Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Stellvertretung

Duldungsvollmacht – Stellvertretung

Duldungsvollmacht – Stellvertretung

26. Januar 2025

27 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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streitig (herrschende Meinung vs. starke Mindermeinung)

A hat einen erfolgreichen Kleinhandel, in dem auch B angestellt ist. Als A sich aus dem Handel zurückziehen will, betreibt B den Betrieb unter dem Namen des A weiter. A ignoriert dies und unternimmt nichts. B schließt einen Vertrag im Namen des A mit K über Büromaterial.

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Einordnung des Falls

Duldungsvollmacht – Stellvertretung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat B durch ihre Untätigkeit konkludent eine Vollmacht zur Fortführung ihres Geschäfts erteilt (nach der Rspr.).

Nein, das trifft nicht zu!

Die Vertretungsmacht kann sich (1) aus Rechtsgeschäft (gewillkürte Vertretung), (2) aus Gesetz oder (3) aus Organstellung in einer Gesellschaft (gesetzliche und organschaftliche Vertretung) ergeben. Dafür bedarf es eines Rechtsbindungswillens und die Vollmachtserklärung muss dem Bevollmächtigten oder dem Geschäftspartner zugegangen sein (§ 167 Abs. 1 BGB).Hier lässt sich nicht aus dem Ignorieren der Geschäftsfortführung entnehmen, dass A den B hierzu berechtigen wollte. Insbesondere kommt Schweigen grundsätzlich keine rechtliche Bedeutung zu. Auch ist eine entsprechende konkludente Vollmachtserteilung weder dem B oder dem K zugegangen.
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2. B ist nach außen durch den Rechtsschein der Duldungsvollmacht zur Stellvertretung von A gegenüber K berechtigt.

Ja!

Eine Duldungsvollmacht hat nach h.M. die Rechtsnatur einer Rechtsscheinvollmacht (nach a.A. handelt es sich um eine konkludent erklärte Vollmacht). Sie setzt voraus: (1) Der Vertreter tritt im Namen des Geschäftsherrn auf (=Rechtsschein), (2) der Geschäftsherr ist geschäftsfähig, kennt und duldet das Verhalten (=Zurechenbarkeit), (3) der Geschäftsgegner nimmt eine Disposition (Vertragsschluss) vor im Vertrauen auf den Rechtsschein (=Kausalität), (4) Geschäftsgegner ist gutgläubig (entsprechend § 173 BGB). Nach h.M. kann schon ein einmaliges Gewährenlassen eine Duldungsvollmacht begründen, wiederholtes Dulden ist demnach nicht erforderlich. Begründet liegt dies darin, dass es bei der Duldungsvollmacht um wissentliches Dulden geht. Bei positiver Kenntnis ist der Geschäftsherr bereits bei einmaligem Auftreten und Dulden nicht schutzwürdig.B tritt - sogar wiederholt - im Namen von A auf. A bemerkt die Geschäftsfortführung, unternimmt allerdings nichts. Ebenso liegt Kausalität für den Vertragsschluss und Gutgläubigkeit des K vor.

3. Zwischen A und K ist ein Kaufvertrag über das Büromaterial zustande gekommen.

Genau, so ist das!

Ein Kaufvertrag setzt zwei übereinstimmende Willenserklärung voraus, die auf den Abschluss eines Kaufvertrages gerichtet sind.A hat zwar nicht selbst gehandelt, er wurde jedoch von B wirksam vertreten. Insbesondere kann er sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf eine fehlende Vollmacht des B berufen, da er wusste, dass B für ihn handelt, aber in zurechenbarer Weise nichts dagegen unternommen hat. Damit ist zwischen A und K ein wirksamer Kaufvertrag über das Büromaterial zustande gekommen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

29.6.2020, 11:34:45

Beantwortet man die erste Frage mit "Ja" (was ihr als falsch angebt) folgt man einer in der Lehre stark vertretenen Mindermeinung. Man sollte deswegen schon in der Frage selbst kenntlich machen, dass ihr die Antwort nach BGH und deswegen ein "Nein" wolllt.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

29.6.2020, 21:16:14

Danke für den Hinweis! Wir haben das ergänzt. Wie folgen bei Jurafuchs fast ausschließlich der Rspr. Das sollten wir ggf mal in einem globalen Hinweis transparent machen.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

17.11.2020, 10:36:03

Wir haben diesen Fall zudem mit einem Tag (am unteren Ende der Illustration) markiert: „streitig (herrschende Meinung vs. starke Mindermeinung)“, um deutlicher zu machen, dass das Institut der

Duldungsvollmacht

unterschiedlich beurteilt wird.

JO

jomolino

7.2.2022, 13:12:12

Ich finde die Fragen tatsächlich (ausnahmsweise) sehr wenig hilfreich um die unterschiedlichen Positionen zu lernen. Vielleicht wäre es besser eine Aufgabe zu machen welche Aufgabe für uns gegen die Annahme der Existenz einer

Duldungsvollmacht

sprechen. (Ähnlich würde ich es übrigens gerne für die

Anfechtbarkeit

von bereits ausgeübten Vollmachten vorschlagen.)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.2.2022, 12:37:05

Danke für den Hinweis, nomamo. Gerne werden wir hier noch entsprechende Abgrenzungsaufgaben ergänzen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Nordisch

Nordisch

26.9.2022, 11:09:36

Ich finde die Fragen auch etwas doppeldeutig in diesem Fall und die Aufbereitung nicht ganz so gelungen. Daher auch eine Verständnisfrage: Eine Frage lautet, dass B durch Rechtsschein zur SV

ggü

A BERECHTIGT ist. Ist dem denn so? Ich dachte, dass lediglich der, nunja, Rechtsschein einer Berechtigung durch Stellvertretung des B von A vorliegt. A hat den B ja gerade nicht (mehr) berechtigt, wie in der Vorfrage auch verneint wird.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.9.2022, 19:14:34

Hallo Nordisch, vielen Dank für Deine Nachfrage. Wir haben die Aufgabe hier noch einmal etwas präzisiert. Es geht um die Frage, ob eine Berechtigung im Außenverhältnis vorliegt bzw. anders ausgedrückt, kann B die A nach außen hin wirksam vertreten? In der Tat fehlt es an einer entsprechenden (

konkludent

en) Bevollmächtigung durch A. Nichtsdestotrotz ergibt sich aus dem Umstand, dass A hier nicht einschreitet ein Rechtsschein in Form der

Duldungsvollmacht

. Aus dieser speist sich die Vertretungsmacht der B. Ich hoffe, es ist jetzt etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

19.9.2023, 22:26:05

Wie begründet die Literaturansicht, dass in der wissenden Untätigkeit eine

konkludent

e Bevollmächtigung zu sehen sei?

LELEE

Leo Lee

23.9.2023, 18:27:21

Hallo QuiGonTim, die Lit. begründet diese Ansicht damit, dass wenn der Vertretene sehr wohl weiß, was der Vertreter ohne Vertretungsmacht tut und dies einfach passieren lässt, dass hierin wohl eine Erklärung dahingehend zu sehen ist, dass er ihn gleich bevollmächtigt. Im Grunde kommen beide praktisch zum gleichen Ergebnis (und zwar dass vertreten wird), jedoch dogmatisch anders (bei der Lit. liegt eine richtige Vollmacht vor, während nach der h.M. nur ein Rechtsscheinstatbesatnd vorliegt). Dies wirkt sich dann später bei der

Anfechtbarkeit

aus (bei der Lit. kein Ding, weil eben eine echte Vollmacht als WE vorliegt, während bei der h.M. streitig ist, ob ein Rechtsscein

tatbestand

überhaupt angefochten werden kann). Hierzu kann ich die Lektüre von Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 100 f empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

STE

Stella2244

27.11.2024, 01:18:49

Was sind die Argumente für und gegen eine Anfechtung bei einem Rechtsschein

tatbestand

?

TI

Tinki

7.1.2025, 10:51:43

@[Stella2244](227540) gg. eine Anfechtung spricht, dass im Falle eines Rechtsscheins gerade keine WE vorliegt, sondern bloßes tatsächliches Handeln. Man könnte deswegen nur über eine analoge Anwendung der §§ 119ff. nachdenken...

Dogu

Dogu

28.6.2024, 19:04:17

Entgegen der Darstellung reicht eine einmalige Duldung des einmaligen Handelns des Scheinvertreters aus. Dies unterscheidet die

Duldungsvollmacht

von der

Anscheinsvollmacht

. Einer Duldung dauerhaften Verhaltens bedarf es nicht zwingend.

Tobias Krapp

Tobias Krapp

21.9.2024, 22:33:15

Hallo @[Dogu](137074), danke für deinen aufmerksamen Hinweis, ich habe das hier und in der folgenden Aufgabe korrigiert. Randnotiz: Der BGH hat in früheren Entscheidungen tatsächlich auch für die

Duldungsvollmacht

gefordert, dass das Dulden "in der Regel über einen längeren Zeitraum" geschehen muss (zB BGH, Urteil vom 20. 4. 2004 - XI ZR 164/03). Ein nur einzelnes Auftreten würde demnach nicht reichen. In neueren Entscheidungen verwendet der BGH diesen Textbaustein in seiner Definition für die

Duldungsvollmacht

aber nicht mehr (zB BGH, Urt. v. 11. 5. 2011 − VIII ZR 289/09, dort ist die Häufigkeit und Dauer explizit NUR bei der

Anscheinsvollmacht

angesprochen) - ohne das aber explizit irgendwann thematisiert zu haben, er zitiert vielmehr die alten Urteile einfach mit. Die OLG Rechtsprechung und Kommentarliteratur wiederum vertritt ganz überwiegend, dass ein einzelnes Auftreten genügt. Das ist in der Sache mE auch überzeugend, denn bei der

Duldungsvollmacht

geht es - anders als bei der

Anscheinsvollmacht

- um wissentliches Dulden des Auftretens, nicht kennen-müssen des Auftretens. Der Geschäftsherr ist insofern bereits nach einmaligem Dulden nicht schutzwürdig. Manche Autoren verlangen aber immer noch ein "wiederholtes Auftreten über einen längeren Zeitraum hinweg". Ich würde für die Klausur daher empfehlen, das kurz anzusprechen, dass das teils gefordert wird, und dann mit dem obigen Argument abzulehnen. Nochmals vielen Dank für deinen aufmerksamen Beitrag, durch den wir diesen Punkt hier in die Aufgabe mit aufnehmen konnten! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

Kai

Kai

18.11.2024, 13:27:17

Ich bin noch nicht so sehr im Handelsrecht drin, daher eine Verständnisfrage. A will sich aus dem Geschäft zurückziehen und B übernimmt den Betrieb. Wieso soll dann trotzdem ein Vertrag zwischen A und K und nicht B und K entstehen. Denn auch wenn die Anforderungen der

Duldungsvollmacht

vorliegen, handelt B doch eigentlich nicht im Namen des A, sondern seinem eigenen. Würde B die Geschäfte weiter für A erledigen, bräuchte man die

Duldungsvollmacht

doch gar nicht, oder?

HARD

hardymary

21.11.2024, 16:46:13

Ich denke man soll hier davon ausgehen, dass B im Namen des A handelt. Erst dann ist der gesamte Fall für STV von Bedeutung. Und Vollmacht hat er ja gerade nicht mehr, deswegen muss es über die Grundsätze der Rechtsscheinvollmacht gelöst werden. Aber ja, wenn er in seinem eigenen Namen handeln würde, wären Regeln des HGB anzuwenden.

TI

Tinki

7.1.2025, 10:46:14

Ich glaube, dass hier schon bewusst von einem

Handeln unter fremdem Namen

gesprochen wird. Weil die Identität seines Vertragspartners für K aber relevant ist, finden die §§ 164ff. analoge Anwendung. D.h. man prüft, eig. WE (+), in fremdem Namen (-), aber analoge Anwendung der §§ 164ff.: weiter mit "mit und innerhalb VM?" hier (+) wg.

Duldungsvollmacht

, wohlgemerkt dann auch zugeschnitten auf die analoge Anwendung (denke ich), demnach Vertrag zwischen K und A, nicht K und B. bin mir aber auch nicht ganz sicher.. Und auf

§ 56 HGB

kann man vorliegend mMn nicht abstellen, weil B gerade nicht in fremdem Namen handelt. Allerdings könnte man hier natürlich auch analog anwenden, oder? @[Leo Lee](213375) @[Linne_Karlotta_](243622)

ALE

Alexander

10.1.2025, 10:25:55

Im Sachverhalt steht doch grade, dass der B den Vertrag „im Namen des A“ abschließt. Somit gibt er eine eigene WE ab und im Namen von A. Lediglich die Vertretungsmacht fehlt hier in dem Fall, was dann durch die

Duldungsvollmacht

gelöst wird.

TI

Tinki

10.1.2025, 10:58:21

Stimmt! Im letzten Satz überlesen…😅

STE

Stella2244

27.11.2024, 01:25:59

Welche Ansprüche hätte A gegen B im Innenverhältnis?


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