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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der 44-Jährige A möchte ein Techno-Festival besuchen, das sich an die Zielgruppe der 18- bis 29-Jährigen richtet. Die limitierten Tickets kann man nur hinter der Einlasskontrolle erwerben. Dort wird A wegen seines „optischen Alters“ abgewiesen. Er verlangt Schadensersatz.

Einordnung des Falls

Ausschluss von Partyveranstaltung wegen Alters

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Im deutschen Zivilrecht gilt der Grundsatz der Privatautonomie. Dieser besagt, dass grundsätzlich niemand dazu gezwungen ist, einen bestimmten Vertrag zu schließen.

Ja, in der Tat!

Die Haupterscheinungsform der Privatautonomie – in Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verankert – ist die Vertragsfreiheit. Sie erlaubt dem Einzelnen, sein Leben durch Verträge mit selbst ausgehandeltem Inhalt eigenverantwortlich zu gestalten. Zur Vertragsfreiheit gehört auch die Abschlussfreiheit. Diese gewährleistet, dass der Einzelne selbst entscheiden darf, ob und unter welchen Umständen er einen bestimmten Vertrag abschließt oder nicht. Das Gegenstück zur Abschlussfreiheit ist der Abschluss- bzw. Kontrahierungszwang (vgl. Ellenberger, in: Palandt, 80.A. 2021, Einf v § 145 RdNr. 7f.).

2. Während einige Aspekte der Vertragsfreiheit (z. B. die Inhaltsfreiheit) nur eingeschränkt gelten, wirkt die Abschlussfreiheit absolut.

Nein!

Obwohl der Gesetzgeber den zulässigen Inhalt von Verträgen viel stärker reguliert, wird auch die Abschlussfreiheit vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge eingeschränkt. So bestehen etwa Kontrahierungszwänge für die Versorgung mit Strom und Gas (§ 17 EnWG) oder für den Personenbeförderung (§ 22 PBefG). Die verfassungsmäßige Rechtfertigung dieser Einschränkungen ergibt sich daraus, dass der Staat der Privatautonomie dort Schranken setzen darf, wo dies zum Schutz grundrechtlich verbürgter Positionen erforderlich ist (vgl. BVerfG, NJW 1990, 1469). Eine solche grundrechtlich verbürgte Position ist z. B. der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG.

3. In bestimmten gesetzlich geregelten Fällen kann ein Wirtschaftsteilnehmer sich schadensersatzpflichtig machen, wenn er einen potenziellen Vertragspartner aufgrund bestimmter Merkmale abweist.

Genau, so ist das!

§ 19 AGG normiert ein zivilrechtliches Benachteiligungsverbot. So ist bei der Begründung, Durchführung und Beendigung von Massengeschäften oder vergleichbaren Geschäften eine Benachteiligung aus solchen Gründen unzulässig, die an Merkmale wie Rasse, ethnische Herkunft, Religion, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität anknüpfen (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Im Falle eines Verstoßes kann der Benachteiligte die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen (§ 21 Abs. 1 S. 1 AGG). Das Benachteiligungsverbot kann deshalb auch auf einen Kontrahierungsanspruch hinauslaufen. Daneben hat der Benachteiligte einen Anspruch auf Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens (§ 21 Abs. 2 AGG).

4. A kann vom Veranstalter des Festivals Schadensersatz verlangen, wenn der sachliche Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG eröffnet ist.

Ja, in der Tat!

Das Benachteiligungsverbot aus § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG gilt nicht für alle zivilrechtlichen Verträge, sondern nur für solche, die (1) typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder (2) bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen („massengeschäftsähnliche Schuldverhältnisse“).

5. Das Techno-Festival ist ein Massengeschäft im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG.

Nein!

Ein Massengeschäft erfordert, dass der Anbieter nach der Verkehrssitte grundsätzlich bereit ist, mit jedermann und ohne Ansehen der Person den betreffenden Vertrag abzuschließen, also ohne zuvor die Person seines Vertragspartners gewürdigt zu haben. BGH: Das limitierte Ticketkontingent, die eng gefasste altersmäßige Zielgruppe sowie die Tatsache, dass der Veranstalter die Karten erst hinter der Einlasskontrolle verkaufte, sprächen gegen ein Massengeschäft. Im Gegensatz zu sonstigen Konzerten sei das Festival auch von der Interaktion und Zusammensetzung der Besucher geprägt. Somit komme dem „Ansehen der Person“ beim Vertragsschluss durchaus eine Bedeutung zu. Ein Massengeschäft liege also nicht vor (RdNr. 15ff.).

6. Das Festival ist jedoch ein „massengeschäftsähnliches Schuldverhältnis“ gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AGG.

Nein, das ist nicht der Fall!

Auch wenn vor Vertragsschluss ein „Ansehen der Person“ stattfindet, kann das Benachteiligungsverbot anzuwenden sein. Dies setzt voraus, dass die persönlichen Eigenschaften wegen der Vielzahl abzuschließender Verträge nur nachrangige Bedeutung haben und sich abgesehen von atypischen Fällen nicht auf die Entscheidung des Anbieters auswirken. BGH: Für den Erfolg von Party-Events spiele die Zusammensetzung der Besucher regelmäßig eine Rolle (RdNr. 22). Der Veranstalter habe seine Zielgruppe deshalb zulässigerweise anhand persönlicher Merkmale wie dem Alter definiert und diesem Merkmal eine nicht nur nachrangige Bedeutung beigemessen (RdNr. 23). Es liege deshalb auch kein „massengeschäftsähnliches Schuldverhältnis“ vor.

7. A kann vom Veranstalter des Festivals Schadensersatz verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Der sachliche Anwendungsbereich des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots sei nicht eröffnet (RdNr. 13). Deshalb könne A auch keinen Schadensersatz gemäß § 21 Abs. 2 AGG verlangen. Die Entscheidung des Veranstalters, dem A aufgrund seines Alters den Zutritt zum Festival zu verwehren, sei somit rechtlich nicht zu beanstanden. Die Entscheidung ist umstritten. Bei verfassungskonformer Auslegung von § 19 AGG im Lichte des Art. 3 Abs. 3 GG wäre wohl auch eine andere Gewichtung des diskriminierenden Merkmals "Alter" denkbar gewesen.

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