Inhaltsirrtum bei Internetgeschäften

3. Juli 2025

8 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V will sein E-Bike auf eBay für €2.600 verkaufen. Um eBay-Gebühren zu sparen, gibt er einen "Sofort-Kaufen"-Preis von €100 an. Seine Absicht gibt er im Angebotstext deutlich zu erkennen. K liest den Text nicht, klickt auf „Sofort-Kaufen“ und will nur €100 bezahlen.

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Einordnung des Falls

Inhaltsirrtum bei Internetgeschäften

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei der Option „Sofort-Kaufen“ auf eBay kommt der Vertragsschluss durch Angebot und Annahme zustande.

Genau, so ist das!

Bei der Option "Sofort-Kaufen" kommt der Vertrag durch inhaltlich korrespondierende Willenserklärungen – Angebot und Annahme – zustande (§§ 145 ff. BGB). Bei der Beurteilung der abgegebenen Willenserklärungen sind die AGB von eBay zu berücksichtigen. Der Ersteller eines Inserats für Festpreisartikel (Option "Sofort-Kaufen") gibt ein verbindliches Angebot an alle registrierten Mitglieder eBays, ad incertas personas, ab (§ 6 Nr. 2 eBay AGB), welches angenommen wird, indem der Käufer auf den Button „Sofort-Kaufen“ klickt (§ 6 Nr. 4 eBay AGB). Somit kommt der Vertrag mit der ersten Person, die auf „Sofort-Kaufen“ klickt, zustande.
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2. V hat mit der Einstellung des E-Bikes ein Angebot gerichtet auf Abschluss eines Kaufvertrags (zu €100) abgegeben.

Nein, das trifft nicht zu!

Zwar lautet der Sofort-Kaufen-Preis auf €100. BGH: Zur Bestimmung des wirklichen Erklärungstatbestands müsse jedoch die insgesamt abgegebene Erklärung berücksichtigt werden. Zwar stäche zunächst der Festpreis von €100 ins Auge, welcher im Widerspruch zu dem im Angebotstext genannten höheren Verkaufspreis stünde. Allerdings habe V im Angebotstext unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass der Preis von €100 nur zwecks Einsparung von Verkaufsgebühren genannt, in Wirklichkeit aber nicht gewollt sei, sondern auf €2.600 lauten solle (RdNr. 15-19). Dass V insofern von den eBay AGB abweiche, sei unschädlich. Die eBay AGB seien zur Auslegung des Verhaltens der Parteien heranzuziehen (§§ 133, 157 BGB). Individuelle Vereinbarungen gingen jedoch vor (RdNr. 13).

3. K hat die Annahme des Angebots (zu €2.600) erklärt, indem er auf die Schaltfläche „Sofort-Kaufen“ geklickt hat.

Ja!

BGH: V durfte zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Annahmeerklärung mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nach seinem Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) davon ausgehen, dass K durch die vorbehaltlose Betätigung des Sofortkauf-Buttons die Annahme seines Angebots uneingeschränkt erklärt habe. Einen Willen, die Annahmeerklärung auf einen Kaufpreis von €100 zu beschränken (§ 150 Abs. 2 BGB), habe K nicht zum Ausdruck gebracht. K habe damit objektiv das auf einen Kaufpreis von €2.600 lautende Angebot des V angenommen (RdNr. 23).

4. K kann seine Erklärung anfechten, weil er den Text mit dem höheren Preis nicht gelesen hat (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs.1 Alt. 1 BGB).

Genau, so ist das!

K kann wegen Inhaltsirrtums anfechten, wenn Wille und Erklärung auseinander fallen. K muss also, ohne dies zu bemerken, gegenüber V aus dessen Sicht etwas anderes zum Ausdruck gebracht haben, als er tatsächlich erklären wollte. Dies gilt selbst dann, wenn K das Angebot nicht zu Ende gelesen hat, solange er sich von dessen Inhalt eine bestimmte, allerdings unrichtige Vorstellung gemacht hat und dadurch bei dessen Annahme einem Irrtum unterlag. K ging fälschlicherweise davon aus, ein Angebot i.Hv. €100 anzunehmen, wobei der Kaufpreis objektiv bei €2.600 lag. Er kann daher nach §§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB seine Annahmeerklärung anfechten.

5. K macht V klar, dass er den Preis von €2.600 nicht gelten lassen wolle. Hat K durch die anschließende Weigerung den vollen Kaufpreis zu zahlen konkludent die Anfechtung erklärt (§ 143 Abs. 1 BGB)?

Ja, in der Tat!

Eine Anfechtungserklärung (§ 143 BGB) ist jede Willenserklärung, die unzweideutig erkennen lässt, dass das Rechtsgeschäft rückwirkend beseitigt werden soll. Dazu bedarf es nicht des ausdrücklichen Gebrauchs des Wortes "anfechten". Es kann vielmehr nach den Umständen genügen, wenn eine Verpflichtung bestritten oder nicht anerkannt oder ihr sonst widersprochen wird. Erforderlich ist nur, dass sich eindeutig der Wille ergibt, das Geschäft gerade wegen des Willensmangels nicht bestehen lassen zu wollen. Im Hinblick auf die vorangehenden Erklärungen gegenüber V ergibt sich aus der Zahlungsverweigerung unzweideutig, dass K sich von dem Geschäft lösen will.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

16.2.2022, 09:57:06

Liebes Jurafuchs-Team, das ist wieder einmal ein weitestgehend gelungener Fall. Die Subsumtion finde ich hier jedoch gegenüber der BGH-Entscheidung etwas zu stark verkürzt. Das Gericht verweist in seiner Entscheidung auf einen elektronischen Schriftverkehr zwischen Kläger (K) und Beklagtem (V), in der K deutlich gemacht habe, dass er sich nicht verpflichtet sehe den von V verlangten Kaufpreis iHv 2.600 Euro zu bezahlen. Dies sind die im Maßstab genannten “Umstände”, die in der Zahlungsverweigerung eine Anfechtungserklärung erkennen lassen. Im Jurafuchs-Fall wird vielmehr der Eindruck erweckt, die Zahlungsverweigerung würde für sich genommen schon eine Anfechtungserklärung darstellen. Dem ist nicht zuzustimmen. Zum einen würde eine solche Wertung die Regelungen zum

Schuld

nerverzug entbehrlich machen. Darüber hinaus ist die bloße Zahlungsverweigerung weniger als

konkludent

e Erklärung, sondern vielmehr als Schweigen, im Sinne von Nichtstun, zu qualifizieren. Dem Schweigen kommt jedoch nur in Ausnahmefällen ein Erklärungsgehalt zu. Einer solcher Ausnahmefall ist hier nicht ersichtlich. Letztlich widerspricht diese Wertung auch dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Diese umfasst nicht nur die Freiheit einen Vertrag abzuschließen, sondern genauso die Freiheit an einmal geschlossenen Verträgen festzuhalten. Für eine Zahlungsverweigerung kann es viele Gründe geben (Liquiditätsprobleme, schlichtes Vergessen, Unzufriedenheit mit der Leistung des anderen Teils etc.). Würde man der Zahlungsverweigerung ohne die Einbeziehung weitere Umstände einen anfechtenden Erklärungsgehalt beimessen, wäre dies ein massiver Eingriff in die Vertragsfreiheit. Dieser lässt sich vorliegend insbesondere nicht durch Interessen des anderen Teils rechtfertigen. V wollte ja gerade, dass der

Kaufvertrag

und damit sein Anspruch auf Zahlung von 2.600 Euro bestehen bleibt. Es wäre schön, wenn ihr die Subsumtion/den Sachverhalt diesbezüglich noch etwas erweitern würdet. :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

18.2.2022, 11:18:48

Lieber QuiGonTim, vielen Dank für Deinen ausführlichen Hinweis. In der Tat war der letzte Hinweis etwas verkürzt. Wir haben die Aufgabe dahingehend präzisiert, dass wir nun noch näher auf die Umstände eingehen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

FalkTG

FalkTG

15.6.2024, 15:59:43

1. 242 2. CIC?

LELEE

Leo Lee

17.6.2024, 16:36:43

Hallo FalkTG, viele Dank für deine sehr gute Frage! In der Tat könnte man in dieser Konstellation auch die 242 und CIC in Erwägung ziehen. Allerdings haben wir in diesem Kapitel uns vollständig dem AT gewidmet, weshalb wir diese Ausführungen, die systematisch dem

Schuld

recht AT zugehörig sind, vorerst weggelassen haben. Wir bitten dich insofern um Verständnis und Nachsicht und können dir i.Ü. die Aufgaben zu 242 und CIC bei den jeweiligen Kapiteln sehr empfehlen (findest du bei „Entdecken“ 

Schuld

recht allgemeiner Teil) und wünschen dir viel Spaß hierbei :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Thomas Mayo

Thomas Mayo

25.4.2025, 11:45:33

Fände es didaktisch sinnvoller die Punkte mit anzusprechen, auf sie aber erst in den entsprechenden Kapiteln vertiefter einzugehen. Man lernt so alle entscheidenden Punkte zum Fall. Das sich die Erklärung trotzdem nur auf den jeweils behandelten Punkt beziehen kann ist verständlich.

BigLebowski

BigLebowski

9.6.2025, 15:06:17

Wie genau sollte denn hier § 242 überhaupt in Stellung gebracht werden? Ein Verweis auf c.i.c. wäre nice, aber würde irgendwie auch keinen riesigen Mehrwert bieten, finde ich. Jemand, der

Schuld

R AT das erste Mal durcharbeitet, wird c. i. c. nicht andenken und verwirrt sein. Jemand, der das andenkt, wird ggf. selbst nachschauen, so denn Bedarf da ist. Im übrigen steht auch nirgendwo im SV, dass hier ein

Schaden

entstanden ist - es ist also insgesamt etwas abwegig.

UGE

Ugento

4.9.2024, 10:51:33

Erklärender wollte eine Erklärung abgeben, für 100€ die Sache zu kaufen, erklärte aber irrtümlich, dass er einen höheren Preis annimmt. Wieso denn

Inhaltsirrtum

?

Tobias Krapp

Tobias Krapp

4.9.2024, 21:37:12

Hallo Ugento, danke für deine Nachfrage. Beim

Erklärungsirrtum

gibt der Erklärende seine Willenserklärung in einer Gestalt ab, in der er sie nicht abgeben wollte. Bezugspunkt des

Erklärungsirrtum

s ist die ÄUẞERE (technische) Erklärungshandlung. Dem Erklärenden missglückt also die Umsetzung des Gewollten in die Erklärung, indem er sich etwa verspricht, verschreibt oder vergreift. Beim Inhaltsirrum entspricht dagegen das äußere (technische) Bild der Willenserklärung dem Willen des Erklärenden. Es stehen aber der - nach objektiver Empfängerperspektive zu bestimmende - ErklärungsINHALT und der Erklärungswille nicht miteinander im Einklang. Bei uns im Fall wollte der K seine Willenserklärung mit seiner äußeren Erklärungshandlung genau so abgeben, wie er sie abgegeben hat: Durch das Klicken auf Sofort Kaufen auf die Anzeige. Daher liegt kein

Erklärungsirrtum

vor. Er hat aber dem Inhalt dieser Erklärung eine andere Bedeutung beigemessen, nämlich dass sie eine Annahme zu 100 € bedeutet. Nur dies war sein Erklärungswille. Daher liegt ein Auseinanderfallen von Erklärungsinhalt und Erklärungswille vor und damit ein

Inhaltsirrtum

. Ich hoffe, das hat weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias


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