Strafrecht
BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.
Mord, § 211 StGB
Arglosigkeit – Tötung von Schlafenden 2
Arglosigkeit – Tötung von Schlafenden 2
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T und O sind unglücklich in ihrer Beziehung. T hat der O im Streit gedroht, sie umzubringen. O fürchtet um ihr Leben und schließt sich im Bad ein. Dort wird sie vom Schlaf übermannt. T knackt leise die Tür auf und tötet die O.
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Einordnung des Falls
Arglosigkeit – Tötung von Schlafenden 2
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. "Heimtückisch" (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB) tötet nur, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. O war zum Zeitpunkt der Tötung "arglos".
Nein!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
kuzcotob
17.2.2021, 14:03:15
Die Arglosigkeit und damit die Wehrlosigkeit wird mit in den Schlaf genommen.
Eigentum verpflichtet 🏔️
17.2.2021, 16:38:31
Hey noway, dieser Merksatz stimmt, wir zitieren ihn ja auch in der letzten Antwort. Allerdings rechnete O hier mit einem Angriff, deswegen schloss sie sich ja ein. Somit war sie im Zeitpunkt des Einschlafens nicht arglos, da sie sich eines Angriffs auf ihr Leben versah. Mithin "nahm O auch diesen Argwohn mit in den Schlaf." LG ;)
Konsti
5.11.2021, 08:51:52
Könnte man nicht doch Arglosigkeit annehmen, weil sie die Tür zugeschlossen hat und dann einschlief?
Gnu
20.1.2023, 16:39:24
Das könnte man sicherlich, wenn die O etwas in die Richtung "Hier bin ich jetzt sicher, da kann ich ein wenig schlafen" denken würde. Allerdings wurde sie ja vom Schlaf übermannt und hat sich nicht "bewusst" und arglos dem Schlaf hingegeben.
Fuchsfrauchen
5.6.2023, 20:35:32
Arglos ist jmd. doch dann, wenn er zum Zeitpunkt des Angriffs nicht mit dem Angriff rechnet. Ich denke, hätte sie damit zu dem Zeitpunkt gerechnet, wäre sie eher nicht eingeschlafen. Finde ich ein wenig schwierig.^^
Fuchsfrauchen
5.6.2023, 20:37:21
Ich ergänze: auch wenn sie vom Schlaf übermannt wurde, finde ich es schwierig zu sagen, sie hat damit - während sie schlief - gerechnet.
Simon
15.11.2023, 23:37:10
Daher wird die Arglosigkeit nach hM ja auch in dem Schlaf "mitgenommen" (oder wie hier eben nicht). Ein Schlafender kann logischerweise keinen Argwohn hegen, sodass diese Fähigkeit gewissermaßen fingiert wird. Diese Fiktion ist aber dann nicht gerechtfertigt, wenn das Opfer im Zeitpunkt des Einschlafens mit einem Angriff rechnete. Denn dann ist es nicht aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos (weil es sich im Glauben, es werde nichts passieren, schlafen legt), sondern nur aufgrund des Schlafs wehrlos. Vor dem Einschlafen hatte das Opfer durchaus Möglichkeit, sich zu verteidigen, sodass die besondere
Verwerflichkeit des Täterhandelns ausscheidet. Ansonsten würde § 211 ja jede Tötung eines wehrlosen Opfers pönalisieren, was er gerade eben nicht tut.
jannis21
5.11.2023, 21:52:52
Muss das Opfer arglos hinsichtlich einer Tötung sein (also mit keiner Tötung rechnen) oder reicht Arglosigkeit in Bezug auf einen (nicht unbedingt tödlichen) Angriff aus, um Arglosigkeit zu bejahen?
Nora Mommsen
7.11.2023, 11:19:02
Hallo jannis21, arglos ist wer sich keines Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit versieht. Es ist also zum Entfall der Arglosigkeit nicht erforderlich, dass das Opfer konkret damit rechnet, zu sterben. Es reicht aus, dass es es für möglich hält verletzt zu werden. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Artimes
26.1.2024, 17:35:31
Nimmt man den Meinungsstreit bzgl. der restriktiven Auslegung der Heimtücke (
verwerflicher Vertrauensbruch, positive/negative Typenkorrektur, Rechtsfolgenlösung des BGH etc.) nicht vorweg, wenn man in der Definition bereits die Einschränkung „Handeln in feindlicher Willensrichtung“ aufnimmt?
Leo Lee
27.1.2024, 19:09:57
Hallo Artimes,, vielen Dank für dein Feedback! In der Tat ist die feindliche Willensrichtung ein Merkmal, das von dem BGH ins Leben gerufen wurde (und insofern auch nicht Teil einer „neutralen“ Definition ist). Wir haben uns jedoch – vor allem bei Definitionen – dafür entschieden, uns auf jene der Rechtsprechung, so weit möglich, zu beziehen, um einigermaßen auch eine Gleichmäßigkeit zu gewährleisten. Dies bedeutet allerdings – wie du schon andeutest – auf keinen Fall, dass du mit dieser Definition beginnen musst; stattdessen kannst du erstmal ohne die feindlichen Willensrichtung definieren und dann auf den Streitstand eingehen. Alternativ kannst du die Definition erstmal „wie hier“ durchführen und dann die Frage aufwerfen, ob diese Definition so Bestand haben kann oder ob vielleicht ein anderer Ansatz gewählt werden sollte. Summa summarum: Es gibt kein Patentrezept und kommt immer darauf an, wie man Streitstände führt (typisch Jura!).
Apropos: Da der BGH ohnehin auf der Rechtsfolgenseite schuldmindernde Umstände berücksichtigt, hat die „feindliche Willensrichtung“ heutzutage kaum noch eine Bedeutung :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Artimes
28.1.2024, 22:07:51
Die Ausführungen sind sehr hilfreich. Vielen Dank! 🙏