Fall zum Atypischen Kausalverlauf (BGHSt 3, 62): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Fall zum Atypischen Kausalverlauf (BGHSt 3, 62): Nach reichlich Alkoholgenuss liegt ein Mann bewusstlos am Straßenrand. Im Vorbeifahren sieht ihn eine Frau. Sie steigt aus, um ihm zu helfen. Ein Auto nähert sich ihr.
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Klassisches Klausurproblem

Nach reichlich Alkoholgenuss liegt A bewusstlos am Straßenrand. Im Vorbeifahren sieht ihn die E. Sie steigt aus, um ihm zu helfen. Dabei wird sie vom angetrunkenen Goliath-Fahrer G, der die Situation nicht rechtzeitig erkennt, tödlich erfasst.

Einordnung des Falls

Atypischer Kausalverlauf (BGHSt 3, 62)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat A den Tod der E kausal verursacht?

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Genau, so ist das!

Rspr. und hL bestimmen die Kausalität überwiegend nach der Äquivalenztheorie (= conditio-sine-qua-non-Formel). Eine Handlung ist danach kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.Hätte A nicht bewusstlos am Straßenrand gelegen, hätte E keinen Anlass gehabt, ihm zu helfen und wäre nicht in die Verkehrsgefahr geraten, die ihr durch G drohte.

2. Hat A eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat?

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Nein, das trifft nicht zu!

Ein atypischer Kausalverlauf ist gegeben, wenn dieser so sehr außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt, dass mit ihm vernünftigerweise nicht gerechnet zu werden braucht. Ist es niemandem in der Rolle des Täters möglich, den Erfolg in seiner konkreten Gestalt abzusehen, ist der Erfolg ein Werk des Zufalls und keines des Täters.BGH: Dass jemand einem Verunglückten hilft, widerspricht ebenso wenig der Lebenserfahrung wie die Tatsache, dass Verkehrsteilnehmer sich verkehrswidrig benehmen. Außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung aber liegt die tragische Verkettung der beiden erwähnten Zwischenglieder. Dass E gerade deshalb, weil sie dem A behilflich war und darum am Unfallort verweilte, in den Bereich der von G ausgehenden Verkehrsgefahr geraten werde, konnte A nicht voraussehen.

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BBJB

bbjbln

19.12.2019, 14:05:22

MMn liegt mit der Begründung schon keine Kausaltität im Sinne der Äquivalenzformel vor. Danach ist jede Handlung kausal, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Eine Handlung ist nach hM ein nach außen gerichtetes, vom Willen beherrschtes oder beherrschbares menschliches Verhalten. Bewusstlos irgendwo zu liegen ist kein vom Willen beherrschtes oder beherrschbares Verhalten. Richtigerweise müsste man für die Kausalität auf den Alkoholgenuss als Handlung abstellen.

KO

Kostas

26.12.2019, 10:58:51

Du musst doch aber auf die Handlung des G abstellen und nicht die des A. G liegt nirgendwo bewusstlos rum.

KO

Kostas

26.12.2019, 12:11:40

Habe nicht gesehen, dass sich die Fragen auf A bezogen haben. Das Verhalten des A ist dennoch kausal mE. Hätte A sich nicht betrunken, wäre er nicht dort lang gelaufen und wäre somit nicht dort bewusstlos liegen geblieben.

EDA

Eda

9.4.2020, 08:30:18

Man kann doch aber auch durch ein Unterlassen eine kausale Ursache hervorrufen? Hätte A einen nüchternen Freund gebeten ihn heimzufahren wäre die E nicht überfahren worden.

EL

Elisabeth

4.11.2020, 14:55:32

Die h.M. stellt soweit ich weiß auf ein sozial erhebliches, also ein äußerliches Verhalten ab. ich denke da kann man hier „ganz penibel“ auf das „Nachhause gehen unter erheblichen Alkoholeinfluss abstellen“, ich würde darauf abstellen, was der K gemacht hat bevor er zusammengebrochen ist.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

11.5.2022, 08:41:34

Funktioniert das immer, wenn Menschen im Spiel sind, aber nicht "handeln"? Kann man bei einem schlafenden Täter dann aufs ins Bett gehen/wach bleiben etc abstellen (und dann vermutlich bei der obj Zur rausfliegen)?

S.

s.t.

7.8.2021, 19:40:25

Wieso ist das Bewusstlos rumliegen eine Handlung an das angeknüpft wird?

Ferdinand

Ferdinand

9.8.2021, 21:46:55

Lies dir vielleicht mal den anderen Thread zu diesem Fall durch, ich finde, da ist das ganz gut erklärt.

suessmaus

suessmaus

14.6.2023, 18:53:48

Kann man auch sagen, es ist schon keine rechtlich missbilligte Gefahr, am Straßenrand zu liegen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

16.6.2023, 15:35:41

Hallo suessmaus, das ist an dieser Stelle nur schwer vertretbar. Denn A liegt hier nicht einfach nur am Straßenrand, sondern stellt ein Hindernis dar, welches zu einer Gefährdung für den Straßenverkehr im Hinblick auf die notwendigen Ausweichmanöver darstellen (anders allenfalls, wenn er wirklich komplett neben der Straße liegen würde, sodass die Autos ungehindert passieren können). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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