Kenntnis des Vertragspartners - Evidenz
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Prokurist P ist bei Kaufhaus K angestellt. Laut Anstellungsvertrag darf P Geschäfte bis €10.000 tätigen. P ist der Meinung, dass diese Saison Schlaghosen angesagt sein werden und ordert bei Zulieferer Z, der die Regelung im Anstellungsvertrag kennt, Schlaghosen im Wert von 1 Mio. €.
Einordnung des Falls
Kenntnis des Vertragspartners - Evidenz
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat K die Prokura des P wirksam im Außenverhältnis beschränkt?
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Nein, das ist nicht der Fall!
2. Hat K die Prokura des P wirksam im Innenverhältnis beschränkt?
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Ja, in der Tat!
3. Steht K gegen die Wirksamkeit der Stellvertretung der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung zu, da Z von dem Missbrauchs der Vertretungsmacht wusste (§ 242 BGB)?
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Ja!
Fundstellen
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L
11.12.2021, 10:10:49
Ist dies somit ein Fall der Evidenz?

Lukas_Mengestu
11.12.2021, 12:58:00
Hallo L, in der Tat wird hier die Fallgruppe der evident fehlenden Vertretungsmacht behandelt. Ebenfalls ausgeschlossen ist die Wirksamkeit der Stellvertretung bei kollusivem Zusammenwirken des Geschäftspartners mit dem Vertreter. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
1.4.2022, 14:49:23
Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich dabei um eine rechtshindernde Einwendung handelt?

Max S.
14.3.2023, 07:46:33
Kommt hier § 179 BGB nicht zur Anwendung?
se.si.sc
14.3.2023, 09:21:29
Ganz klar nein! Wir haben hier nämlich keinen Vertreter ohne Vertretungsmacht, sondern einen Vertreter mit Vertretungsmacht, das sagen uns ja gerade 49, 50 HGB. Beschränkungen der Vertretungsmacht im Außenverhältnis sind gegenüber Dritten unwirksam, Prokura (und damit Vertretungsmacht) besteht bei einer Erteilung also immer im Umfang des § 49 I HGB. Das dient der Sicherheit und Leichtigkeit des Handelsverkehrs. Überschreitet der Prokurist, wie hier, seine im Innenverhältnis auferlegten Beschränkungen, macht er sich natürlich nach § 280 I BGB trotzdem schadensersatzpflichtig, das Geschäft ist für den Vertretenen im Außenverhältnis aber wirksam.

F. Rosenberg 🦅
2.5.2023, 23:16:40
Verstehe ich es richtig: Wenn sich der Geschäftsherr auf den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung beruft, ist der Anspruch des Geschäftsgegners also nicht durchsetzbar? Könnte man nicht auch annehmen, dass nach 242 der Geschäftsgegner sich nicht auf die tatsächliche bestehende Prokura berufen kann, da er Kenntnis hatte von der Überschreitung der Prokura im Innenverhältnis, und das Geschäft daher schwebend unwirksam ist (177 I)? Der Geschäftsherr könnte dann genehmigen oder verweigern. Wenn er verweigert, ist der Anspruch erst gar nicht entstanden.
aleynademir
9.5.2023, 11:23:39
@[F. Rosenberg 🦅](206066) Der Umstand ändert nichts daran, dass trotzdem eine Prokura vorlag und P somit nicht ohne Vetretungsmacht gehandelt hat. Die §§ 177, 179 finden schon deshalb keine Anwendung auf diesen Fall.
QuiGonTim
29.11.2023, 23:05:40
Wäre in diesem Fall auch eine analoge Anwendung des § 173 BGB denkbar?
Leo Lee
2.12.2023, 20:40:01
Hallo QuiGonTim, vielen Dank für diese sehr gute Frage! In der Literatur findet sich leider nichts zu einer analogen Anwendung von § 173 BGB in Fällen wie diesem (wo ein Prokurist entgegen den Vereinbarungen im Innenverhältnis „übertreibt“, der Gegner jedoch Kenntnis von den internen Absprachen hat). Dagegen dürfte allerdings sprechen, dass § 173 BGB nach dem Sinn und Zweck solche Fälle erfassen soll, die von einem RECHTSSCHEIN geprägt sind (also es besteht keine Vertretungsmacht), weshalb die §§ 170 ff BGB auch die „gesetzlich geregelten Rechtsscheintatbestände“ genannt werden. Da jedoch bei einem Prokuristen – aufgrund der extrem weiten Anwendung der Vertretungsmacht – kein „Rechtsschein“ in dem Sinne bestehen können. Deshalb würden wir empfehlen, falls du den § 173 BGB zitieren möchtest, den „Rechtsgedanken“ (ist ein etwas passivere Formulierung) des § 173 BGB zu erwähnen. In der Klausur ist es jedoch empfehlenswert, der Rechtsprechung zu folgen (aus klausurtaktischen Gründen) :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo