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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft privat bei der Handymaster 3000 GmbH (H) ein neues Iphone. Nach drei Monaten bringt er es zu H. Das Handy hat an den Kanten tiefe Risse und Dellen, das Display ist teilweise gesprungen. K will ein neues Iphone, da das alte ja mangelhaft sei.

Einordnung des Falls

Ausschluss des § 477

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Durch § 477 Abs. 1 S. 1 BGB wird nur in zeitlicher Hinsicht vermutet, dass ein innerhalb von 12 Monaten nachgewiesener Mangel schon bei Gefahrübergang vorlag.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 477 BGB Abs. 1 S. 1 BGB enthält zwei Vermutungen innerhalb der 6 Monate nach Gefahrübergang: (1) Sachlich wird vermutet, dass ein erst später auftretender Mangel (Mangelerscheinung) auf einem Grundmangel beruht („Ob“). (2) Zeitlich wird vermutet, dass dieser Grundmangel schon bei Gefahrübergang vorlag („Wann“). Würde die Vermutung nämlich nur den offensichtlichen Mangel (z.B. Motorschaden) zeitlich vorverlagern, wäre dies für den Verbraucher nicht hilfreich, da diese rein zeitliche Vermutung einfach widerlegt werden könnte. Denn der Schaden selbst lag nicht bereits bei Gefahrübergang vor. Den verdeckten Grundmangel kann der Verbraucher jedoch schwer nachweisen.

2. Die Vermutung des § 477 Abs. 1 S. 1 BGB gilt nicht, wenn sie mit der Art der Kaufsache oder des Mangels unvereinbar ist.

Ja, in der Tat!

§ 477 Abs. 1 S. 1 BGB setzt voraus, dass sich (1) bei einem Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 S. 1 BGB) (2) innerhalb von 12 Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand gezeigt hat, (3) der bei Gefahrübergang hypothetisch einen Sachmangel dargestellt hätte, (4) und die Vermutung nicht mit der Art der Kaufsache oder des Mangels unvereinbar ist. Es muss ein Erfahrungssatz dafür sprechen, dass der Mangel nachträglich entstanden ist. Nicht erforderlich ist hingegen der volle Gegenbeweis, dass der Mangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch nicht vorgelegen haben kann. Im Rahmen einer einzelfallbezogenen Gesamtschau ist maßgeblich, ob der konkrete Defekt bei dem konkreten Kaufgegenstand mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen Rückschluss auf das Vorliegen eines Sachmangels zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs zulässt.Nach § 477 BGB a.F. galt die Vermutung einheitlich nur für 6 Monate.

3. Die Vermutung ist hier mit der Art der Kaufsache oder des Mangels unvereinbar (§ 477 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BGB).

Ja!

Die Vermutung greift nicht ein, wenn sie „mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar“ ist (§ 477 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BGB). BGH: Bei äußerlichen Beschädigungen sei die Vermutung wegen der „Art des Mangels“ dann ausgeschlossen, wenn der Defekt auch dem fachlich nicht versierten Käufer bei der Übergabe hätte auffallen müssen. Denn wenn der Käufer die Sache in einem solchen Fall ohne Beanstandung entgegennehme, spreche dies gegen die Vermutung, der Mangel sei schon bei Gefahrübergang vorhanden gewesen. Hier hätten die äußerlichen Beschädigungen des Iphones K schon bei Gefahrübergang auffallen müssen.

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S.

s.t.

4.9.2021, 17:22:04

Ist 477 eigl bei einem normalen Kaufvertrag unter 2 Verbraucher anwendbar ?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.10.2021, 11:03:11

Vielen Dank für die Nachfrage, s.t. Die Anwendung des § 477 BGB zählt zu den Sonderregelungen des Verbrauchsgüterkauf. Dieser ist in § 474 Abs. 1 BGB legaldefiniert und setzt ein Geschäft zwischen Unternehmer (§ 14 BGB) und Verbraucher (§ 13 BGB) voraus. Zwischen Verbrauchern ist § 477 BGB also nicht anwendbar. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

L

L

14.1.2022, 11:54:13

Könnte der Verbraucher nicht behaupten, dass die Risse in Display durch einen angelegten Mängel des Handys entstanden sind?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.1.2022, 17:51:53

Hallo L, das könnte der Verbraucher natürlich einwenden (zB zu viel Spannung auf dem Glas). Denn letztlich trägt der Verkäufer die Beweislast für das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes (vgl. Augenhofer, in: BeckOGK, BGB, 1.4.2021, § 477 RdNr. 30.1). Je nach Art des Risses, dürfte sich aber mittels Sachverständigen durchaus beweisen lassen, ob der Riss durch Sturz oder aufgrund eines Produktionsfehlers entstanden ist. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

KLE

kleinerPadawan

13.3.2023, 13:24:40

Hm...also ich hätte das jetzt auch so gelöst, dass ich die Vermutung des § 477 auch auf das Vorliegen des Grundmangels erstreckt hätte. Also zB einen Grundmangel angenommen hätte wie zB schlechtes oder minderwertiges Material. Diesen kann der Käufer ja nicht direkt erkennen. Natürlich kann der Verkäufer dann im Nachgang des Gegenteil beweisen. Aber solange das nicht irgendwie angedeutet ist, dass der Verkäufer/Hersteller hier diesen Einwand bringt, würde ich das so lösen. Ich sehe aber auch das Problem bei diesem Lösungsansatz, da einem ja zu jeder Mangelerscheinung irgendein nicht sichtbarer Grundmangel einfallen könnte und man deshalb nie zu einer Unvereinbarkeit kommt. Mache ich da einen Fehler? Ist die Vermutung des § 477 da zu extensiv angewandt?

Blackpanther

Blackpanther

21.11.2022, 21:08:30

Handys werden regelmäßig verpackt verkauft, ohne vom Verkäufer geprüft zu werden. Wie wäre dieser Fall zu beurteilen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.11.2022, 10:34:23

Hi Blackpanther, prinzipiell greift die Vermutung auch bei Schäden ein, die offenkundig auf eine Einwirkung von außen zurückzuführen sind (BeckOK BGB/Faust, 63. Ed. 1.8.2022, BGB § 477 Rn. 18). Der BGH nimmt eine Ausnahme nur dann an, wenn die Abweichung auch dem fachlich nicht versierten Käufer bei Gefahrübergang hätte auffallen müssen. Denn nach allgemeiner Erfahrung werde der Käufer derartige Abweichungen sogleich beanstanden. Hat er die Ware beanstandungslos entgegengenommen, spräche ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass eine solche Abweichung erst später eingetreten sei (vgl. BGH, Urteil vom 14. 9. 2005 - VIII ZR 363/04 = NJW 2005, 3490). Sofern beim Auspacken zuhause also die böse Überraschung wartet, wird man hier durchaus noch die Beweislastumkehr anbringen können, da hier ja durchaus nicht damit zu rechnen ist, dass der Käufer bereits beim Einkauf die äußerliche Beschädigung wahrnimmt. Drei Monate später wird dies aber nicht mehr funktionieren ;-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Blackpanther

Blackpanther

22.11.2022, 13:49:15

Danke für die schnelle Antwort! Irgendwie erinnert mich die Begründung des BGH in diesem Zusammenhang an die Rüge

obliegenheit

im HGB.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.11.2022, 16:03:59

Interessanter Vergleich. Allerdings bestehen da 2 Unterschiede. Zum einen geht es hier um eine bloße Änderung der Beweislast, während bei der Rüge

obliegenheit

der Anspruch auf Nacherfüllung komplett entfällt. Zum anderen wird es wirklich um völlig offensichtliche Mängel gehen (zerrissene Hose, gesprungenes Display), die ohne Vorkenntnisse des Käufers direkt erkannt werden können. Den Händler trifft dagegen eine umfassendere Untersuchungspflicht, zu der auch Stichproben gehören. Beste Grüße, Lukas für das Jurafuchs-Team


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