Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2021

Ausschluss von Partyveranstaltung wegen Alters

Ausschluss von Partyveranstaltung wegen Alters

22. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der 44-Jährige A möchte ein Techno-Festival besuchen, das sich an die Zielgruppe der 18- bis 29-Jährigen richtet. Die limitierten Tickets kann man nur hinter der Einlasskontrolle erwerben. Dort wird A wegen seines „optischen Alters“ abgewiesen. Er verlangt Schadensersatz.

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Einordnung des Falls

Ausschluss von Partyveranstaltung wegen Alters

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Im deutschen Zivilrecht gilt der Grundsatz der Privatautonomie. Dieser besagt, dass grundsätzlich niemand dazu gezwungen ist, einen bestimmten Vertrag zu schließen.

Ja, in der Tat!

Die Haupterscheinungsform der Privatautonomie – in Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verankert – ist die Vertragsfreiheit. Sie erlaubt dem Einzelnen, sein Leben durch Verträge mit selbst ausgehandeltem Inhalt eigenverantwortlich zu gestalten. Zur Vertragsfreiheit gehört auch die Abschlussfreiheit. Diese gewährleistet, dass der Einzelne selbst entscheiden darf, ob und unter welchen Umständen er einen bestimmten Vertrag abschließt oder nicht. Das Gegenstück zur Abschlussfreiheit ist der Abschluss- bzw. Kontrahierungszwang (vgl. Ellenberger, in: Palandt, 80.A. 2021, Einf v § 145 RdNr. 7f.).
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2. Während einige Aspekte der Vertragsfreiheit (z. B. die Inhaltsfreiheit) nur eingeschränkt gelten, wirkt die Abschlussfreiheit absolut.

Nein!

Obwohl der Gesetzgeber den zulässigen Inhalt von Verträgen viel stärker reguliert, wird auch die Abschlussfreiheit vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge eingeschränkt. So bestehen etwa Kontrahierungszwänge für die Versorgung mit Strom und Gas (§ 17 EnWG) oder für den Personenbeförderung (§ 22 PBefG). Die verfassungsmäßige Rechtfertigung dieser Einschränkungen ergibt sich daraus, dass der Staat der Privatautonomie dort Schranken setzen darf, wo dies zum Schutz grundrechtlich verbürgter Positionen erforderlich ist (vgl. BVerfG, NJW 1990, 1469). Eine solche grundrechtlich verbürgte Position ist z. B. der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG.

3. In bestimmten gesetzlich geregelten Fällen kann ein Wirtschaftsteilnehmer sich schadensersatzpflichtig machen, wenn er einen potenziellen Vertragspartner aufgrund bestimmter Merkmale abweist.

Genau, so ist das!

§ 19 AGG normiert ein zivilrechtliches Benachteiligungsverbot. So ist bei der Begründung, Durchführung und Beendigung von Massengeschäften oder vergleichbaren Geschäften eine Benachteiligung aus solchen Gründen unzulässig, die an Merkmale wie Rasse, ethnische Herkunft, Religion, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität anknüpfen (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Im Falle eines Verstoßes kann der Benachteiligte die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen (§ 21 Abs. 1 S. 1 AGG). Das Benachteiligungsverbot kann deshalb auch auf einen Kontrahierungsanspruch hinauslaufen. Daneben hat der Benachteiligte einen Anspruch auf Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens (§ 21 Abs. 2 AGG).

4. A kann vom Veranstalter des Festivals Schadensersatz verlangen, wenn der sachliche Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG eröffnet ist.

Ja, in der Tat!

Das Benachteiligungsverbot aus § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG gilt nicht für alle zivilrechtlichen Verträge, sondern nur für solche, die (1) typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder (2) bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen („massengeschäftsähnliche Schuldverhältnisse“).

5. Das Techno-Festival ist ein Massengeschäft im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG.

Nein!

Ein Massengeschäft erfordert, dass der Anbieter nach der Verkehrssitte grundsätzlich bereit ist, mit jedermann und ohne Ansehen der Person den betreffenden Vertrag abzuschließen, also ohne zuvor die Person seines Vertragspartners gewürdigt zu haben. BGH: Das limitierte Ticketkontingent, die eng gefasste altersmäßige Zielgruppe sowie die Tatsache, dass der Veranstalter die Karten erst hinter der Einlasskontrolle verkaufte, sprächen gegen ein Massengeschäft. Im Gegensatz zu sonstigen Konzerten sei das Festival auch von der Interaktion und Zusammensetzung der Besucher geprägt. Somit komme dem „Ansehen der Person“ beim Vertragsschluss durchaus eine Bedeutung zu. Ein Massengeschäft liege also nicht vor (RdNr. 15ff.).

6. Das Festival ist jedoch ein „massengeschäftsähnliches Schuldverhältnis“ gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AGG.

Nein, das ist nicht der Fall!

Auch wenn vor Vertragsschluss ein „Ansehen der Person“ stattfindet, kann das Benachteiligungsverbot anzuwenden sein. Dies setzt voraus, dass die persönlichen Eigenschaften wegen der Vielzahl abzuschließender Verträge nur nachrangige Bedeutung haben und sich abgesehen von atypischen Fällen nicht auf die Entscheidung des Anbieters auswirken. BGH: Für den Erfolg von Party-Events spiele die Zusammensetzung der Besucher regelmäßig eine Rolle (RdNr. 22). Der Veranstalter habe seine Zielgruppe deshalb zulässigerweise anhand persönlicher Merkmale wie dem Alter definiert und diesem Merkmal eine nicht nur nachrangige Bedeutung beigemessen (RdNr. 23). Es liege deshalb auch kein „massengeschäftsähnliches Schuldverhältnis“ vor.

7. A kann vom Veranstalter des Festivals Schadensersatz verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Der sachliche Anwendungsbereich des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots sei nicht eröffnet (RdNr. 13). Deshalb könne A auch keinen Schadensersatz gemäß § 21 Abs. 2 AGG verlangen. Die Entscheidung des Veranstalters, dem A aufgrund seines Alters den Zutritt zum Festival zu verwehren, sei somit rechtlich nicht zu beanstanden. Die Entscheidung ist umstritten. Bei verfassungskonformer Auslegung von § 19 AGG im Lichte des Art. 3 Abs. 3 GG wäre wohl auch eine andere Gewichtung des diskriminierenden Merkmals "Alter" denkbar gewesen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FML

FML

23.6.2021, 09:09:03

Das Urteil ist in der Lit. hart umstritten. Die Ablehnung des Schutzbereichs aus §19 I AGG weil kein Massengeschäft vorläge, ist bei einer offenen Party wo jedermann der nur grob ins Gäste Schema passt mE schwer gekünstelt. Starke Stimmen bejahen deshalb den Schutzbereich und schließen die Ansprüche auf der Rechtfertigungebene aus. Das wurde in der Vertiefung am Ende auch angerissen, aber vllt sollte man nochmal verdeutlichen, dass ein Anspruch nicht automatisch bei Eröffnung des AGG gegeben ist

Ferdinand

Ferdinand

23.6.2021, 12:12:13

Der springende Punkt ist ja gerade, dass es überhaupt ein Gästeschema gibt. Die Veranstaltung, um die es geht, ist gerade darauf ausgerichtet, nur Personen unter 30 Jahren Einlass zu gewähren. Insofern besteht ja kein Unterschied zu relativ verbreiteten Ü50/60 etc. Partys. Wenn ein Club eine „Girl‘s Night“ oder so durchführt und nur Frauen Zutritt zur Veranstaltung gewährt, würde man ja nicht auf die Idee kommen zu sagen, es läge ein Massengeschäft vor, bei dem der Abschluss ohne Ansehung der Person erfolgt und dass alles andere „schwer gekünstelt“ sei. Und die Kriterien Alter und Geschlecht sind hier gut vergleichbar, denke ich. Der Veranstalter ist schließlich frei in seiner Entscheidung, wie sich das Publikum zusammensetzen soll. Meines Erachtens lässt sich die Entscheidung sehr gut vertreten. Vielleicht kann ja ein Vertiefungshinweis auf eine Alternativlösung mit aufgenommen werden, um die Diskussion in der Literatur mit aufzunehmen.

FML

FML

23.6.2021, 13:39:06

Na ja. Deine Girls-Night im Club ist mE vergleichbar mit reinen Frauen-Schwimmbad/ Sauna -Tagen, welche in der Gesetzesbegründung des AGG beispielhaft als Rechtfertigungsgrund nach §20 AGG eingestuft wurde. Also selbst hier ging der Gesetzgeber von einem Massengeschäft aus. Und nochmal, es geht nicht darum Entschädigungsansprüche zu gewähren. Sondern um die Erfassung einer Diskrimierung und zugleich dem aufzeigen, dass sie gerechtfertigt sein kann. Die Homogenität des Kundenkreises ist ja ein meist ein legitimes Ziel und Ausdruck der unternehmerischen Freiheit am Markt. Aber eine „Partyevent-Veranstaltung“ (O-Ton BGH) welche die aufgestellten Einlasskriterien (Alter von 18-28) nicht einmal kontrolliert hat, sondern nur nach äußerem Anschein entschieden hat (Feststellung des BGH) dem Kreis der Benachteiligungsverbote von Anfang an zu entziehen finde ich schwer nachzuvollziehen.

DAV

David

25.6.2021, 08:29:29

Hallo, Ich teile hier eher die Ansicht von FML und gehe sogar noch einen Schritt weiter. Die Girls-Night im Club, sofern wir darunter definieren, dass Frauen Vergünstigungen erhalten und der Club auch für Männer geöffnet ist, ist m.E. nicht vergleichbar mit Frauen-Schwimmbädern oder Sauna-Tagen, da diese m.E. eher unter Ziff 2 der Regelbeispiele des §20 AGG fallen und dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit dienen. Dies liegt im Club aber doch sichtlich anders. Der Veranstalter möchte vielmehr in seinem Interesse eine hohe weibliche Beteiligung erreichen um zugleich den Club attraktiv zu machen, ein Schutzaspekt sehe ich hier nicht. Man könnte also nur darüber nachdenken dies unter Ziff. 3 zu rechtfertigen wie beispielsweise Rabatte für Schüler und Studenten. Denn Ziffer 3 erfasst ja gerade die Fälle, in denen aufgrund des Geschlechts ein Vorteil gewährt wird UND ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt. Darunter fällt auch das gezielte Ansprechen von Kunden z.B. Mit meinem Dafürhalten lassen sich aber durchaus gute Argumente finden, warum und dass es sich bei einer Girls-Night um eine Diskrimierungen handelt die nicht gerechtfertigt werden kann. Zudem trägt der Veranstalter ja die Beweislast der Rechtfertigung, ob diese zu einer plausiblen juristischen Argumen

tat

ion kommen, sei einmal dahingestellt. Eine andere Ansicht halte ich aber für ebenso vertretbar. Es kommt eben darauf an, ob ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt (Argumente hierfür: geringe Vergünstigungen, Auch andere Geschlechter profitieren von einer heterogenen Clubkultur, Interesse am Wohlfühlfaktor, Argumen

tat

ion mit Ziffer 2 usw.) Es lassen sich jedenfalls eine Menge Argumente finden. —— Zurück zum hier liegenden Fall wie gesagt stimme ich hier FML zu. Ich sehe hier auch nicht, warum der Schutzbereich nicht eröffnet sein sollte, die Ablehnung eines Besuchers, der lediglich den äußerlichen Eindruck erweckt, er würde nicht in das Schema passen, die

tat

sächlichen Kriterien aber ggf erfüllt, halte ich für den Inbegriff einer Diskriminierung. (Anders ggf bzgl. Eines Dresscodes) Dass diese letztendlich ggf gerechtfertigt sein kann, mag im Ergebnis streitig sein, für mich jedoch mehr vertretbar als den Schutzbereich gar nicht zu eröffnen. Vielleicht wollte der BGH die Sache aber auch gar nicht in der Hinsicht entscheiden, da sie andernfalls ja auf die konkrete Maßnahme und anschließend Rechtfertigung des zunächst vermeintlich zu alten und dann

tat

sächlich zu alten Besuchers hätten abstellen müssen. Für mich ist jedenfalls dieses Urteil so nicht vertretbar.

FML

FML

25.6.2021, 14:30:18

Na pass aber auf wie du sowas im Zweifel in einer prüfungssituation formulierst. Das was der BGH macht ist Kraft seiner Stellung immer vertretbar. Auch bei gröbsten inhaltlichen Zweifeln ;)

DAV

David

25.6.2021, 17:34:06

Selbstverständlich sollte man in der Prüfung nicht meiner Auffassung folgen, allerdings wäre die Prüfung ja auch schnell beendet mit BGH :D bzw hilfsgutachterlich weiterzuführen.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

29.6.2021, 11:42:59

Tolle Diskussion hier! Ich muss gestehen, dass ich auch Zweifel habe, ob bei verfassungskonformer Auslegung der anwendbaren Normen des AGG im Lichte von Art. 3 Abs. 3 GG das Ergebnis des BGH verfassungsrechtlich trägt. Denn bekanntlich sind an die Rechtfertigung von Maßnahmen, die in ihren Wirkungen den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG nahe kommen, höchste Anforderungen zu stellen. Auch dürfte man hier eine

mittelbare Drittwirkung

von

Art. 3 GG

annehmen unter Berücksichtigung der Grundsätze der

Stadionverbot

e-Entscheidung des BVerfG. Auf der anderen Seite wird erheblich in die Privatautonomie von Veranstaltern eingegriffen. Welches Gewicht würdet ihr dem beimessen?

PPAA

Philipp Paasch

26.6.2022, 23:45:38

Hier wenn ein Besucher unter hunderten vielleicht tausenden Einlass begehrt, würden sich die anderen kaum gestört fühlen, wie bei einer Frauen-Sauna. Dann allerdings stellt sich die Frage, ab wie vielen älteren Personen so ein Effekt einträte.

KI

kithorx

21.4.2023, 18:42:38

Ich störe mich allem voran an der gerade nicht im Konjunktiv formulierten Aussage in der Lektion, der Betroffene können SE verlangen, wenn der Anwendungsbereich von 19 I 1 AGG eröffnet ist. Das dürfte ja gerade nicht einzige Voraussetzung sein, s. Rechtfertigung. Eine solche Formulierung harmoniert meines Erachtens auch nicht mit der sonstigen Fragensystemartik von Jurafuchs.


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