Anwartschaftsrecht

19. Mai 2025

24 Kommentare

4,7(31.271 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft von V ein Handy. V behält sich das Eigentum bis zur vollständigen Zahlung der 24 Kaufpreisraten vor. Eine Weitergabe des Handys in dieser Zeit ist K vertraglich untersagt. K veräußert nach Zahlung der ersten drei Raten die Anwartschaft an dem Handy an G und übergibt ihr das Handy. V verlangt von G Herausgabe.

Diesen Fall lösen 77,7 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Anwartschaftsrecht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat das Eigentum an dem Handy an K durch rechtsgeschäftliche Eigentumsübertragung verloren (§ 929 S. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Eigentumserwerb nach § 929 S. 1 BGB setzt voraus: (1) Einigung, (2) Übergabe, (3) Einigsein bei Übergabe, (4) Berechtigung des Veräußerers. Hier war jedoch die Einigung nicht auf den sofortigen Übergang des Eigentums gerichtet, sondern stand unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung (§§ 929 S. 1, 158 Abs. 1 BGB). Damit hat K zunächst lediglich ein Anwartschaftsrecht erworben. Die vollständige Kaufpreiszahlung ist (noch) nicht eingetreten. Somit ist V noch Eigentümer.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Hat V das Eigentum an dem Handy an G verloren?

Nein, das trifft nicht zu!

K hat G nur das Anwartschaftsrecht nach § 929 S. 1 BGB analog übertragen. Das Eigentum konnte und sollte damit nicht auf G übergehen.Die Rechtsnatur des Anwartschaftsrechts entspricht weitgehend der des Vollrechts Eigentum (sog. wesensgleiches Minus). Seine Übertragbarkeit ergibt sich deshalb wie die des Eigentums aus den §§ 929 ff. BGB (analog).

3. G ist Besitzerin des Handys.

Ja!

Besitzer ist, wer die von einem natürlichen Besitzwillen getragene tatsächliche Sachherrschaft innehat (§ 854 Abs. 1 BGB). G übt nach der Übergabe durch K die tatsächliche Sachherrschaft über das Handy aus.

4. G steht aus dem Kaufvertrag zwischen K und V ein relatives Besitzrecht (§ 986 Abs. 1 BGB) zu.

Nein, das ist nicht der Fall!

Relative Besitzrechte wirken grundsätzlich nur zwischen den Parteien des Schuldverhältnisses. Darüber hinaus besteht ein abgeleitetes Besitzrecht, wenn (1) der mittelbare Besitzer ein Besitzrecht gegenüber dem Eigentümer hat, (2) der mittelbare Besitzer zur Weitergabe des Besitzes berechtigt ist und (3) der unmittelbare Besitzer dem mittelbaren Besitzer gegenüber ein Besitzrecht hat. Der Kaufvertrag kam zwischen K und V zustande. Da K nicht zur Weitergabe berechtigt war, erstreckt sich das Besitzrecht aus dem Kaufvertrag nicht auf G. Sie hat somit kein relatives Besitzrecht gegenüber V.

5. Das Anwartschaftsrecht verleiht unstreitig auch ein dingliches Recht zum Besitz.

Nein, das trifft nicht zu!

Dies ist umstritten. Nach einer Ansicht sei ein dingliches Besitzrecht anzunehmen, da das Anwartschaftsrecht als wesensgleiches Minus zum Vollrecht Eigentum auch die entsprechenden Rechte auf Besitz und Nutzung übertrage. Die wohl h.M. lehnt dies hingegen ab, da das wesensgleiche Minus gerade nicht mit dem Vollrecht gleichzustellen sei. Vielmehr solle dadurch lediglich die Sicherung des Eigentumserwerbs geschützt werden.

6. Kann V nach h.M. Herausgabe des Handys von G an sich selbst verlangen (§ 985 BGB)?

Nein!

§ 985 BGB setzt voraus, dass der Anspruchsteller Eigentümer und der Anspruchgegner Besitzer ohne Recht zum Besitz ist. Nach § 986 Abs. 1 S. 2 BGB kann jedoch der Eigentümer nur Herausgabe an den mittelbaren Besitzer verlangen, wenn dieser gegenüber dem Eigentümer zur Besitzüberlassung nicht befugt ist und er nicht die Übernahme des Besitzes ablehnt.V ist weiterhin Eigentümer und G derzeit Besitzerin. Da das Anwartschaftsrecht nach h.M. kein Recht zum Besitz begründet, ist sie verpflichtet, das Handy herauszugeben. Der Kaufvertrag unter Eigentumsvorbehalt stellt jedoch ein Besitzmittlungsverhältnis nach § 868 BGB dar, aufgrund dessen der K mittelbarer Besitzer des Handys ist. Er hat das Handy auch unbefugt an die G weiter gegeben. Da nicht ersichtlich ist, dass er das Handy nicht wieder zurücknehmen würde, besteht der Anspruch des V nur auf Herausgabe an den K.
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

jomolino

5.4.2022, 17:32:34

Wieso ist hier kein

gutgläubiger Erwerb

möglich? Es liegt ja kein

abhandenkommen

und keine

Bösgläubig

keit vor?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

6.4.2022, 14:31:10

Hallo nomamo, hätte K hier das Eigentum an dem Handy veräußert, so wäre es in der Tat zu einem gutgläubigen Erwerb gekommen (§§ 929 S. 1,

932 BGB

). Hier hat K aber lediglich seine Anwartschaft veräußert bezüglich derer er auch verfügungsbefugt war. Da er insoweit zu erkennen gegeben hat, nicht selbst Eigentümer zu sein, ist hier ein

gutgläubiger Erwerb

des Eigentums ausgeschlossen. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

Edward Hopper

Edward Hopper

16.2.2023, 19:48:50

Ist hier nicht der erwerbstatbestand nicht falsch? Da der Erwerber den Gegenstand ja achon hat müsste es doch 158, 929 S2 sein, bei bedinungseintritt

TI

Timurso

17.2.2023, 16:33:02

Ich denke hierfür ist auf den Zeitpunkt der Erklärung abzustellen. Letztendlich ist es in den meisten Fällen aber auch egal. Dennoch würde ich sagen, dass für den Fall, dass der Eigentümer die Sache nicht übergibt, der Erwerber dem Eigentümer die Sache stiehlt und anschließend den Kaufpreis vollständig zahlt, kein Eigentumserwerb zustande kommen sollte. Dies wäre jedoch die Folge, wenn man auf den Zeitpunkt der Besitzlage zum Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung abstellt statt der Erklärung der Bedingung.

Edward Hopper

Edward Hopper

1.3.2023, 14:33:51

Bedingungen sind aber niemals ex tunc

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

14.4.2025, 20:28:06

Hallo @[Edward Hopper](174080), auch wenn du Recht hast, dass die Bedingung nicht ex tunc wirkt, ist dennoch § 929 S. 1 BGB einschlägig. Dafür ist es nicht zwingend

erforderlich

, dass die Einigung vor der Übergabe stattfindet, vielmehr reicht es aus, wenn bei der Übergabe bereits der Zweck der zukünftigen

Übereignung

verfolgt wird, BeckOGK/Klinck, 1.3.2025, BGB § 929 Rn. 32. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

Paulah

Paulah

2.6.2024, 12:18:25

Warum greift § 137 BGB hier nicht?

Paulah

Paulah

2.6.2024, 13:16:13

Ich glaube, ich habe es selbst schon rausgefunden: Wegen

§ 161 BGB

?

LELEE

Leo Lee

3.6.2024, 12:37:57

Hallo Paulah, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man hier sich die Frage stellen, ob 137 greift oder nicht. Beachte allerdings, dass 137 – also die Aufgabe der

Verfügungsbefugnis

– sich NICHT auf der DINGLICHEN Ebene auswirkt. D.h., dass man sich zwar verpflichten kann, jedoch die verabredungswidrige Weitergabe immer noch gegenüber einem Dritten wirkt. Allerdings ergeben sich hieraus SE-Ansprüche aufgrund Verstoßes gegen die Verabredung. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Armbrüster § 137 Rn. 1 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Paulah

Paulah

11.6.2024, 11:28:23

Ich habe bisher gelernt, dass nach herrschender Meinung die Anwartschaft ein dingliches

Besitzrecht

einräumt. In der letzten Frage steht, die herrschende Meinung sei, dass die Anwartschaft kein Recht zum Besitz gibt. Was ist richtig?

JAN

Jan

11.6.2024, 13:28:16

Das kommt ganz auf die Konstellation drauf an. Ich würde dir die Reihe von Prof Dr Fervers (

Kreditsicherungsrecht

e) empfehlen. Da ist das ganze sehr schön und didaktisch top aufbereitet.

Paulah

Paulah

11.6.2024, 16:11:24

Stimmt! Fervers ist Klasse. Da bin ich noch nicht drauf gekommen. Danke!

BARA

Baran

3.12.2024, 08:42:30

Ich antworte zwar ein wenig spät, aber das Hauptargument in dieser Fallkonstellation ist, dass die V bereits drei Raten gezahlt hat, wodurch das Eigentum „unmittelbar bevorsteht“. Dadurch kann V einfach nach §242

dolo agit Einrede

geltend machen und kann Herausgabe verlangen.

G0d0fMischief

G0d0fMischief

6.1.2025, 11:34:00

@[Baran](273248) ich würde nicht sagen, dass der Eigentumserwerb hier unmittelbar bevorsteht. Im Gegenteil es sind noch 21 Kaufpreisraten zu zahlen, sodass der Eigentumserwerb erst in 21 Monaten stattfinden würde. Die Konstellation die du meinst, wäre m.E. einschlägig, wenn es sich um die letzte (allenfalls noch um die vorletzte) Kaufpreisrate handelt. Wobei man dies natürlich auch wieder von den Gesamtumständen abhängig machen sollte (wie viele Kaufpreisraten wurden insgesamt vereinbart?).

Cosmonaut

Cosmonaut

2.3.2025, 09:18:14

Das Störgefühl hinsichtlich des G lässt sich wohl beseitigen, wenn man bedenkt, dass dieser schlicht den Bedingungseintritt (= Restkaufpreiszahlung) vornehmen kann und damit das AWR zum Vollrecht erstarken lassen kann. Dann muss man auch nicht den Wertungswiderspruch ertragen, dass ein „Minus“ zum Vollrecht gegenüber dem Vollrecht selbst schwächer dasteht (so der Fall, wenn man V einen 985er zusprechen würde).

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

14.4.2025, 18:04:25

Hallo @[Paulah](135148) und @[Jan](252554), die h.M. ist wie hier dargestellte diejenige Meinung, die ein Recht zum Besitz aus

Anwartschaftsrecht

ablehnt, vergleiche etwa BeckOK BGB/Fritzsche, 73. Ed. 1.2.2025, BGB § 986 Rn. 15. Eine Differenzierung innerhalb der h.M. je nach Konstellation konnte ich dagegen auch in den Videos von Prof. Fervers nicht finden. Zu dem Einwand von @[Baran](273248) schließe ich mich @[G0d0fMischief](217996) an. Zusätzlich zu der Anmerkung von @[Cosmonaut](188718) steht der G auch insofern nicht schutzlos da, als er gegen den K Gewährleistungsrechte aufgrund eines

Rechtsmangel

s geltend machen und vom Vertrag zurücktreten könnte. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community