Anwartschaftsrecht

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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K kauft von V ein Handy. V behält sich das Eigentum bis zur vollständigen Zahlung der 24 Kaufpreisraten vor. Eine Weitergabe des Handys in dieser Zeit ist K vertraglich untersagt. K veräußert nach Zahlung der ersten drei Raten die Anwartschaft an dem Handy an G und übergibt ihr das Handy. V verlangt von G Herausgabe.

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Einordnung des Falls

Anwartschaftsrecht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat das Eigentum an dem Handy an K durch rechtsgeschäftliche Eigentumsübertragung verloren (§ 929 S. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Eigentumserwerb nach § 929 S. 1 BGB setzt voraus: (1) Einigung, (2) Übergabe, (3) Einigsein bei Übergabe, (4) Berechtigung des Veräußerers. Hier war jedoch die Einigung nicht auf den sofortigen Übergang des Eigentums gerichtet, sondern stand unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung (§§ 929 S. 1, 158 Abs. 1 BGB). Damit hat K zunächst lediglich ein Anwartschaftsrecht erworben. Die vollständige Kaufpreiszahlung ist (noch) nicht eingetreten. Somit ist V noch Eigentümer.
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2. Hat V das Eigentum an dem Handy an G verloren?

Nein, das trifft nicht zu!

K hat G nur das Anwartschaftsrecht nach § 929 S. 1 BGB analog übertragen. Das Eigentum konnte und sollte damit nicht auf G übergehen.Die Rechtsnatur des Anwartschaftsrechts entspricht weitgehend der des Vollrechts Eigentum (sog. wesensgleiches Minus). Seine Übertragbarkeit ergibt sich deshalb wie die des Eigentums aus den §§ 929 ff. BGB (analog).

3. G ist Besitzerin des Handys.

Ja!

Besitzer ist, wer die von einem natürlichen Besitzwillen getragene tatsächliche Sachherrschaft innehat (§ 854 Abs. 1 BGB). G übt nach der Übergabe durch K die tatsächliche Sachherrschaft über das Handy aus.

4. G steht aus dem Kaufvertrag zwischen K und V ein relatives Besitzrecht (§ 986 Abs. 1 BGB) zu.

Nein, das ist nicht der Fall!

Relative Besitzrechte wirken grundsätzlich nur zwischen den Parteien des Schuldverhältnisses. Darüber hinaus besteht ein abgeleitetes Besitzrecht, wenn (1) der mittelbare Besitzer ein Besitzrecht gegenüber dem Eigentümer hat, (2) der mittelbare Besitzer zur Weitergabe des Besitzes berechtigt ist und (3) der unmittelbare Besitzer dem mittelbaren Besitzer gegenüber ein Besitzrecht hat. Der Kaufvertrag kam zwischen K und V zustande. Da K nicht zur Weitergabe berechtigt war, erstreckt sich das Besitzrecht aus dem Kaufvertrag nicht auf G. Sie hat somit kein relatives Besitzrecht gegenüber V.

5. Das Anwartschaftsrecht verleiht unstreitig auch ein dingliches Recht zum Besitz.

Nein, das trifft nicht zu!

Dies ist umstritten. Nach einer Ansicht sei ein dingliches Besitzrecht anzunehmen, da das Anwartschaftsrecht als wesensgleiches Minus zum Vollrecht Eigentum auch die entsprechenden Rechte auf Besitz und Nutzung übertrage. Die wohl h.M. lehnt dies hingegen ab, da das wesensgleiche Minus gerade nicht mit dem Vollrecht gleichzustellen sei. Vielmehr solle dadurch lediglich die Sicherung des Eigentumserwerbs geschützt werden.

6. Kann V nach hM das Handy von G herausverlangen (§ 985 BGB)?

Ja!

§ 985 BGB setzt voraus, dass der Anspruchsteller Eigentümer und der Anspruchgegner Besitzer ohne Recht zum Besitz ist.V ist weiterhin Eigentümer und G derzeit Besitzerin. Da das Anwartschaftsrecht nach hM kein Recht zum Besitz begründet, ist sie verpflichtet, das Handy an H herauszugeben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

jomolino

5.4.2022, 17:32:34

Wieso ist hier kein gutgläubiger Erwerb möglich? Es liegt ja kein abhandenkommen und keine Bösgläubigkeit vor?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

6.4.2022, 14:31:10

Hallo nomamo, hätte K hier das Eigentum an dem Handy veräußert, so wäre es in der Tat zu einem gutgläubigen Erwerb gekommen (§§ 929 S. 1, 932 BGB). Hier hat K aber lediglich seine Anwartschaft veräußert bezüglich derer er auch verfügungsbefugt war. Da er insoweit zu erkennen gegeben hat, nicht selbst Eigentümer zu sein, ist hier ein gutgläubiger Erwerb des Eigentums ausgeschlossen. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

Edward Hopper

Edward Hopper

16.2.2023, 19:48:50

Ist hier nicht der erwerbstatbestand nicht falsch? Da der Erwerber den Gegenstand ja achon hat müsste es doch 158, 929 S2 sein, bei bedinungseintritt

TI

Timurso

17.2.2023, 16:33:02

Ich denke hierfür ist auf den Zeitpunkt der Erklärung abzustellen. Letztendlich ist es in den meisten Fällen aber auch egal. Dennoch würde ich sagen, dass für den Fall, dass der Eigentümer die Sache nicht übergibt, der Erwerber dem Eigentümer die Sache stiehlt und anschließend den Kaufpreis vollständig zahlt, kein Eigentumserwerb zustande kommen sollte. Dies wäre jedoch die Folge, wenn man auf den Zeitpunkt der Besitzlage zum Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung abstellt statt der Erklärung der Bedingung.

Edward Hopper

Edward Hopper

1.3.2023, 14:33:51

Bedingungen sind aber niemals ex tunc

Paulah

Paulah

2.6.2024, 12:18:25

Warum greift § 137 BGB hier nicht?

Paulah

Paulah

2.6.2024, 13:16:13

Ich glaube, ich habe es selbst schon rausgefunden: Wegen § 161 BGB?

LELEE

Leo Lee

3.6.2024, 12:37:57

Hallo Paulah, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man hier sich die Frage stellen, ob 137 greift oder nicht. Beachte allerdings, dass 137 – also die Aufgabe der

Verfügungsbefugnis

– sich NICHT auf der DINGLICHEN Ebene auswirkt. D.h., dass man sich zwar verpflichten kann, jedoch die verabredungswidrige Weitergabe immer noch gegenüber einem Dritten wirkt. Allerdings ergeben sich hieraus SE-Ansprüche aufgrund Verstoßes gegen die Verabredung. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Armbrüster § 137 Rn. 1 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Paulah

Paulah

11.6.2024, 11:28:23

Ich habe bisher gelernt, dass nach herrschender Meinung die Anwartschaft ein dingliches Besitzrecht einräumt. In der letzten Frage steht, die herrschende Meinung sei, dass die Anwartschaft kein Recht zum Besitz gibt. Was ist richtig?

JAN

Jan

11.6.2024, 13:28:16

Das kommt ganz auf die Konstellation drauf an. Ich würde dir die Reihe von Prof Dr Fervers (Kreditsicherungsrechte) empfehlen. Da ist das ganze sehr schön und didaktisch top aufbereitet.

Paulah

Paulah

11.6.2024, 16:11:24

Stimmt! Fervers ist Klasse. Da bin ich noch nicht drauf gekommen. Danke!

Sustainable Finance

Sustainable Finance

13.8.2024, 07:19:53

Hey zusammen! Die letzte Frage hat mich etwas irregeführt, da die Herausgabe hier grundsätzlich an den mittelbaren Besitzer zu erfolgen hat - wie es die Antwort auch vorsieht. Ich dachte, das sollte die Spitzfindigkeit der Frage sein. Klarer wäre es mE, die letzte Frage ggf. abzuändern iSv „kann V unmittelbar Herausgabe an sich selbst fordern?“ oder, falls die Herausgabe an den mittelbaren Besitzer nicht Schwerpunkt sein soll „kann V Herausgabe an sich verlangen, wenn der mittelbare Besitzer (K? 😄) den Besitz nicht übernehmen will?“ bzw. „Kann V nach § 986 Abs. 1 S. 2 BGB Herausgabe an den mittelbaren Besitzer (…K? 😅) verlangen?“. Viele Grüße, vielen Dank und weiter so 👏


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