Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2020
Unterlaufen des Koinzidenzprinzips? – Zeitpunkt der Erfüllung von Mordmerkmalen
Unterlaufen des Koinzidenzprinzips? – Zeitpunkt der Erfüllung von Mordmerkmalen
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A und B planen, Menschen in eine Halle zu locken, sie um ihr Geld zu erpressen und dann zu töten. Sie locken nacheinander O1 und O2 in eine Lagerhalle, fesseln sie und nehmen beiden ihr mitgeführtes Bargeld ab. Danach erdrosseln sie sie und werfen sie in ein Gebüsch.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Grundsätzlich müssen Mordmerkmale zum Zeitpunkt der Tatbegehung vorliegen (Koinzidenzprinzip). In diesem Beschluss bestätigt der BGH seine Vorverlagerungsrechtsprechung und erweitert sie auf Fälle, in denen das Opfer vor der Tötung in eine hilflose Position gebracht wird und diese günstige Gelegenheit bis zur Tötung fortwirkt. Das Mordmerkmal der Heimtücke kann demnach auch bereits vor der Tötungshandlung verwirklicht sein. Zudem stellt der BGH klar, dass es zur Erfüllung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht bei zweiaktigen Geschehen genügt, dass die Tötungsabsicht bereits vor der Begehung der zu verdeckenden Tat gefasst war.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Haben A und B sich wegen gemeinschaftlichen Totschlags in zwei Fällen strafbar gemacht (§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB)?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ist Mörder, wer einen anderen Menschen tötet und dabei mindestens eines von neun Mordmerkmalen erfüllt (§ 211 Abs. 2 StGB)?
Ja, in der Tat!
3. Tötet Heimtückisch, wer die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit seines Opfers ausnutzt (§ 211 Abs. 2 Gruppe 2 Var. 1 StGB)?
Ja!
4. Waren O1 und O2 im Zeitpunkt der Tötung arglos?
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Haben A und B ihre Opfer nach Ansicht des BGH dennoch heimtückisch getötet (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
6. Können A und B ihre Opfer auch zur Verdeckung einer anderen Straftat getötet haben (§ 211 Abs. 2 Gr. 3 Alt. 2 StGB)?
Ja!
7. A und B hatten die spätere Tötung ihrer Opfer im Zeitpunkt der Begehung der zu verdeckenden Tat bereits geplant. Scheidet ein Verdeckungsmord (§ 211 Abs. 2 Gr. 3 Alt. 2 StGB) daher aus?
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Patrick
6.3.2022, 03:17:18
Hallo Jurafuchs Team. Könnt ihr konkretisieren, was hier mit Tat gemeint ist? Prozessual würde ich das Geschehen als einheitliche Tat werten, es ist so wie geschildert ein zusammenhängender einheitlicher Lebensvorgang. Materiell liegt für das Geschehen ein einheitlicher Willensentschluss vor, auch wenn es sich objektiv um 2 Handlungen handelt. Die Abgenzung der einzelnen Taten finde ich hier nicht sehr gelungen, was ja aber gerade Voraussetzung für den
Verdeckungsmordist.
Lukas_Mengestu
14.3.2022, 16:02:03
Hallo Patrick, in der Tat liegt der Schwerpunkt der Prüfung beim
Verdeckungsmordimmer auf dem Merkmal der "anderen Tat". Vorliegend ist der Tötung hier der erpresserische Menschenraub (mit Todesfolge) und die räuberische Erpressung (mit Todesfolge) vorangegangen. Insoweit liegt ein zweiaktiges Geschehen vor, sodass man ohne weiteres einen
Verdeckungsmordbejahen kann. Dabei hat der BGH auch klargestellt, dass es unschädlich sei, dass der Tötungsvorsatz bereits bei Beginn der ersten Tat bestanden habe. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Maxi97
24.3.2022, 02:47:54
Hatte der BGH hier auch Habgier angenommen bzw. diese wenigstens angesprochen?
Lukas_Mengestu
25.3.2022, 16:11:21
Hallo Maxi97, bereits die Vorinstanz hatte sich mit der Habgier auseinandergesetzt und diese im Ergebnis verneint (vgl. LG Frankenthal, BeckRs 2018, 52690). Dabei hat es insbesondere auf die Rechtsprechung des BGH abgestellt, dass bei einem
MotivbündelHabgier nur dann angenommen werden könne, wenn das Gewinnstreben tatbeherrschend und damit bewussstseinsdominant war. Dies hatte es hier abgelehnt, da die Tötung nicht erforderlich war, um sich die Beute zu sichern. Vielmehr war das Opfer bereits gefesselt und in gesichtertem Gewahrsam der Täter. Insofern bestand keine unmittelbare Bedrohung für den Erhalt der Beute - weswegen die Tötung primär auf die Verdeckung der Tat gerichtet war. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Marcuscz
10.4.2022, 10:42:12
Liebes Jurafuchs Team: Sollte die Definition der Heimtücke nicht noch um das Element "in feindlicher Willensrichtung" ergänzt werden? Ferner müsste ja auch noch der besondere Vertrauenbruch als strittiges Element behandelt werden oder nicht? Liebe Grüße!
Lukas_Mengestu
11.4.2022, 16:52:04
Danke für den Hinweis, Marcuscz. Die feindliche Willensrichtung haben wir hier noch mit aufgenommen. Ein Teil der Literatur verlangt in der Tat zur Einschränkung des weiten Heimtückebegriffs das Merkmal des "besonders verwerflichen Vertrauensbruches". Die h.M. lehnt dieses indes ab, da das Merkmal einerseits zu unscharf sei und andererseits auch "Meuchelmorde" durch Auftragskiller dem Heimtückestrafbestand entziehen würde. Denn auch der Auftragskiller hat kein besonderes Vertrauensverhältnis zu seinem Opfer. Wir haben zur Ansicht nun einen Vertiefungshinweis mit aufgenommen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
kithorx
17.3.2023, 15:19:55
Die Nr. 3 des 211 II wird in dieser Lektion immer mit "Gr. 3" zitiert (Copy & Paste-Fehler?). Das sollte berichtigt werden. Danke! :)
Nora Mommsen
20.3.2023, 14:29:48
Hallo kithorx, der § 211 Abs. 2 StGB hat tatsächlich keine Nummern. Daher wird üblicherweise von Gruppen gesprochen, insgesamt gibt es drei Gruppen von Mordmerkmalen. Es ist daher üblich die Variante einer Gruppe zu benennen. Viele Grüße, Nora -- für das Jurafuchs-Team
Sophix58
24.9.2024, 07:55:18
, mein Vorschlag ist jetzt weniger konkret auf den spezifischen Inhalt dieser Aufgabe bezogen aber generell wäre es ganz hilfreich, bei diesen etwas "längeren" Entscheidungsnacharbeitungen entweder eine letzte Frage oder eben in den Anmerkungen noch etwas zu den Konkurrenzen zu sagen, insbesondere wenn es nicht nur um ein sondern gleich m
ehrere verwirklichte Delikte geht. Gerade im Strafrecht tue ich mich zumindest damit etwas schwer und es könnte helfen, ein besseres Gefühl für sie zu bekommen, sie müssen ja ohnehin routinemäßig immer am Ende angegeben werden... Vielleicht lässt sich das ja irgendwie umsetzen, wenn es den Fall nicht noch zu sehr überlastet? :)
Linne_Karlotta_
10.10.2024, 17:59:36
Hallo @[Sophix58](22547), danke für deine Anregung! In vielen Fällen weisen wir am Ende des Falles direkt auf die Konkurrenzen hin. Ob wir diese aufnehmen, entscheiden wir von Fall zu Fall unterschiedlich. Gerne werden wir aber zukünftig vermehrt schauen, ob es eines Hinweises bezüglich der Konkurrenzen bedarf / für diesen noch Platz ist. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team