Fehlen einer Anweisung
19. Mai 2025
5 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A und B haben einen Auto-Unfall. A geht davon aus, er hätte den Unfall verschuldet und meldet dies seiner Versicherung V. V erstattet B die Reparaturkosten (€4.000). Später stellt sich heraus, dass B den Unfall verschuldet hat.
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Einordnung des Falls
Fehlen einer Anweisung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B hat die Gutschrift auf seinem Konto und damit die Verfügungsgewalt über den Betrag (€4.000) "erlangt" (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BG).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. B hat die Gutschrift "durch Leistung" der V erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Dogu
7.8.2024, 18:44:21
Dreiecksverhältnisse sind verwirrend: Wieso liegt hier nicht eher eine Leistung der Versicherung an ihren Versicherungsnehmer vor? Sie erfüllt ja nur ihre eigene Verpflichtung aus dem Versicherungsverhältnis?
Schmalinho
11.10.2024, 23:39:00

Tobias Krapp
12.10.2024, 23:24:32
Hallo @[Dogu](137074), Dreiecksverhältnisse sind in der Tat verwirrend. Ich würde immer empfehlen, eine Skizze zu machen und dann die Leistungsbeziehungen einzuzeichnen. Grundsätzlich erfolgt die Rückabwicklung dann in diesen mit
Leistungskondiktion(LK); die Nicht
leistungskondiktion(NLK) scheitert am Vorrang der Leistungsbeziehung, es sei denn, es ist ausnahmsweise eine Durchbrechung der Leistungsbeziehungen gerechtfertigt. Bei unserem Fall, der vermeintlichen Tilgung einer
fremden
Schulddurch einen Dritten: Nach hM liegt eine Leistung des Dritten (hier V) an den vermeintlichen Gläubiger (hier B) vor (Zuwendungsverhältnis). Grund hierfür: Wenn der Zahlende gegenüber dem vermeintlichen Gläubiger als
DritteriSd §
267 BGBauftritt, bestimmt er den Leistungszweck selbst. Ob er glaubt, dem vermeintlichen
Schuldner gegenüber dazu verpflichtet zu sein, spielt dafür keine Rolle, sondern ist quasi nur Motivation seines Handelns. Das ist innerhalb der hM unstreitig so, wenn der Dritte nicht von dem vermeintlichen
Schuldner angewiesen wird, im
Valutaverhältnis(das ist das Verhältnis zwischen dem vermeintlichen Gläubiger und dem vermeintlichen
Schuldner, also zwischen A und B) zu leisten: Der Dritte ist dann nicht nur bloßer Leistungsmittler, sondern aus eigenem Antrieb tätig und daher selbst Leistender. Zweifelhaft ist das dann, wenn eine Anweisung des vermeintlichen
Schuldners vorliegt. Der BGH hat ohne Diskussion sogar dann eine eigene Bestimmung des Leistungszwecks angenommen. Die Literatur ist hier überwiegend enger und verweist darauf, dass aufgrund der Anweisung der vermeintliche
Schuldner die Disposition treffe und der Dritte daher nur Leistungsmittler sei und nicht selbst Leistender (ausführlich MüKo BGB § 812 Rn. 198 ff.). Ob daneben im
Deckungsverhältnis(das ist das Verhältnis zwischen dem Dritten und dem vermeintlichen
Schuldner, also zwischen V und A) eine Leistung besteht, wird von der hM nicht einheitlich beantwortet. Teilweise wird vertreten, dass mangels Finalität keine Leistung vorliegt: Gewollt sei die Vermögensmehrung nur beim vermeintlichen Gläubiger, die Vermögensmehrung beim vermeintlichen
Schuldner sei nur nicht bezweckter Reflex. Das ist iE aber für die Rückabwicklung egal, der Dritte hat ja ohnehin den Anspruch aus der LK gegen den vermeintlichen Gläubiger. Daher wird das oft gar nicht thematisiert. Nach aA verfolge der Dritte einen Leistungszweck NUR gegenüber dem vermeintlichen
Schuldner, also im
Deckungsverhältnis. Er wolle in diesem erfüllen (hier bei uns die Verpflichtung aus dem Ver
sicherungsvertrag). Zugleich wolle er das bestehende Kausalverhältnis im
Valutaverhältniserfüllen. Die Bezahlung beinhalte dann zwei Leistungen zugleich. Nach dieser Ansicht würde dann V gegen B nur eine NLK zustehen. Was man aber noch bedenken sollte: Wenn man mit der aA geht, stellt sich die Frage der Durchbrechung der Leistungsbeziehung. Hier wird nach dem
Veranlasserprinzipdifferenziert: Wenn der vermeintliche
Schuldner nicht angewiesen hat, hat er die Zahlung nicht veranlasst und soll deswegen auch aus der Rückabwicklung herausgehalten werden. Das ist nur möglich, wenn man die
Direktkondiktionzulässt. Daher wird von der aA in diesen Fällen trotzdem die NLK gegen den vermeintlichen Gläubiger zugelassen. Dann ist man beim gleichen Ergebnis wie die hM, bloß über einen anderen Weg. Relevant wird die Differenzierung also nur, wenn ein Veranlasserfall vorliegt, denn dann wickelt die aA übers Eck ab und die hM nicht (wobei das wie gezeigt in der hM strittig ist). Zu dem Punkt von @[Schmalinho](255833): Das ist ein sehr valider Gedanke. Die vermeintliche
Schuldwar nicht nur eine
fremde, sondern auch eine eigene des V wegen §§ 115 I Nr. 1 VVG, 1 PflVG. Man kann also durchaus vertreten, dass V hier auf eigene nicht bestehende Verbindlichkeit geleistet hat, womit problemlos die LK einschlägig wäre und sich all die aufgeworfenen Probleme nicht stellen. Das OLG Saarbrücken hat mit Urteil vom 20.10.2016 – 4 U 46/16, Rn. 17 anders entschieden: Mit dem Standardsätzchen, dass sich bei Dreipersonenverhältnisse "jede schematische Betrachtung verbiete" hat es ausgeführt, dass der Versicherer wertungsmäßig die Valuta
schuldtilgt und damit eine
fremde
Schuld. Das kann man damit begründen, dass es sich bei § 115 VVG ja nur um übergeleitete Haftung handelt und daher "des Pudels Kern" in der
fremden
Schuldliegt. Denn klar ist: Ohne
Fremdschuldkeine eigene
Schulddes Versicherers. Die wertungsmäßige Zuordnung kann daher mE überzeugen (aA natürlich gut vertretbar). In der Klausur wäre es wohl eher so etwas wie eine Privat-Haftpflichtversicherung, bei dem § 115 VVG nicht greift, dann stellt sich die Frage gar nicht. Langer Text, aber ich hoffe, das hat weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias
hardymary
1.4.2025, 15:06:19
Dieser Fall lief bei mir im Probeexamen und es wurde keine Leistung der Versicherung angenommen. Entscheidend ist wohl, wie genau der SV ausgestaltet ist. Bei uns stand (und das ist in Versicherungsfällen wohl regelmäßig so) dass der „
Schuldner“ der Versicherung Bescheid gibt bzw. in Kenntnis des Unfalls setzt. Weiter kann man sich fragen, was die Versicherung wohl in ihren Überweisungszweck reinschreiben wird: Wohl eher sowas wie „
Schadensbegleichung durch den Unfall des A. Geht der Gläubiger bei so einem Überweisungszweck noch davon aus, dass sich um eine Leistung der Versicherung handelt? Eher nicht. Demensprechend ist das entscheidende, wie genau der SV ausgestaltet ist: wenn die Versicherung selbst prüft und eine eigene
Tilgungsbestimmungtrifft kann man mMn eine Leistung annehmen, aber die Info fehlt halt im SV. Demnach sollte der SV, der § 267 thematisiert, schon mehr als 2 Sätze lang sein, weil es hier eben so eine haarscharfe Unterscheidung gibt.

Tobias Krapp
13.4.2025, 14:25:45
Hallo @[hardymary](202321), ich weiß natürlich nicht wie genau euer Fall im Probeexamen lag, aber ganz so eindeutig/unumstritten ist es (wie fast alles im BerR im 3 Personen Verhältnis) nicht. Das was du beschreibst geht in die Richtung von dem, was ich in meinem erstern längeren Absatz oben geschrieben habe: Wenn der vermeintliche
Schuldner den Dritten durch seine Angaben zur Leistung veranlasst (was, wie du richtig schreibst, bei Versicherungen regelmäßig so ist), geht die Lit. überwiegend wegen der Nähe zu den
Anweisungsfällen davon aus, dass keine Leistung der Versicherung vorliegt. Der BGH, wie oben und in der Aufgabe selbst bereits erwähnt, aber trotzdem. Zitat BGH: "Der [vermeintliche
Schuldner] hat nur mitgeteilt, dass er von dem [vermeintlichen Gläubiger] auf
Schadensersatz in Anspruch genommen werde, also den Versicherungsfall gemeldet, und die Ansicht geäußert, das Verlangen sei berechtigt. Darin liegt keine Anweisung, nicht einmal im weiteren Sinne eine Weisung. Eine solche steht dem Versicherungsnehmer auch nicht zu, und der Haftpflichtversicherer würde sie nicht zu befolgen brauchen. " (BGH, Urteil vom 28-11-1990 - XII ZR 130/89). Also sagt der BGH: Der Versicherer wird, auch wenn ihr vom vermeintlichen
Schuldner Bescheid gegegeben wird, nicht "angewiesen". Er muss vielmehr prüfen, ob ein Versicherungsfall vorliegt und leistet dann nach §
267 BGB- auch wenn er glaubt, dem vermeintlichen
Schuldner ggü. wegen des Ver
sicherungsvertrags dazu verpflichtet zu sein. Nach Auffassung des BGHs ändert das also nichts an der Leistung der Versicherung. Euer Probeexamen ging also wohl gegen diese Lösung des BGHs und war eher im Sinne der wohl überwiegenden Lit. Das kann man natürlich im ersten Examen machen, aber man sollte sich dann zumindest mit der BGH Lösung auseinandersetzen und zB argumentieren, dass dieser Fall zu den
Anweisungsfällen identisch gelagert ist, da der Versicherer nur als
Erfüllungsgehilfedes Versicherten bei der Leistung an den Scheingläubiger tätig wird und dessen
Tilgungsbestimmungüberbringt (vgl. MüKoBGB/Schwab BGB § 812 Rn. 202). Die Unterscheidung die du ansprichst gibt es also nur auf der Grundlage der Ansicht in der Lit., nicht auf Grundlage des BGHs. Viele Grüße!