Nießbrauch als „ein die Veräußerung hinderndes Recht“


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S ist Eigentümer eines Grundstücks. Er räumt D ein Nießbrauch an dem Grundstück ein. G hat einen titulierten Anspruch gegen S und vollstreckt diesen Anspruch in das Grundstück. D will gegen die Vollstreckung vorgehen.

Einordnung des Falls

Nießbrauch als „ein die Veräußerung hinderndes Recht“

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) ist zulässig, wenn sie statthaft ist, beim zuständigen Gericht erhoben wird und D ein Rechtsschutzbedürfnis hat.

Genau, so ist das!

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) lauten: (1) Statthaftigkeit, (2) Zuständigkeit des Gerichts, (3) Rechtsschutzbedürfnis. Die Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) ist statthaft, wenn der Kläger als Dritter ein die Veräußerung hinderndes Recht (Interventionsrecht) geltend macht (§ 771 Abs. 1 ZPO). Ein Interventionsrecht liegt vor, wenn der Vollstreckungsschuldner aufgrund dieses Rechts den Gegenstand nicht veräußern dürfte, eine hypothetische Veräußerung durch den Vollstreckungsschuldner also rechtswidrig in den Rechtskreis des Dritten eingreifen würde. Ein solches Interventionsrecht könnte für D wegen des Nießbrauchs bestehen.

2. Der Nießbrauch berechtigt D, Nutzungen aus dem Grundstück des S zu ziehen.

Ja, in der Tat!

Der Nießbrauch (§ 1030 BGB) ist das unveräußerliche und unvererbliche absolute Recht, die Nutzungen (§ 100 BGB) einer fremden Sache zu ziehen. Im Gegensatz zur Pacht (§ 581 BGB), die nur zwischen den Parteien des Vertrags gilt und wirkt, ist der Nießbrauch ein absolutes Recht - d.h. es wirkt gegenüber jedermann. D ist also berechtigt, Nutzungen aus dem Grundstück des S zu ziehen. Weil es ein absolutes Recht ist, kann er dieses Recht auch dem G entgegenhalten.

3. Die Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) ist für D statthaft, wenn das Grundstück des S im Rahmen der Vollstreckung zur Zwangsverwaltung beschlagnahmt wird.

Ja!

Die Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) ist statthaft, wenn der Nießbrauch ein Interventionsrecht darstellt und dieses Recht durch die Zwangsverwaltung beeinträchtigt wird.Der gerichtlich bestellte Zwangsverwalter muss sich den Besitz an dem Grundstück verschaffen und es nutzen, um G aus den Erträgen befriedigen zu können (§§ 146, 150, 152 ZVG). D als Nießbrauchberechtigter stehen diese Recht aber auch zu (§§ 1030, 1036 BGB). Die Zwangsverwaltung beeinträchtigt daher den Nießbrauch des D. Daher stellt der Nießbrauch in diesem Fall ein taugliches Interventionsrecht im (§ 771 Abs. 1 ZPO) dar, mit dem sich D gegen die Vollstreckung wehren kann.

4. Die Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) ist für D statthaft, wenn G die Zwangsversteigerung des Grundstücks des S herbeiführen will.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) ist nur dann statthaft, wenn die Vollstreckung das vom Dritten geltend gemachte Interventionsrecht beeinträchtigen würde. Das ist bei der Zwangsversteigerung aber nicht der Fall. Denn durch die Zwangsversteigerung (§§ 15ff. ZVG) verliert S zwar sein Eigentum an dem Grundstück. Der Nießbrauch ist jedoch ein absolutes Recht, das gegenüber jedermann wirkt. Erwirbt ein anderer das Grundstück, bleibt der Nießbrauch als Belastung des Grundstücks bestehen; D kann sein Recht weiter ausüben. Die Zwangsversteigerung des Grundstücks beeinträchtigt den Nießbrauch des D also nicht, sodass die Klage (§ 771 ZPO) nicht statthaft ist.

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WH

Whiskey

2.12.2020, 15:03:41

Ob das Recht des D bestehen bleibt, hängt davon ab, wer die Zwangsversteigerung betreibt. Betreibt ein Gläubiger, der dem D im Grundbuchrang vorgeht, würde sein Recht erlöschen.

JUR

Jurian

22.2.2022, 20:09:48

Interessant. Aus welcher Norm folgt das?

ISHA

IsHa

30.6.2022, 14:45:36

D.h. 91 Abs. 1 ZVG ist auf den Nießbrauch nicht anwendbar?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.7.2022, 11:25:39

Hallo Isabel, § 91 Abs. 1 ZVG findet grundsätzlich auch auf den Nießbrauch Anwendung, allerdings nur soweit der Nießbrauch im Rang hinter dem Recht des

Vollstreckungsgläubiger

s steht. Denn laut § 91 Abs. 1 ZVG sind Rechte nicht betroffen, die nach den Versteigerungsbedingungen bestehen bleiben sollen. Aus § 52 Abs. 1 S. 1 ZVG ergibt sich im Hinblick auf die Versteigerungsbedingungen, dass ein Recht bestehen, soweit es (1) bei der Feststellung des geringsten Gebotes berücksichtigt und (2) nicht durch Zahlung zu decken ist. Zu 1: Das geringste Gebot ist wiederum in § 44 ZVG normiert und besagt, dass dem Gläubiger vorgehende Rechte in das geringste Gebot mit aufgenommen werden müssen. Sofern also das Nießbrauchrecht im Rang dem Anspruch des Gläubigers vorgeht (=frühere Eintragung, vgl. § 879 Abs. 1 S. 2 BGB), ist es im geringsten Gebot zu berücksichtigen. Zu 2: Aus § 49 ZVG ergibt sich, was zwingend durch Zahlung zu decken ist. Der Nießbrauch fällt hier nicht darunter und bleibt somit, wenn er eine höhere Rangstellung hat auch nach der Zwangsversteigerung bestehen. Steht er im Rang dagegen unter dem Recht des Gläubigers (ist also älter), so erlischt er grundsätzlich mit der Zwangsversteigerung. Der Nießbrauchberechtigte hat dann Anspruch auf Wertersatz aus dem Versteigerungserlös (vgl. BeckOK ZVG/Pestel, 7. Ed. 1.3.2022, ZVG § 91 Rn. 6). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

BIBE

bibe

24.7.2022, 22:55:42

Was wäre wenn jemand das Grundstück lastenfrei erwerben würde, 936 BGB, dann würde doch der D die Drittwiderspruchsklage erheben können, oder? :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.9.2022, 19:00:22

Vorsicht bibe, § 936 BGB findet nur unmittelbare Anwendung, wenn es um die

Übereignung

beweglicher Sachen geht. Ein lastenfreier Erwerb ist allenfalls nach § 892 BGB möglich. Im Falle eines gutgläubigen Erwerbs scheidet die Drittwiderspruchsklage indes aus, da es ja dann an einem die Veräußerung hindernden Recht fehlt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LEN

Lennov

8.2.2023, 11:32:45

Könntet ihr die Frage vielleicht um einen dritten Punkt - das Vorgehen des G im Wege der Zwangshypothek - anreichern? Grundsätzlich besteht die Zwangshypothek des G dann "einfach" erstmal und die vereinfachte Befriedigungsmöglichkeit im Wege der Zwangsvollstreckung (§ 867 Abs. 3 ZPO) dürfte den Nießbrauch des D auch nicht beeinträchtigen, oder?


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