Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Anfechtung der Willenserklärung
Offener Kalkulationsirrtum („Silberfall“)
Offener Kalkulationsirrtum („Silberfall“)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V bietet Silber „800 fein“ zu €320 pro Kilo an. Da K aber Silber „1000 fein“ haben will, rechnet V den Preis in Ks Anwesenheit um. Durch einen Rechenfehler kommt er zu einem viel zu günstigen Kilopreis von €360 (anstatt richtigerweise €400).
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Einordnung des Falls
Offener Kalkulationsirrtum („Silberfall“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der „offene Kalkulationsirrtum“ berechtigt immer zur Anfechtung.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Zwischen K und V ist ein Kaufvertrag über Silber „1000 fein“ zu einem Kilopreis von €360 zustande gekommen.
Nein, das trifft nicht zu!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Milena Ortac
9.6.2021, 16:08:52
War hier nicht das Angebot erst wirksam und hinterher hätte die WE durch eine Anfechtung vernichtet werden können? Somit wäre ja zunächst ein Kaufvertrag zustande gekommen.
Lukas_Mengestu
8.10.2021, 15:25:00
Hallo Juan, das Angebot des V war hier doppeldeutig. Etwas lebensnäher kann man sich das Beispiel auch mit Äpfeln vorstellen. Der Verkäufer auf dem Markt bietet 8kg Bio-Äpfel für 32 € an (also 1kg = 4 €). Nun sagt der Käufer aber, er wolle 10kg haben. Daraufhin erwidert der Verkäufer basierend auf dem ursprünglichen Angeobt, das koste 36€ (also 1kg = 3,60€). Das heißt es ist eben aus objektiver Sicht nicht klar, was nun eigentlich der Kilopreis sein soll. Deswegen kommt schon kein Kaufvertrag zustande und dieser muss somit auch nicht rückwirkend vernichtet werden. Ist es so nun etwas klarer? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Finanztante
20.4.2022, 09:08:05
Gerade wenn sich die nachgefragte Menge erhöht, wird kann der Preis niedriger, oder bei geringerer Abnahme der Preis höher werden. Dazu benötigt man konkretere Angaben im Sachverhalt. Ich würde am Obststand davon ausgehen, aufgrund höherer Menge einen niedrigeren Preis zu erhalten und dies nicht als Fehler betrachten.
MissKina
17.1.2022, 09:32:22
Und weshalb kommt man hier nicht, wie in dem Fall zuvor, durch Auslegung zu dem Ergebnis, dass ein unbeachtlicher
Motivirrtumvorliegt und somit der richtig gerechnete Preis zum Vertragsgegenstand wird?
Lukas_Mengestu
17.1.2022, 18:37:42
Hallo MissKina, den entscheidenden Unterschied hat das Reichsgericht hier darin gesehen, dass die Umrechnung Teil der Vertragsverhandlungen waren (zunächst 800 fein, dann aber lieber 1000 fein). Insofern sei dieser Fall anders zu beurteilen, als der, bei dem lediglich Einzelposten zusammengerechnet werden und im Ergebnis deshalb eine Anfechtung möglich. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Skra8
30.8.2024, 17:15:03
@[Lukas_Mengestu](136780) - Ich finde, dieser Hinweis sollte ergänzend hinzugefügt werden; ansonsten fällt es schwer, Rückschlüsse auf das Ergebnis zu ziehen.
Antonia
2.9.2024, 09:07:08
@[Lukas_Mengestu](136780) Ich dachte wenn die Einzelposten zusammengerechnet werden, kommt der Vertrag durch Auslegung mit dem richtig gerechneten Preis zustande und eine Anfechtung sei ausgeschlossen, weil es sich nach Ansicht des BGH um einen unbeachtlichen
Motivirrtumhandelt?
Jone
23.5.2022, 07:37:49
Meine Frage geht in dieselbe Richtung wie die bisherigen Kommentare: ich tue mir etwas schwer damit einzuordnen, wann die Kalkulation Vertragsbestandteil wird. Reicht hier die bloße Anwesenheit aus, während man beobachtet, dass der Verkäufer auf einem Taschenrechner „herumtippt“? Es kann doch als Käufer kaum von mir verlangt werden, die Kalkulation des Verkäufers zu hinterfragen - außer es gäbe wirklich offensichtliche Unstimmigkeiten…?
Lukas_Mengestu
23.5.2022, 19:50:14
Hallo Jone, vielen Dank für Deine Nachfrage. Das bloße Zuschauen bei der Kalkulation würde in der Tat nicht reichen, wenn dies bedeutet, dass V einfach eine Zahl ausspuckt. Es muss vielmehr wirklich nachvollziehbar geschehen, das heißt zB wenn er dies kommentiert, nach dem Motto: "2 x 3 macht vier". Der Käufer muss also die Chance haben zu erkennen, dass hier ein Rechenfehler vorliegt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
12.9.2023, 08:30:25
Liebes Jurafuchs-Team, ihr schreibt einleitend, dass nach Ansicht des BGH der rechnerisch richtige Preis Vertragsbestandteil werden könne. Vorliegend kommt jedoch aufgrund des Dissens gar kein Vertrag zustande. Unter welchen Voraussetzungen wird denn der nicht angegebene richtige Preis Vertragsbestandteil und warum ist dies im vorliegenden Fall gerade nicht so?
ehemalige:r Nutzer:in
19.9.2023, 18:57:29
Was meinst du denn mit "der nicht angegebene richtige Preis"?
Maria
1.4.2024, 15:41:02
Die selbe Frage stellt sich mir auch. Wann kann man denn von einem möglichen Fall der
falsa Demonstration sprechen und wann von einem Dissens in den Fällen des offenen
Kalkulationsirrtums? Die Abgrenzung der beiden Aufgaben fällt mir etwas schwer für mein Verständnis.
Jack180
14.6.2024, 10:30:09
Würde mich hier auch über eine Erklärung freuen.
Antonia
2.9.2024, 08:52:28
Ich würde mich auch über eine Aufklärung der Frage freuen!
FuschDaSlam
5.9.2024, 13:35:55
Zudem wäre zu klären, warum eine Preisdifferenz von 10% dem Käufer unbedingt hätte auffallen müssen… sehe ich nicht unbedingt. Hier hätte man auch zu einer Anfechtung wegen
Inhaltsirrtums kommen können.
Burumar🐸
1.11.2024, 09:01:14
*push
Skra8
31.8.2024, 10:25:26
Hallo Zusammen, wie geht ihr mit dem "Streitstand" zwischen der Meinung des RG und des BGH um? Handelt ihr das ohne einen Streitaufriss ab? Ich meine, bei einem verdeckten
Kalkulationsirrtumkommen beide Standpunkte ja zu demselben Ergebnis, sodass es in dieser Konstellation letztlich egal ist. Aber wenn ein
offener Kalkulationsirrtumvorliegt, müsste man den Streitstand theoretisch ansprechen. Wie geht ihr damit in der Klausur um? Viele Grüße
Ugento
5.9.2024, 12:25:04
Ich persönlich würde den Streit nicht aufmachen. Die Meinung des RG halte ich für sehr abwegig. Aber korrigiert mich gerne, wenn Ihr das anders seht.
Sebastian Schmitt
6.9.2024, 10:34:36
Hallo @[Skra8](184520), pauschal lässt sich immer schwer beantworten, ob eine bestimmte Meinung anzusprechen ist oder nicht. Falls Auffassungen zum selben Ergebnis kommen, kann und sollte man sich ohnehin sehr kurz halten. Falls das nicht der Fall ist, wird es komplizierter. Man wird jedenfalls nicht einfach sagen können, dass man die RG-Meinung hier in jedem Fall komplett ausblenden kann, weil es sich um eine alte oder "abwegige" Auffassung handelt - immerhin geht es auch um eine Entscheidung des früher höchsten ordentlichen deutschen Gerichts. Sie mag lange zurück liegen und mittlerweile ziemliche MM sein, ich würde aber nicht ausschließen wollen, dass beispielsweise eine BGB-AT-Klausur oder -Hausarbeit von einem rechtshistorisch ausgerichteten Lehrstuhl Euch auch mal gezielt mit dieser RG-Auffassung konfrontieren möchte. Es stimmt aber, dass die RG-Meinung hier tendenziell als historisch überholt gilt. Man kann sie deshalb im Normalfall sicher zügig abhandeln (vor allem in der Klausur), zumindest kurz ansprechen und ein Argument dazu bringen wäre aber ideal. Einfach unter den Tisch fallen lassen setzt einen dem Risiko aus, dass die Auffassung im Erwartungshorizont der Klausurlösung enthalten war, man sie aber in den Augen des Korrekturteams "nicht gesehen" bzw "gekannt" hat. Auf der anderen Seite sollte man hier in den üblichen Fällen nicht zu viel Zeit verlieren, um sich auf die Schwerpunkte zu konzentrieren. Anders kann es vor allem in einer Hausarbeit mal sein, wenn sich ein wesentlicher Teil des Sachverhalts offensichtlich genau um diese Rspr des RG dreht. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Skra8
6.9.2024, 10:52:15
Hi @[Sebastian Schmitt](263562), vorweg danke ich Dir für die detaillierte Erklärung. Allerdings muss ich nochmal für mein Verständnis nachhaken: Unterm Strich lässt sich also pauschal sagen, dass die Meinung grundsätzlich anzusprechen ist, und zwar im Fall des verdeckten
Kalkulationsirrtums, ohne weitere Argumente, und in den Fällen des offenen und gemeinsamen
Kalkulationsirrtums als "normaler Streitstand"? So business as usual? Viele Grüße
Sebastian Schmitt
8.9.2024, 22:21:52
Hallo @[Skra8](184520), ich kann gut verstehen, dass Du gerne eine klare "Marschroute" hättest, an der Du dich orientieren kannst. Damit kann ich leider nur begrenzt dienen. "Grundsätzlich ansprechen" ist nicht unbedingt das, was ich oben zum Ausdruck bringen wollte. "Sehr kurz halten" kann nämlich auch gut mal heißen: (quasi) ganz weg lassen. Wie bei jedem Streit und einer bestimmten "Untermeinung" ist es, vor allem unter dem Zeitdruck in der Klausur, eine Abwägung: Habe ich akute Zeitnot? Wenn ja, dann eher ganz weglassen oder max 1 Satz dazu. Ist das Problem erkennbar einer der Schwerpunkte der Klausur? Wenn ja, dann eher was dazu sagen und idealerweise auch mehr als 1 Satz usw. Gleichzeitig kannst Du nicht jede MM kennen und auch nicht zu jeder MM etwas sagen, musst also auch dahingehend abwägen, welche Punkte für eine saubere, argumentativ überzeugende Lösung mit vernünftiger Schwerpunktsetzung innerhalb der begrenzten Zeit von Dir nötiger- und sinnvollerweise angesprochen werden sollen. Die Auffassung des Reichsgerichts dürfte insgesamt sicherlich zu den eher unwichtige(re)n Meinungen zählen und könnte in vielen Lösungsskizzen auch gut gar nicht auftauchen (was ich empirisch natürlich nur vermuten kann). Sie wird auch inhaltlich selten wirklich relevant sein. Idealerweise hat man dann aber zumindest mal davon gehört und kann sich argumentativ in der nach der Klausur
gebotenen Länge damit auseinander setzen. Mehr wird auch ein Korrektor kaum erwarten. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
cornelius.spans
2.11.2024, 16:32:45
Für mich ist noch nicht ganz nachvollziehbar, wann als Rechtsfolge des Verrechnens Dissens und wann der richtige Preis (durch Auslegung) eintreten soll. Das RG habe in Folge der Einbeziehung der Berechnung in die WE den Dissens bejaht, da die WE dadurch uneindeutig war. Aber ist nicht gerade bei Einbeziehung der Berechnung des Preises in die WE für den anderen Teil erkennbar, dass der richtig berechnete Preis Inhalt der WE sein soll? ME müsste daher hier als Rechtsfolge die Auslegung der WE mit dem Ergebnis der richtigen Berechnung greifen.