Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Stellvertretung

Kenntnis des Vertragspartners - Evidenz

Kenntnis des Vertragspartners - Evidenz

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Prokurist P ist bei Kaufhaus K angestellt. Laut Anstellungsvertrag darf P Geschäfte bis €10.000 tätigen. P ist der Meinung, dass diese Saison Schlaghosen angesagt sein werden und ordert bei Zulieferer Z, der die Regelung im Anstellungsvertrag kennt, Schlaghosen im Wert von 1 Mio. €.

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Einordnung des Falls

Kenntnis des Vertragspartners - Evidenz

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat K die Prokura des P wirksam im Außenverhältnis beschränkt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Prokura ermächtigt zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt (§ 49 Abs. 1 HGB). Eine Beschränkung des Umfanges der Prokura ist dabei Dritten gegenüber unwirksam (§ 50 Abs. 1 HGB). Damit ist es nicht möglich, Prokura im Außenverhältnis zu beschränken. Dies ist insbesondere durch den Sinn und Zweck der Prokura, Rechtssicherheit im Handelsverkehr zu sichern, gedeckt.
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2. Hat K die Prokura des P wirksam im Innenverhältnis beschränkt?

Ja, in der Tat!

Der Vertretene kann die Prokura im Innenverhältnis beschränken und damit das rechtliche „Dürfen“ des Prokuristen definieren. Dies hat jedoch wegen der Regelung des § 50 Abs. 1 HGB keine Auswirkungen auf das rechtliche „Können“ im Außenverhältnis mit Wirkung für Dritte. Überschreitet der Prokurist dennoch das rechtliche „Dürfen“ im Innenverhältnis, im Rahmen seines rechtlichen „Könnens“, so stellt dies einen Missbrauch der Vertretungsmacht dar, der u.a. eine Schadensersatzpflicht zur Folge haben kann (§ 280 Abs. 1 BGB).

3. Steht K gegen die Wirksamkeit der Stellvertretung der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung zu, da Z von dem Missbrauch der Vertretungsmacht wusste (§ 242 BGB)?

Ja!

Z hatte Kenntnis von der Beschränkung der Prokura im Innenverhältnis und wusste damit, dass der Kauf der Schlaghosen im Wert von € 1 Mio. das rechtliche Dürfen im Innenverhältnis überschreitet. Liegt aufseiten des Vertreters ein Missbrauch der Vertretungsmacht vor und hat der Geschäftsgegner dies erkannt oder grob fahrlässig die Augen davor verschlossen (evident fehlende Vertretungsmacht), steht dem Vertretenen der Einwand aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) gegen die Wirksamkeit des Geschäfts zu. Dies ergibt sich daraus, dass der Geschäftsgegner aufgrund seiner Kenntnis kein schutzwürdiges Interesse hat und damit die Rechtsausübung rechtsmissbräuchlich wäre.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

L

L

11.12.2021, 10:10:49

Ist dies somit ein Fall der Evidenz?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.12.2021, 12:58:00

Hallo L, in der Tat wird hier die Fallgruppe der evident fehlenden Vertretungsmacht behandelt. Ebenfalls ausgeschlossen ist die Wirksamkeit der Stellvertretung bei kollusivem Zusammenwirken des Geschäftspartners mit dem Vertreter. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

1.4.2022, 14:49:23

Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich dabei um eine rechtshindernde Einwendung handelt?

Max S.

Max S.

14.3.2023, 07:46:33

Kommt hier § 179 BGB nicht zur Anwendung?

SE.

se.si.sc

14.3.2023, 09:21:29

Ganz klar nein! Wir haben hier nämlich keinen Vertreter ohne Vertretungsmacht, sondern einen Vertreter mit Vertretungsmacht, das sagen uns ja gerade 49, 50 HGB. Beschränkungen der Vertretungsmacht im Außenverhältnis sind gegenüber Dritten unwirksam, Prokura (und damit Vertretungsmacht) besteht bei einer Erteilung also immer im Umfang des § 49 I HGB. Das dient der Sicherheit und Leichtigkeit des Handelsverkehrs. Überschreitet der Prokurist, wie hier, seine im Innenverhältnis auferlegten Beschränkungen, macht er sich natürlich nach § 280 I BGB trotzdem schadensersatzpflichtig, das Geschäft ist für den Vertretenen im Außenverhältnis aber wirksam.

AN

Antonia

24.8.2024, 16:15:31

@[se.si.sc](199709) Das kann man so pauschal nicht sagen, es ist umstritten, wie der Fall der Evidenz gelöst wird. Der BGH vertritt die von dir und Jurafuchs dargestellte Auffassung, dass dem Vertretenen die Einrede des Rechtsmissbrauchs nach §242 zusteht, sodass das Rechtsgeschäft grundsätzlich wirksam ist, die Durchsetztbarkeit des Anspruchs ist jedoch gehemmt, wenn der Vertretene die Einrede erhebt. Nach der Ansicht der Literatur ist jedoch §177 analog anzuwenden, mit der Folge, dass der Vertreter wie ein Vertreter ohne Vertretungsmacht behandelt wird und das Rechtsgeschäft

schwebend unwirksam

ist. Folgt man dieser Ansicht wird also sehr wohl §179 angewandt sollte der Vertretene das Rechtsgeschäft nicht genehmigen.

F. Rosenberg 🦅

F. Rosenberg 🦅

2.5.2023, 23:16:40

Verstehe ich es richtig: Wenn sich der Geschäftsherr auf den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung beruft, ist der Anspruch des Geschäftsgegners also nicht durchsetzbar? Könnte man nicht auch annehmen, dass nach 242 der Geschäftsgegner sich nicht auf die tatsächliche bestehende Prokura berufen kann, da er Kenntnis hatte von der Überschreitung der Prokura im Innenverhältnis, und das Geschäft daher

schwebend unwirksam

ist (177 I)? Der Geschäftsherr könnte dann genehmigen oder verweigern. Wenn er verweigert, ist der Anspruch erst gar nicht entstanden.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

9.5.2023, 11:23:39

@[F. Rosenberg 🦅](206066) Der Umstand ändert nichts daran, dass trotzdem eine Prokura vorlag und P somit nicht ohne Vetretungsmacht gehandelt hat. Die §§ 177, 179 finden schon deshalb keine Anwendung auf diesen Fall.

QUIG

QuiGonTim

29.11.2023, 23:05:40

Wäre in diesem Fall auch eine analoge Anwendung des § 173 BGB denkbar?

LELEE

Leo Lee

2.12.2023, 20:40:01

Hallo QuiGonTim, vielen Dank für diese sehr gute Frage! In der Literatur findet sich leider nichts zu einer analogen Anwendung von § 173 BGB in Fällen wie diesem (wo ein Prokurist entgegen den Vereinbarungen im Innenverhältnis „übertreibt“, der Gegner jedoch Kenntnis von den internen Absprachen hat). Dagegen dürfte allerdings sprechen, dass § 173 BGB nach dem Sinn und Zweck solche Fälle erfassen soll, die von einem RECHTSSCHEIN geprägt sind (also es besteht keine Vertretungsmacht), weshalb die §§ 170 ff BGB auch die „gesetzlich geregelten Rechtsscheintatbestände“ genannt werden. Da jedoch bei einem Prokuristen – aufgrund der extrem weiten Anwendung der Vertretungsmacht – kein „Rechtsschein“ in dem Sinne bestehen können. Deshalb würden wir empfehlen, falls du den § 173 BGB zitieren möchtest, den „Rechtsgedanken“ (ist ein etwas passivere Formulierung) des § 173 BGB zu erwähnen. In der Klausur ist es jedoch empfehlenswert, der Rechtsprechung zu folgen (aus klausurtaktischen Gründen) :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

ELE

ElenaSS

1.5.2024, 15:15:57

Ich finde, dass es im Sachverhalt nicht klar ist, ob Z die Beschränkung der Vollmacht kannte. Vielleicht könnt Ihr den SV entsprechend anpassen.

Paulah

Paulah

3.5.2024, 02:31:58

Im Sachverhalt steht "und ordert bei Zulieferer Z, d e r d i e R e g e l u n g i m A n s t e l l u n g s v e r t r a g k e n n t"

MI

Miriam

12.7.2024, 09:50:14

Wenn die Prokura rein gegenüber dem Prokuristen, also im Innenverhältnis, erklärt wird und in §50 I HGB steht, dass eine Beschränkung des Umfanges der Prokura Dritten gegenüber wirksam ist, warum ist das dann nur der Fall, wenn die Prokura im Außenverhältnis erklärt wird? In dem Paragraphen erschließt sich mir hier nicht, dass der

Umfang der Prokura

dem Dritten mitgeteilt werden müsste, um diese wirksam zu beschränken. Oder habe ich hier einen Denkfehler?

TI

Timurso

12.7.2024, 10:12:27

In § 50 I HGB steht, dass die Beschränkung nicht wirksam ist. Eine Prokura kann im Außenverhältnis nicht beschränkt werden, unabhängig, ob sie im Innen- oder Außenverhältnis erklärt wird.

MI

Miriam

12.7.2024, 10:58:51

Hab gerade auch meinen Denkfehler entdeckt :D Danke!


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