Fehlen einer Anweisung

19. Mai 2025

5 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A und B haben einen Auto-Unfall. A geht davon aus, er hätte den Unfall verschuldet und meldet dies seiner Versicherung V. V erstattet B die Reparaturkosten (€4.000). Später stellt sich heraus, dass B den Unfall verschuldet hat.

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Einordnung des Falls

Fehlen einer Anweisung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat die Gutschrift auf seinem Konto und damit die Verfügungsgewalt über den Betrag (€4.000) "erlangt" (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BG).

Ja, in der Tat!

„Etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Man kann vier Kategorien unterscheiden: (1) Rechte (z.B. Eigentum), (2) vorteilhafte Rechtsstellungen (z.B. Besitz), (3) Befreiung von Verbindlichkeiten, (4) erlangte Nutzungen. B hat durch die Überweisung eine Gutschrift auf seinem Konto in dieser Höhe erlangt. In der Gutschrift auf seinem Konto liegt rechtlich ein abstraktes Schuldversprechen der Bank (§ 780 BGB): Die Bank verspricht, dem B im Kontokorrent einen Betrag in dieser Höhe zu schulden.
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2. B hat die Gutschrift "durch Leistung" der V erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Ja!

Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Für das Leistungsbewusstsein ist ein rechtsgeschäftlicher Wille nicht erforderlich. Es genügt natürliche Einsichtsfähigkeit. Es liegt ein Fall der Drittzahlung (§ 267 BGB) vor, auch wenn V nur denkt, dass A zur Leistung verpflichtet ist. Die V zahlt an den B, auf die (vermeintliche) Schuld des A und zwar auf Grund des Versicherungsvertrags (Deckungsverhältnis). Wenn die Verbindlichkeit des Dritten nicht bestand, ist eine Leistungskondiktion gegen den Scheingläubiger möglich, außer der vermeintliche Schuldner hat die Zahlung zurechenbar verursacht. Hier hat A keine Weisung erteilt. Eine solche konnte und brauchte A nicht zu geben. V prüft selbstständig, ob der Anspruch des B besteht und ob der Versicherungsvertrag zur Zahlung dieses Anspruchs verpflichtet. Abweichend von anderen Anweisungsfällen hat der vermeintliche Schuldner hier nicht genug Veranlassung gegeben, in die Rückabwicklung miteinbezogen zu werden. V kann direkt vom Scheingläubiger B kondizieren.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dogu

Dogu

7.8.2024, 18:44:21

Dreiecksverhältnisse sind verwirrend: Wieso liegt hier nicht eher eine Leistung der Versicherung an ihren Versicherungsnehmer vor? Sie erfüllt ja nur ihre eigene Verpflichtung aus dem Versicherungsverhältnis?

SCH

Schmalinho

11.10.2024, 23:39:00

Zahlt sie nicht sogar in (vermeintlicher)

Erfüllung

einer eigenen Verbindlichkeit nach 115 VVG?

Tobias Krapp

Tobias Krapp

12.10.2024, 23:24:32

Hallo @[Dogu](137074), Dreiecksverhältnisse sind in der Tat verwirrend. Ich würde immer empfehlen, eine Skizze zu machen und dann die Leistungsbeziehungen einzuzeichnen. Grundsätzlich erfolgt die Rückabwicklung dann in diesen mit

Leistungskondiktion

(LK); die Nicht

leistungskondiktion

(NLK) scheitert am Vorrang der Leistungsbeziehung, es sei denn, es ist ausnahmsweise eine Durchbrechung der Leistungsbeziehungen gerechtfertigt. Bei unserem Fall, der vermeintlichen Tilgung einer

fremd

en

Schuld

durch einen Dritten: Nach hM liegt eine Leistung des Dritten (hier V) an den vermeintlichen Gläubiger (hier B) vor (Zuwendungsverhältnis). Grund hierfür: Wenn der Zahlende gegenüber dem vermeintlichen Gläubiger als

Dritter

iSd §

267 BGB

auftritt, bestimmt er den Leistungszweck selbst. Ob er glaubt, dem vermeintlichen

Schuld

ner gegenüber dazu verpflichtet zu sein, spielt dafür keine Rolle, sondern ist quasi nur Motivation seines Handelns. Das ist innerhalb der hM unstreitig so, wenn der Dritte nicht von dem vermeintlichen

Schuld

ner angewiesen wird, im

Valutaverhältnis

(das ist das Verhältnis zwischen dem vermeintlichen Gläubiger und dem vermeintlichen

Schuld

ner, also zwischen A und B) zu leisten: Der Dritte ist dann nicht nur bloßer Leistungsmittler, sondern aus eigenem Antrieb tätig und daher selbst Leistender. Zweifelhaft ist das dann, wenn eine Anweisung des vermeintlichen

Schuld

ners vorliegt. Der BGH hat ohne Diskussion sogar dann eine eigene Bestimmung des Leistungszwecks angenommen. Die Literatur ist hier überwiegend enger und verweist darauf, dass aufgrund der Anweisung der vermeintliche

Schuld

ner die Disposition treffe und der Dritte daher nur Leistungsmittler sei und nicht selbst Leistender (ausführlich MüKo BGB § 812 Rn. 198 ff.). Ob daneben im

Deckungsverhältnis

(das ist das Verhältnis zwischen dem Dritten und dem vermeintlichen

Schuld

ner, also zwischen V und A) eine Leistung besteht, wird von der hM nicht einheitlich beantwortet. Teilweise wird vertreten, dass mangels Finalität keine Leistung vorliegt: Gewollt sei die Vermögensmehrung nur beim vermeintlichen Gläubiger, die Vermögensmehrung beim vermeintlichen

Schuld

ner sei nur nicht bezweckter Reflex. Das ist iE aber für die Rückabwicklung egal, der Dritte hat ja ohnehin den Anspruch aus der LK gegen den vermeintlichen Gläubiger. Daher wird das oft gar nicht thematisiert. Nach aA verfolge der Dritte einen Leistungszweck NUR gegenüber dem vermeintlichen

Schuld

ner, also im

Deckungsverhältnis

. Er wolle in diesem erfüllen (hier bei uns die Verpflichtung aus dem Ver

sicherungsvertrag

). Zugleich wolle er das bestehende Kausalverhältnis im

Valutaverhältnis

erfüllen. Die Bezahlung beinhalte dann zwei Leistungen zugleich. Nach dieser Ansicht würde dann V gegen B nur eine NLK zustehen. Was man aber noch bedenken sollte: Wenn man mit der aA geht, stellt sich die Frage der Durchbrechung der Leistungsbeziehung. Hier wird nach dem

Veranlasserprinzip

differenziert: Wenn der vermeintliche

Schuld

ner nicht angewiesen hat, hat er die Zahlung nicht veranlasst und soll deswegen auch aus der Rückabwicklung herausgehalten werden. Das ist nur möglich, wenn man die

Direktkondiktion

zulässt. Daher wird von der aA in diesen Fällen trotzdem die NLK gegen den vermeintlichen Gläubiger zugelassen. Dann ist man beim gleichen Ergebnis wie die hM, bloß über einen anderen Weg. Relevant wird die Differenzierung also nur, wenn ein Veranlasserfall vorliegt, denn dann wickelt die aA übers Eck ab und die hM nicht (wobei das wie gezeigt in der hM strittig ist). Zu dem Punkt von @[Schmalinho](255833): Das ist ein sehr valider Gedanke. Die vermeintliche

Schuld

war nicht nur eine

fremd

e, sondern auch eine eigene des V wegen §§ 115 I Nr. 1 VVG, 1 PflVG. Man kann also durchaus vertreten, dass V hier auf eigene nicht bestehende Verbindlichkeit geleistet hat, womit problemlos die LK einschlägig wäre und sich all die aufgeworfenen Probleme nicht stellen. Das OLG Saarbrücken hat mit Urteil vom 20.10.2016 – 4 U 46/16, Rn. 17 anders entschieden: Mit dem Standardsätzchen, dass sich bei Dreipersonenverhältnisse "jede schematische Betrachtung verbiete" hat es ausgeführt, dass der Versicherer wertungsmäßig die Valuta

schuld

tilgt und damit eine

fremd

e

Schuld

. Das kann man damit begründen, dass es sich bei § 115 VVG ja nur um übergeleitete Haftung handelt und daher "des Pudels Kern" in der

fremd

en

Schuld

liegt. Denn klar ist: Ohne

Fremdschuld

keine eigene

Schuld

des Versicherers. Die wertungsmäßige Zuordnung kann daher mE überzeugen (aA natürlich gut vertretbar). In der Klausur wäre es wohl eher so etwas wie eine Privat-Haftpflichtversicherung, bei dem § 115 VVG nicht greift, dann stellt sich die Frage gar nicht. Langer Text, aber ich hoffe, das hat weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

HARD

hardymary

1.4.2025, 15:06:19

Dieser Fall lief bei mir im Probeexamen und es wurde keine Leistung der Versicherung angenommen. Entscheidend ist wohl, wie genau der SV ausgestaltet ist. Bei uns stand (und das ist in Versicherungsfällen wohl regelmäßig so) dass der „

Schuld

ner“ der Versicherung Bescheid gibt bzw. in Kenntnis des Unfalls setzt. Weiter kann man sich fragen, was die Versicherung wohl in ihren Überweisungszweck reinschreiben wird: Wohl eher sowas wie „

Schaden

sbegleichung durch den Unfall des A. Geht der Gläubiger bei so einem Überweisungszweck noch davon aus, dass sich um eine Leistung der Versicherung handelt? Eher nicht. Demensprechend ist das entscheidende, wie genau der SV ausgestaltet ist: wenn die Versicherung selbst prüft und eine eigene

Tilgungsbestimmung

trifft kann man mMn eine Leistung annehmen, aber die Info fehlt halt im SV. Demnach sollte der SV, der § 267 thematisiert, schon mehr als 2 Sätze lang sein, weil es hier eben so eine haarscharfe Unterscheidung gibt.

Tobias Krapp

Tobias Krapp

13.4.2025, 14:25:45

Hallo @[hardymary](202321), ich weiß natürlich nicht wie genau euer Fall im Probeexamen lag, aber ganz so eindeutig/unumstritten ist es (wie fast alles im BerR im 3 Personen Verhältnis) nicht. Das was du beschreibst geht in die Richtung von dem, was ich in meinem erstern längeren Absatz oben geschrieben habe: Wenn der vermeintliche

Schuld

ner den Dritten durch seine Angaben zur Leistung veranlasst (was, wie du richtig schreibst, bei Versicherungen regelmäßig so ist), geht die Lit. überwiegend wegen der Nähe zu den

Anweisungsfälle

n davon aus, dass keine Leistung der Versicherung vorliegt. Der BGH, wie oben und in der Aufgabe selbst bereits erwähnt, aber trotzdem. Zitat BGH: "Der [vermeintliche

Schuld

ner] hat nur mitgeteilt, dass er von dem [vermeintlichen Gläubiger] auf

Schaden

sersatz in Anspruch genommen werde, also den Versicherungsfall gemeldet, und die Ansicht geäußert, das Verlangen sei berechtigt. Darin liegt keine Anweisung, nicht einmal im weiteren Sinne eine Weisung. Eine solche steht dem Versicherungsnehmer auch nicht zu, und der Haftpflichtversicherer würde sie nicht zu befolgen brauchen. " (BGH, Urteil vom 28-11-1990 - XII ZR 130/89). Also sagt der BGH: Der Versicherer wird, auch wenn ihr vom vermeintlichen

Schuld

ner Bescheid gegegeben wird, nicht "angewiesen". Er muss vielmehr prüfen, ob ein Versicherungsfall vorliegt und leistet dann nach §

267 BGB

- auch wenn er glaubt, dem vermeintlichen

Schuld

ner ggü. wegen des Ver

sicherungsvertrag

s dazu verpflichtet zu sein. Nach Auffassung des BGHs ändert das also nichts an der Leistung der Versicherung. Euer Probeexamen ging also wohl gegen diese Lösung des BGHs und war eher im Sinne der wohl überwiegenden Lit. Das kann man natürlich im ersten Examen machen, aber man sollte sich dann zumindest mit der BGH Lösung auseinandersetzen und zB argumentieren, dass dieser Fall zu den

Anweisungsfälle

n identisch gelagert ist, da der Versicherer nur als

Erfüllungsgehilfe

des Versicherten bei der Leistung an den Scheingläubiger tätig wird und dessen

Tilgungsbestimmung

überbringt (vgl. MüKoBGB/Schwab BGB § 812 Rn. 202). Die Unterscheidung die du ansprichst gibt es also nur auf der Grundlage der Ansicht in der Lit., nicht auf Grundlage des BGHs. Viele Grüße!


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