Fehlen einer Anweisung

12. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A und B haben einen Auto-Unfall. A geht davon aus, er hätte den Unfall verschuldet und meldet dies seiner Versicherung V. V erstattet B die Reparaturkosten (€4.000). Später stellt sich heraus, dass B den Unfall verschuldet hat.

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Einordnung des Falls

Fehlen einer Anweisung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat die Gutschrift auf seinem Konto und damit die Verfügungsgewalt über den Betrag (€4.000) "erlangt" (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BG).

Ja, in der Tat!

„Etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Man kann vier Kategorien unterscheiden: (1) Rechte (z.B. Eigentum), (2) vorteilhafte Rechtsstellungen (z.B. Besitz), (3) Befreiung von Verbindlichkeiten, (4) erlangte Nutzungen. B hat durch die Überweisung eine Gutschrift auf seinem Konto in dieser Höhe erlangt. In der Gutschrift auf seinem Konto liegt rechtlich ein abstraktes Schuldversprechen der Bank (§ 780 BGB): Die Bank verspricht, dem B im Kontokorrent einen Betrag in dieser Höhe zu schulden.
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2. B hat die Gutschrift "durch Leistung" der V erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Ja!

Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Für das Leistungsbewusstsein ist ein rechtsgeschäftlicher Wille nicht erforderlich. Es genügt natürliche Einsichtsfähigkeit. Es liegt ein Fall der Drittzahlung (§ 267 BGB) vor, auch wenn V nur denkt, dass A zur Leistung verpflichtet ist. Die V zahlt an den B, auf die (vermeintliche) Schuld des A und zwar auf Grund des Versicherungsvertrags (Deckungsverhältnis). Wenn die Verbindlichkeit des Dritten nicht bestand, ist eine Leistungskondiktion gegen den Scheingläubiger möglich, außer der vermeintliche Schuldner hat die Zahlung zurechenbar verursacht. Hier hat A keine Weisung erteilt. Eine solche konnte und brauchte A nicht zu geben. V prüft selbstständig, ob der Anspruch des B besteht und ob der Versicherungsvertrag zur Zahlung dieses Anspruchs verpflichtet. Abweichend von anderen Anweisungsfällen hat der vermeintliche Schuldner hier nicht genug Veranlassung gegeben, in die Rückabwicklung miteinbezogen zu werden. V kann direkt vom Scheingläubiger B kondizieren.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dogu

Dogu

7.8.2024, 18:44:21

Dreiecksverhältnisse sind verwirrend: Wieso liegt hier nicht eher eine Leistung der Versicherung an ihren Versicherungsnehmer vor? Sie erfüllt ja nur ihre eigene Verpflichtung aus dem Versicherungsverhältnis?

SCH

Schmalinho

11.10.2024, 23:39:00

Zahlt sie nicht sogar in (vermeintlicher) Erfüllung einer eigenen Verbindlichkeit nach 115 VVG?

Tobias Krapp

Tobias Krapp

12.10.2024, 23:24:32

Hallo @[Dogu](137074), Dreiecksverhältnisse sind in der Tat verwirrend. Ich würde immer empfehlen, eine Skizze zu machen und dann die Leistungsbeziehungen einzuzeichnen. Grundsätzlich erfolgt die Rückabwicklung dann in diesen mit Leistungskondiktion (LK); die

Nichtleistungskondiktion

(NLK) scheitert am Vorrang der Leistungsbeziehung, es sei denn, es ist ausnahmsweise eine Durchbrechung der Leistungsbeziehungen gerechtfertigt. Bei unserem Fall, der vermeintlichen Tilgung einer fremden Schuld durch einen Dritten: Nach hM liegt eine Leistung des Dritten (hier V) an den vermeintlichen Gläubiger (hier B) vor (Zuwendungsverhältnis). Grund hierfür: Wenn der Zahlende gegenüber dem vermeintlichen Gläubiger als Dritter iSd § 267 BGB auftritt, bestimmt er den Leistungszweck selbst. Ob er glaubt, dem vermeintlichen Schuldner gegenüber dazu verpflichtet zu sein, spielt dafür keine Rolle, sondern ist quasi nur Motivation seines Handelns. Das ist innerhalb der hM unstreitig so, wenn der Dritte nicht von dem vermeintlichen Schuldner angewiesen wird, im

Valutaverhältnis

(das ist das Verhältnis zwischen dem vermeintlichen Gläubiger und dem vermeintlichen Schuldner, also zwischen A und B) zu leisten: Der Dritte ist dann nicht nur bloßer Leistungsmittler, sondern aus eigenem Antrieb tätig und daher selbst Leistender. Zweifelhaft ist das dann, wenn eine Anweisung des vermeintlichen Schuldners vorliegt. Der BGH hat ohne Diskussion sogar dann eine eigene Bestimmung des Leistungszwecks angenommen. Die Literatur ist hier überwiegend enger und verweist darauf, dass aufgrund der Anweisung der vermeintliche Schuldner die Disposition treffe und der Dritte daher nur Leistungsmittler sei und nicht selbst Leistender (ausführlich MüKo BGB § 812 Rn. 198 ff.). Ob daneben im

Deckungsverhältnis

(das ist das Verhältnis zwischen dem Dritten und dem vermeintlichen Schuldner, also zwischen V und A) eine Leistung besteht, wird von der hM nicht einheitlich beantwortet. Teilweise wird vertreten, dass mangels Finalität keine Leistung vorliegt: Gewollt sei die Vermögensmehrung nur beim vermeintlichen Gläubiger, die Vermögensmehrung beim vermeintlichen Schuldner sei nur nicht bezweckter Reflex. Das ist iE aber für die Rückabwicklung egal, der Dritte hat ja ohnehin den Anspruch aus der LK gegen den vermeintlichen Gläubiger. Daher wird das oft gar nicht thematisiert. Nach aA verfolge der Dritte einen Leistungszweck NUR gegenüber dem vermeintlichen Schuldner, also im

Deckungsverhältnis

. Er wolle in diesem erfüllen (hier bei uns die Verpflichtung aus dem Versicherungsvertrag). Zugleich wolle er das bestehende Kausalverhältnis im

Valutaverhältnis

erfüllen. Die Bezahlung beinhalte dann zwei Leistungen zugleich. Nach dieser Ansicht würde dann V gegen B nur eine NLK zustehen. Was man aber noch bedenken sollte: Wenn man mit der aA geht, stellt sich die Frage der Durchbrechung der Leistungsbeziehung. Hier wird nach dem Veranlasserprinzip differenziert: Wenn der vermeintliche Schuldner nicht angewiesen hat, hat er die Zahlung nicht veranlasst und soll deswegen auch aus der Rückabwicklung herausgehalten werden. Das ist nur möglich, wenn man die Direktkondiktion zulässt. Daher wird von der aA in diesen Fällen trotzdem die NLK gegen den vermeintlichen Gläubiger zugelassen. Dann ist man beim gleichen Ergebnis wie die hM, bloß über einen anderen Weg. Relevant wird die Differenzierung also nur, wenn ein Veranlasserfall vorliegt, denn dann wickelt die aA übers Eck ab und die hM nicht (wobei das wie gezeigt in der hM strittig ist). Zu dem Punkt von @[Schmalinho](255833): Das ist ein sehr valider Gedanke. Die vermeintliche Schuld war nicht nur eine fremde, sondern auch eine eigene des V wegen §§ 115 I Nr. 1 VVG, 1 PflVG. Man kann also durchaus vertreten, dass V hier auf eigene nicht bestehende Verbindlichkeit geleistet hat, womit problemlos die LK einschlägig wäre und sich all die aufgeworfenen Probleme nicht stellen. Das OLG Saarbrücken hat mit Urteil vom 20.10.2016 – 4 U 46/16, Rn. 17 anders entschieden: Mit dem Standardsätzchen, dass sich bei Dreipersonenverhältnisse "jede schematische Betrachtung verbiete" hat es ausgeführt, dass der Versicherer wertungsmäßig die Valutaschuld tilgt und damit eine fremde Schuld. Das kann man damit begründen, dass es sich bei § 115 VVG ja nur um übergeleitete Haftung handelt und daher "des Pudels Kern" in der fremden Schuld liegt. Denn klar ist: Ohne Fremdschuld keine eigene Schuld des Versicherers. Die wertungsmäßige Zuordnung kann daher mE überzeugen (aA natürlich gut vertretbar). In der Klausur wäre es wohl eher so etwas wie eine Privat-Haftpflichtversicherung, bei dem § 115 VVG nicht greift, dann stellt sich die Frage gar nicht. Langer Text, aber ich hoffe, das hat weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias


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