Strafrecht
BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.
Mord, § 211 StGB
Wehrlosigkeit infolge Arglosigkeit – Fesselungs-Fall
Wehrlosigkeit infolge Arglosigkeit – Fesselungs-Fall
16. April 2025
19 Kommentare
4,7 ★ (31.110 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T und O streiten sich heftig. O lässt sich einvernehmlich von T fesseln, um ihre Loyalität unter Beweis zu stellen. Der Streit eskaliert und T beschließt, die gefesselte O umzubringen. Zu diesem Zweck faltet T vor ihren Augen ein Tuch. O wird klar, was T vorhat und sie ruft in Todesangst um Hilfe. Doch T legt das Tuch um ihren Hals und erdrosselt sie.
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Einordnung des Falls
Wehrlosigkeit infolge Arglosigkeit – Fesselungs-Fall
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. O war im Zeitpunkt der Tatausführung "arglos".
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. O war im Zeitpunkt der Fesselung arglos. Wie ein Schlafender seine Arglosigkeit mit in den Schlaf nimmt, hat O ihre Arglosigkeit mit in die Fesselung genommen.
Nein!
3. O war "wehrlos".
Genau, so ist das!
4. O war "infolge ihrer Arglosigkeit wehrlos".
Nein!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell
31.3.2020, 10:41:50
muss nach der Definition auf der
Arglosigkeitberuhen. Die
Arglosigkeithaben wir vorher und direkt im Anschluss verneint. Dann kann sie nicht wehrlos sein. Sie ist in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und kann sich nicht verteidigen. Hier sollte die vorletzte Frage konkretisiert werden.

Marilena
31.3.2020, 11:48:03
Danke für Deinen Kommentar. Wir denken, das kann man auch anders sehen. Der BGH prüft 1.)
Arglosigkeit, 2.)
Wehrlosigkeitund 3.) die Kausalität. Er stellt in dem Urteil fest: „Sie hat zwar dessen [des Opfers]
Wehrlosigkeitzur Tötung ausgenutzt. Die
Wehrlosigkeithatte ihre Ursache aber nicht in einer bei Tatbeginn vorhandenen
Arglosigkeitdes Opfers, sondern in einer erheblich früher ohne Tötungswillen vorgenommenen Fesselung.“
🦊LEXDEROGANS
31.3.2020, 23:27:02
@Marilena, Ihnen ist zuzustimmen, dass man zunächst „
Wehrlosigkeit“ in einem allg. Sinne (Sprachgebrauch) prüfen kann! Allerdings ist die Antwort auf die erste Frage zur
Wehrlosigkeiteine m. E. missglückte Subsumption, wenn einerseits der
Wehrlosigkeitsbegriff i. S. d. Heimtücke aus § 211 Abs. 2 („wer infolge der
Arglosigkeitzur Verteidigung [...] eingeschränkt ist“) in der Definition genannt wird, in der Subsumption allerdings auf die Fesselung verwiesen wird („O war [...] wehrlos, da sie gefesselt [...] war“). Denn eine gefesselte Person kann, muss aber nicht arglos sein.
Henk
1.4.2020, 09:03:29
Sehe es genauso wie Isa Bell und Lexderogans. Entweder man definiert wehrlos mit dem Bestandteil "wer infolge der
Arglosigkeit... " und hat den Aufbau: 1) Arglos (-) und 2) Wehrlos (-). Oder man lässt den Bestandteil weg und hat: 1) Arglos (-) 2) Wehrlos (+) 3) Kausalität von 1 für 2 (-). In der ersten Variante enthält dann quasi 2) die Punkte 2) und 3) (also die Kausalität) der zweiten Variante.

Marilena
1.4.2020, 13:53:23
Danke euch, das stimmt natürlich, die Def. für
Wehrlosigkeitdarf dann nicht „infolge der
Arglosigkeit“ enthalten. Haben wir übersehen.

Marilena
1.4.2020, 13:54:10
@Henk wir haben doch den Aufbau deiner zweiten Variante, oder übersehe ich etwas?
/qwas
22.1.2024, 17:51:17
Ich glaube, jetzt wird
Wehrlosigkeitnicht überall gleich definiert. Das macht die Beantwortung der Frage nicht ganz leicht.
🦊LEXDEROGANS
31.3.2020, 22:35:38
Bzgl. der Fragen zum
Argwohnvon O wäre m. E. hilfreich in den JuraFuchs-Fall ein weiteres Detail aus dem OriginalSV mit aufzunehmen: Als die Täterin das Tuch vor den Augen des Opfers faltete, rief das Opfer um Hilfe. So wird m. E. ersichtlicher, dass dem Opfer „klar geworden [war], was die Angekl. [T] vorhatte.“

Marilena
1.4.2020, 13:55:01
Super Vorschlag @Lexderogans ! Das füge ich ein.
Eda
23.7.2020, 18:49:30
Wenn man wehrlos als wehrlos I. S. Der definition "aufgrund seiner
arglosigkeitzur Verteidigung außerstande und in seiner natürlichen Abwehrbereitschaft stark beeinträchtigt" gebraucht, muss man dann nicht ein Synonym für wehrlos nehmen, damit erkennbar ist, dass man nicht als den Rechtsbegriff meint?

Eigentum verpflichtet 🏔️
24.7.2020, 17:53:12
Hallo Eda, der Begriff "wehrlos" hängt nicht notwendigerweise mit dem Begriff "arglos" zusammen. Für Heimtücke muss das Opfer ja aufgrund seiner
Arglosigkeitwehrlos sein. Wie Marilena das in dem anderen Thread schon ausgeführt hat, prüft der BGH hier 1.
Arglosigkeit(-), 2.
Wehrlosigkeit(+), 3. Kausalität, zwischen 1. und 2. (-).
Al.Isa
8.11.2021, 14:50:03
In einem vorhergehenden Fall wurde dem Kind keine
Wehrlosigkeitunterstellt, da es Schreie konnte. Warum ist O dann hier wehrlos? Sie könnte ja noch schreien.

Lukas_Mengestu
8.11.2021, 19:08:27
Lieben Dank für Deine Nachfrage, Al.lsa. Einen Fall, in dem bei uns die
Wehrlosigkeiteines Kindes abgelehnt wurde, konnte ich leider nicht finden. Meintest Du evtl. einen der folgenden Fälle: https://jurafuchs.app.link/ror5KD7u1kb (Kleinstkind) bzw. https://jurafuchs.app.link/IXI7eFav1kb (vierjähriger)? Hier wurde tatsächlich kursorisch ausgeführt, dass ab 3 Jahren Kinder Verteidigungsfähigkeiten entwickeln (zB den Hilferuf). Da Kinder sonst häufig nicht viel machen können, stellt dies auch die essentielle Verteidigungsform dar. Dies ist bei Erwachsenen natürlich deutlich anders. Auch wenn O also noch schreien konnte, so sind ihre sonstigen Abwehrmöglichkeiten durch die Fesselung stark eingeschränkt und somit liegt
Wehrlosigkeitvor. Ich hoffe, dadurch wird es jetzt etwas klarer. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Dogu
6.8.2023, 17:31:21
Leo Lee
11.8.2023, 13:43:39
Magnum
16.10.2024, 13:16:17
Liegt der Unterschied zu dem Fall, in dem die Täter:innen ihre Opfer in die Fabrik gelockt haben, um sie dort zu töten und die Heimtücke bejaht wurde darin, dass die Tötung dort von Anfang an mit
Tötungsvorsatzgeplant war?
YI
1.2.2025, 13:22:29
Unter der Annahme das man die
Arglosigkeitzum Zeitpunkt des Fesseln vorverlegen würde, müsste doch bereits der Tötungsentschluss der Täters vorliegen? Oder bin ich hier falsch? Mit freundlichen Grüßen