Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

AGB

Beseitigung des Überraschungseffekts: tatsächliche Kenntnisnahme

Beseitigung des Überraschungseffekts: tatsächliche Kenntnisnahme

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft von V eine Kaffeemaschine. Im Vertragsformular legt § 3 der AGB fest, dass der Käufer mit dem Kauf verpflichtet wird, mindestens ein Kilogramm Kaffee pro Monat von V zu kaufen. K erklärt V, sie kaufe sowieso im Monat zwei Kg Kaffee bei V und fände die Klausel daher nicht weiter schlimm. K unterzeichnet den Vertrag.

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Einordnung des Falls

Beseitigung des Überraschungseffekts: tatsächliche Kenntnisnahme

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die AGB-Klausel, mindestens ein Kilogramm Kaffee monatlich zu kaufen, ist beim Kauf einer Kaffeemaschine grundsätzlich überraschend.

Ja, in der Tat!

Eine überraschende Klausel liegt vor, wenn diese nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbilds des Vertrags, so ungewöhnlich ist, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht. Bei Kaufverträgen ist insbesondere nicht mit ungewöhnlichen Zusatzverpflichtungen zu rechnen. Beim Kauf einer Kaffeemaschine ist aus Sicht eines Durchschnittskunden nicht mit der monatlichen Verpflichtung zum Kauf von Kaffee zu rechnen. Die Klausel ist daher objektiv überraschend.
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2. Der objektive Überraschungseffekt einer Klausel kann durch den Verwender beseitigt werden.

Ja!

Der Verwender kann einer an sich überraschenden Klausel diesen Charakter nehmen. Bestimmungen, mit denen die andere Vertragspartei nicht von Anfang an rechnen musste, können im Einzelfall durch einen sehr eindeutigen Hinweis ihren Überraschungseffekt verlieren. Hat der Verwender die Erwartung an eine abweichende Klausel geweckt, muss der Hinweis insbesondere hinreichend individuell sein, um die Fehlvorstellung zu korrigieren. Beruht die abweichende Erwartung des Vertragspartners darauf, dass die Klausel allgemein objektiv ungewöhnlich ist, verliert sie ihren Überraschungscharakter, wenn der Vertragspartners in sinnerfassender Weise von ihr tatsächlich Kenntnis genommen hat. Aus dem bloßen Durchlesen kann hierauf aber nicht geschlossen werden. Es muss eine tatsächliche Kenntnisnahme zum Ausdruck kommen.

3. Die Kaffeebezugsklausel des V ist nicht überraschend, da K von ihr in sinnerfassender Weise tatsächlich Kenntnis genommen hat.

Genau, so ist das!

Der Verwender kann einer an sich überraschenden Klausel diesen Charakter nehmen. Beruht die abweichende Erwartung des Vertragspartners darauf, dass die Klausel allgemein objektiv ungewöhnlich ist, verliert sie ihren Überraschungscharakter wenn der Vertragspartners in sinnerfassender Weise von ihr tatsächlich Kenntnis genommen hat. Aus dem bloßen Durchlesen kann hierauf aber nicht geschlossen werden. Die Kaffeebezugsklausel ist beim Kauf einer Kaffeemaschine objektiv überraschend. K erklärt V, dass sie eh bei ihm Kaffee kauft und die Kaffeebezugsklausel daher nicht schlimm findet. Das zeigt, dass sie die Klausel im Sinn erfasst und von ihr tatsächlich Kenntnis genommen hat. Daher ist die Klausel nicht mehr als überraschend anzusehen.

4. Die Kaffeebezugsklausel ist nicht überraschend und infolgedessen inhaltlich wirksam.

Nein, das trifft nicht zu!

Achtung! Liegen die Einbezugsvoraussetzungen des § 305 BGB vor und ist die Klausel nicht nach § 305c Abs. 1 BGB überraschend, wird diese lediglich wirksam in den Vertrag einbezogen, also Vertragsbestandteil. Die inhaltliche Wirksamkeit der Klausel muss danach noch anhand der §§ 307 ff. BGB geprüft werden. Da die Einbezugsvoraussetzungen des § 305 BGB vorliegen und die Kaffeebezugsklausel aufgrund der tatsächlichen Kenntnisnahme der K auch nicht überraschend war, wurde die Klausel wirksam in den Vertrag einbezogen, also Vertragsbestandteil.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAN

Daniel

12.8.2021, 14:51:05

Der hier aufgestellte Maßstab, um den überraschenden Charakter einer Klausel zu beseitigen, ist ein deutliches Hinweisen des Verwenders. Dies liegt hier aber gerade nicht vor. Wenn die tatsächliche Kenntnisnahme - oder die tatsächliche Kenntnisnahme und ein Einverständnis mit der Klausel - ausreicht, sollte der Maßstab in der Aufgabe aber auch entsprechend formuliert werden.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.11.2021, 12:22:25

Danke Daniel, wir haben den Maßstab hier etwas präziser dargestellt. Es gibt 2 Szenarien: 1) im individuellen Fall ist die Klausel ungewöhnlich: hier braucht man einen expliziten und individuellen Hinweis. 2) die Klausel ist allgemein ungewöhnlich: hier genügt die tatsächliche Kenntnisnahme. Schau Dir den Fall nun gerne noch einmal an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

21.12.2021, 18:01:49

Die Antwort muss doch sein, die Aussage, dass es keine überraschende Klausel ist und es wirksamer Vertragsbestandteil wird, ist richtig und nicht falsch. Oder habe ich einem Denkfehler..?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.12.2021, 18:15:10

Hallo Svenja, das ist etwas fies. Gefragt war, ob die Klausel überraschend ist (das wäre richtig) und INFOLGEDESSEN wirksam ist. Die zusammengesetzte Aussage ist aber falsch. Die Frage, ob die Klausel überraschend ist und die Frage ob sie inhaltlich wirksam nach §§ 307 ff. BGB ist, sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe, die nichts miteinander zu tun haben. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Johannes Nebe

Johannes Nebe

13.6.2022, 12:38:16

In Frage 2 passt der Erklärungstext (und eigentlich auch die Frage selbst) nicht zum Fall. Denn hier weist der Verwender gar nicht "hinreichend individuell" auf die Klausel hin, sondern sie steht ganz gewöhnlich in den AGB. In Frage 3 betrifft dann die Kenntnisnahme in sinnerfassender Weise ein anderes Thema. Insofern wird die Unterscheidung der von Lukas Mengestu erwähnten Szenarien hier nicht klar. Frage 4 stellt mich vor neue Rätsel. Die Frage soll mit nein beantwortet werden, aber die Subsumtion sagt uns, dass die Klausel Vertragsbestandteil wurde. Ich lese in der Diskussion, dass das "infolgedessen" die Aussage falsch macht. Sollte das dann nicht in der Erläuterung stehen? Wenn die Prüfung später an §§ 307 ff. scheitert, wäre es hilfreich, wenn auch das erläutert würde.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

6.7.2022, 12:37:42

Hallo Johannes Nebe, vielen Dank für deine Fragen. Der Teufel liegt wie immer im Detail. Zunächst zu Frage 2: Hier wird erstmal ganz grundsätzlich gefragt, ob der überraschende Charakter einer Klausel beseitigt werden kann durch den Verwender. Dies ist möglich und entsprechend ist die Frage auch zu beantworten. Dass Aufgaben bei Jurafuchs oft auf grundsätzlichere Fragen enthalten, die nicht 1:1 in dem Fall vorkommen kennst du vielleicht schon aus anderen Kapiteln. In Frage 3 geht es um den konkreten Fall. Es ist also die Frage, ob die Frage aufgrund der Kentnissnahme nicht mehr überraschend ist. In Frage 2 wurde schon erklärt, dass es zum einen durch einen Hinweis möglich ist, als auch bei tatsächlicher Kenntnisnahme durch den Vertragspartner - was bei "bloßem" durchlesen nicht anzunehmen ist. In Frage 3 wird aber, wie der Sachverhalt auch erläutert dargestellt, dass K sogar über die konkrete Klausel mit V spricht und erläutert, dies sei kein Problem für sie. Von einer tatsächlichen Kenntnisnahme kann also ausgegangen werden. Frage 4 fragt, dann ob die Klausel nicht überraschend und daher (!) wirksam sei. Der überraschende Charakter einer Klausel hat aber keine Auswirkung auf die Wirksamkeit im Rahmen der Inhaltskontrolle sondern kommt bereits vorher zum Tragen, nämlich bei der Einbeziehungskontrolle. Eine überraschende Klausel wird gar nicht erst Bestandteil des Vertrages mangels Einbeziehung. Die Frage ist zugegebenermaßen fies und lockt einen auf den Holzweg. Hier gilt es genau zu lesen und die Schritte der AGB Kontrolle (und damit auch die Rechtsfolgen) zu kennen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

27.9.2024, 09:27:09

Inwiefern besteht in dem Grundgedanken mit der tatsächlich Kenntnisnahme ein Unterschied zu Fällen iSd § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB? Wieso kann hier auf die tatsächliche Kenntnisnahme abgestellt werden und der Überraschungseffekt damit behoben werden, bei der Verschaffung der zumutbaren Kenntnisnahme des Inhalts der AGB aber nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme abgestellt werden?


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