann, wenn ein Unfall keinen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat. Sie liegt daher im Rahmen eines allgemeinen Risikos, das jeden strafmündigen Menschen trifft. Dieses allgemeine Risiko gehört nicht zu den Gefahren, die § 823 Abs. 1 BGB abwenden will.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

frausummer

frausummer

16.11.2022, 10:49:04

Für mich wäre der Fall schon bei der Rechtsgutsverletzung zu Ende gewesen, da die Kosten für den Strafverteidiger doch einen Vermögensschaden darstellen und diese ersetzt werden sollen

Nora Mommsen

Nora Mommsen

18.11.2022, 12:10:02

Hallo frausummer, Achtung: am Ende will R die Verteidigerkosten ersetzt bekommen. Sie ist aber (auch) an Körper und Gesundheit verletzt worden laut Sachverhalt, sodass eine Rechtsgutverletzung im Sinne des § 823 BGB gegeben ist. Ob die Verteidigerkosten auch ersetzt werden ist keine Frage des haftungsbegründenden Tatbestands. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

EFECÖ

Efecan Ö.

3.1.2024, 00:31:00

wie würde es sich verhalten, wenn K einen Anwalt kontaktiert hätte, um den zivilrechtlichen SE-Anspruch vor Gericht geltend zu machen? Könnte K diese Anwaltskosten über 823 I bzw. II geltend machen? Liebe Grüße Efecan

Tobias Krapp

Tobias Krapp

6.11.2024, 16:42:34

Hallo @[Efecan Ö.](197365), danke für deine sehr gute Nachfrage! Bei den Kosten der zivilrechtlichen Rechtsverfolgung sieht es in der Tat anders aus: Die Kosten der Rechtsverfolgung sind als Folge der Verletzung eines Guts des § 823 I BGB vom

Schutzzweck der Norm

erfasst und damit ohne Weiteres zurechenbar. Die Ersatzfähigkeit richtet sich nach § 249 II S. 1 BGB. Voraussetzung für die Ersatzfähigkeit von Anwaltskosten ist daher deren "Erforderlichkeit". Grundsätzlich darf der Geschädigte die Beauftragung eines Anwalts für erforderlich halten. An der Erforderlichkeit kann es aber in besonderen Konstellationen fehlen: Etwa wenn der Schädiger seine Ersatzpflicht dem Grunde und der Höhe nach anerkannt hat und an seiner Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit keine Zweifel bestehen. Umstritten ist die Ersatzfähigkeit bei dem gewerblichen oder "geschulten" Schädiger: Darf eine Mietwagenfirma, eine Leasingfirma, ein Rechtsanwalt direkt einen Anwalt einschalten? Auch wird immer wieder darüber gestritten, ob in „besonders einfach gelagerten Fällen” ein Anwalt hinzugezogen werden darf und wann ein solcher Fall denn vorläge. Hier hat sich eine ziemliche Kasuistik entwickelt und die Gerichte entscheiden hier auch alles andere als einheitlich. In der Klausur würde ich tendenziell dazu raten, den Grundsatz darzustellen und wertungsmäßig damit zu argumentieren, dass dem Geschädigten keine zu große Unsicherheit zugebilligt werden darf, eine Ausnahme also eher restriktiv zu handhaben ist. Vertretbar ist hier aber vieles, man sollte nur das Problem sehen :) Zur Vertiefung kann ich MüKoBGB/Oetker § 249 Rn. 180-188 und grundlegend hierzu Wagner, NJW 2006, 3244 ff. empfehlen :) Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias


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