Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Tatbestand der Willenserklärung
Angebot zum Autokauf mit Tippfehler (Fehlender Geschäftswille)
Angebot zum Autokauf mit Tippfehler (Fehlender Geschäftswille)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A möchte der Händlerin B anbieten, ihr Auto für €11.000 abzukaufen. Sie liest und unterschreibt den Brief, der den Antrag zum Verkauf des Autos enthält. Dabei übersieht sie ihren Tippfehler: Statt €11.000 enthält der Brief die Kaufpreisangabe €10.000.
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Einordnung des Falls
Angebot zum Autokauf mit Tippfehler (Fehlender Geschäftswille)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A hatte beim Unterschreiben des Briefes den Willen und das Bewusstsein, zu handeln (Handlungswille).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. A hatte beim Unterschreiben des Briefes das Bewusstsein, eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben (Erklärungsbewusstsein).
Genau, so ist das!
3. A hatte beim Unterschreiben des Briefes den Willen und das Bewusstsein, gegenüber B einen Antrag zum Abschluss eines Kaufvertrags über ihr Auto für €10.000 abzugeben (Geschäftswille).
Nein, das trifft nicht zu!
4. Ohne Geschäftswillen gibt es keine Willenserklärung.
Nein!
5. Wer einem Erklärungsirrtum unterliegt, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Lage und verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben hätte.
Genau, so ist das!
6. Die Willenserklärung der A ist trotz fehlendem Geschäftswillen wirksam und bei Annahme durch B kommt ein Kaufvertrag zustande. Kann A ihre Willenserklärung jedoch nach § 119 Abs. 1 BGB anfechten und somit die Wirksamkeit des Kaufvertrags beseitigen (§ 142 Abs. 1 BGB)? A kann ihre Willenserklärung jedoch anfechten (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB).
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Vulpes
14.1.2021, 23:31:29
Ich glaube man könnte bei der Frage nach dem
Geschäftswillen differenzieren. Fehlt der
Geschäftswilleim objektiven TB liegt mMn keine WE vor. Fehlt der
Geschäftswilleim sub. TB liegt sie vor und ist evtl. anfechtbar.
Knowledge with Jan
1.12.2021, 22:24:07
Naja, nicht unbedingt.
Elefantastisch
13.2.2022, 18:05:57
Christian Leupold-Wendling
31.8.2023, 08:43:51
frieda_mtln
14.11.2024, 09:25:47
@[Christian Leupold-Wendling](29773) Der Tippfehler in der Frage ist leider immernoch enthalten. Ich bin noch neu - wen verlinkt man in solchen Fällen am besten?
Law_yal_life
18.9.2023, 13:33:31
Muss man beim GW nicht differenzieren zwischen obj. TB und subj. TB? nur beim letzteren steht doch ein Anfechtungsrecht zu? Oder hab ich mir da was falsch gemerkt?
Elias Von der Brelie
7.12.2023, 19:23:31
Verwechselst du den
Geschäftswillen vielleicht mit der Willenserklärung generell? Der
Geschäftswillegehört zum Subjektiven Tatbestand der Willenserklärung welche auch einen Objektiven Tatbestand hat. Und das Fehlen vom
Geschäftswillen (subjektiver TB der Willenserklärung) ist für das Zustandekommen der WE nicht relevant. Meinst du vielleicht das? Dass der
Geschäftswilleselbst dann auch noch mal genauso einen Objektiven und Subjektiven Tatbestand hat, davon habe ich noch nie gehört und kann ich mir auch schlecht vorstellen. Wäre ja auch völlig überflüssig
mwally
21.12.2023, 21:48:39
Es geht meiner Ansicht nach darum, dass in den Abschnitten vorher zwischen
Geschäftswillen im subjektiven Tatbestand und dem objektiven
Geschäftswillen im objektiven Tatbestand unterschieden wurde. Objektiv besteht hier kein Problem: aus Sicht eines objektiven Dritten war die Erklärung genau auf die Herbeiführung der bezeichneten Rechtsfolge gerichtet. Subjektiv enthielt die Erklärung einen falschen Preis und ist hier daher anfechtbar.
Linne_Karlotta_
31.10.2024, 21:49:23
Hey in die Runde, um hier einer weiteren Verwirrung vorzubeugen: Es gibt keinen objektiven
Geschäftswillen. Der Begriff „Wille“ an sich ist rein subjektiv. Der Begriff des „objektiven
Geschäftswillen“ tauchte in einem unsere Schemata auf. Gemeint war hiermit die nach außen (objektiv) erkennbare Äußerung eines
Geschäftswillens, also einfach der objektive Erklärungstatbestand der Willenserklärung. Ich habe den Begriff jetzt angepasst, um weitere Verwirrung zu vermeiden. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs–Team
NichtDavid
17.4.2024, 12:24:32
Indem gefragt wird, ob eine Anfechtung beim Erklärungsirrtum möglich wäre, „wenn anzunehmen ist, dass sie [diese Erklärung] bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung nicht abgegeben“ worden wäre, wird mE nahegelegt, dass es in irgendeiner Weise auf Kenntnis und verständige Würdigung ankäme. Das ist mE nicht der Fall. Beim Erklärungsirrtum, bei dem gerade etwas anderes gesagt wird als gewollt, wäre schon definitionsgemäß ohne Irrtum eine andere Erklärung abgegeben worden. Es ist kein Fall denkbar, in dem der Irrtum nicht zur fehlerhaften Erklärung geführt hat.
Philip
31.10.2024, 14:45:06
Hey, ich bin mir relativ sicher, dass das Rechtsgeschäft hier nicht anfechtbar ist: Gem. Para 119 I BGB ist eine Willenserklärung nur dann anfechtbar, wenn man während der Abgabe im Irrtum war -> Vorliegend hatte A den Brief aber schon davor geschrieben (Ihren Tippfehler + Sie liest sich den Brief durch, anstatt diesen zu schreiben) und erst danach die Willenserklärung, durch das Unterschreiben und Abschicken des Briefs, abgegeben. Deswegen denke ich, dass A hier nicht wegen eines Erklärungsirrtums gem. 119 I 2. Alt. BGB anfechten kann, oder liege ich hier falsch?
Linne_Karlotta_
31.10.2024, 21:36:02
Hey Philip, danke für Deine Frage. Du liegst richtig damit, dass der maßgebliche Zeitpunkt zur Bewertung, ob ein Irrtum vorlag, die Abgabe der Willenserklärung. Allerdings kann ein vorher verursachter Irrtum bis zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung fortdauern. Es kann nicht darauf ankommen, wann der Irrtum „entstanden“ ist, sondern vielmehr, welche Vorstellung der Erklärende zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung hatte. Entscheidend ist, dass der ursprüngliche Irrtum die spätere Abgabe der Willenserklärung noch kausal beeinflusst. Der Erklärende muss zum Zeipunkt der Willenserklärung noch von der falschen Vorstellung ausgehen. Hieran fehlt es insbesondere dann, wenn der Irrtum vor der Abgabe der Willenserklärung erkannt wird. In dem Fall hier liegt es so, dass der Irrtum noch fortwirkt. Hier ein zwei weitere Fallbeispiele: 1. Jemand liest eine Preisliste falsch (100€ statt 1000€) und bestellt später aufgrund dieser falschen Vorstellung die Ware. 2. Ein Kunde verwechselt beim Betrachten der Auslage zwei Produkte und bestellt später das falsch identifizierte Produkt. In der Aufgabe habe ich jetzt einen entsprechenden Vertiefungshinweis eingeführt. Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Beste Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Philip
31.10.2024, 21:51:40
Wenn ich den Fall jetzt aber wie folgt umändere, dass sich A bei der Berechnung des Preises vertut, nämlich, indem sie statt 5.000€ für den Motor (Nur als Beispiel) lediglich 4.000€ eintippt, und daraufhin ein Gesamtpreis für das Auto i.H.v. 10.000€ ergibt, statt den 11.000€, dann wäre dies ein unbeachtlicher
Kalkulationsirrtum, und A könnte deshalb nicht anfechten, da sich der Irrtum vor der Abgabe der WE aufgetan hat. Richtig? Und vielen lieben Dank!
Linne_Karlotta_
31.10.2024, 22:24:08
Hey Philip, dieser Fall wäre in der Tat anders zu bewerten und zwar deswegen, weil es sich schon gar nicht um einen Irrtum handelt, der die Erklärung selbst betrifft. Noch einmal Stück für Stück: In unserem Fall hier möchte A eigentlich 11.000 Euro sagen, sagt aber aus Versehen nur 10.000 -> und zwar nicht, weil sie 10.000 sagen will, sondern einfach, weil sie sich vertippt. Da ihr dieser Fehler bis zur Abgabe der Willenserklärung nicht auffällt, denkt sie bei Abgabe der Willenserklärung also: „Ich mache jetzt ein Angebot für 11.000 Euro.“ Da sie das objektiv nicht tut, ist die Willenserklärung nach § 119 Abs. 1 BGB anfechtbar. In dem von Dir gebildeten Beispiel liegt es anders: A möchte tatsächlich ein Angebot über 10.000 Euro machen und tut dies auch. Es liegt also bereits kein Auseinanderfallen des subjektiven Willens und der objektiven Erklärung vor. Es handelt sich damit nicht um einen Irrtum bei der Willenserklärung, sondern nur bei der Willensbildung. Es ist i.d.R. unbeachtlich, auf welche Weise der Erklärende zu dem Entschluss kommt, eine Willenserklärung einer bestimmten Art abgeben zu wollen. Ein
Kalkulationsirrtum, wie er hier vorliegt, ist nach Rspr. und h.L. jedenfalls dann als unbeachtlicher
Motivirrtumeinzuordnen, wenn er „verdeckt“ ist, also dem Geschäftspartner nur das Ergebnis der Berechnung mitgeteilt wurde. Ich empfehle dir hierzu noch diese Fälle zum verdeckten und offenen
Kalkulationsirrtum: https://applink.jurafuchs.de/HvSFtGOw9Nb https://applink.jurafuchs.de/o8G3YxPw9Nb Um Deine Frage abschließend zu beantworten: Es geht hier nicht darum, dass der Irrtum nicht bis zur Erklärung fortwirkt – denn der Fehler in der Berechnung ist ja grundsätzlich schon irgendwie kausal dafür, dass A das Angebot über 10.000 Euro, statt 11.000 Euro macht. Es geht eher darum, dass die „Art“ des Irrtums von vornherein nicht berücksichtigt wird. Grund dafür ist schlicht die Wertung des Gesetzgebers bzw. der Rspr. Denn es ginge wohl zu weit, wenn auch sämtliche Fehler bei der Willensbildung (Motivirrtümer) zur Anfechtung berechtigen würden. Viele Grüße, Linne – für das Jurafuchs-Team
Philip
31.10.2024, 22:33:45
Okay, ich fasse auch für zukünftige Leser zusammen: Wenn der objektive und der subjektive Wille des Erklärenden auseinanderfallen, dann kann dieser seine Willenserklärung anfechten, vorausgesetzt, dass dieser Irrtum bei der Abgabe der Willenserklärung vorliegt, bzw. kausal bei der Abgabe der Willenserklärung fortwirkt. (A will 11.000€, vertippt sich und schickt einen Brief mit einem Angebot für 10.000€ an B) Ein unbeachtlichen
Motivirrtumin Form eines
Kalkulationsirrtums liegt dann vor, wenn der Geschäftspartner diesen nicht erkennen kann, da dieser verdeckt ist. Bei einem
Motivirrtumist der Fehler beim Erklärenden nicht kausal am Fortwirken, da ein Auseinanderfallen vom subjektiven und objektiven Willen fehlt. Ich habe es nun verstanden! Danke sehr (: