Nichtigkeit nach § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M wohnt in einem Baugebiet der Gemeinde G, welches unmittelbar an das Gebiet der Gemeinde K grenzt. M stellt bei der Baubehörde von K einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Sauna in ihrem Garten. Der unerfahrene Sachbearbeiter S erteilt die Genehmigung ohne Rücksprache mit G.

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Einordnung des Falls

Nichtigkeit nach § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Baugenehmigung könnte formell rechtswidrig sein. Hat hier die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG örtlich zuständige Behörde den Verwaltungsakt erlassen?

Nein!

Die formelle Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts setzt voraus, dass (1) die (örtlich und sachlich) zuständige Behörde gehandelt und dabei (2) Form- und (3) Verfahrensvorschriften eingehalten hat. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach einschlägigen Spezialgesetzen bzw. der allgemeinen Regelung des § 3 VwVfG. Mangels (landesrechtlicher) Sonderbestimmung richtet sich die Zuständigkeit hier nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Das Baugebiet liegt im Gebiet der Gemeinde G. Zuständig ist damit die Baubehörde der Gemeinde G, nicht die der K. Der durch S im Namen der K erlassene Verwaltungsakt ist damit formell rechtswidrig.
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2. Handelt eine örtlich unzuständige Behörde, führt das immer zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts.

Nein, das ist nicht der Fall!

Gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn diesen eine Behörde außerhalb ihrer durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG begründeten Zuständigkeit erlassen hat, ohne dazu ermächtigt zu sein. Dieser Regelung liegt der verfassungsrechtliche Grundsatz aus Art. 28 Abs. 2 GG zugrunde: Gemeinden regeln die Angelegenheiten ihrer örtlichen Gemeinschaft selbst. Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde fordert aber nicht, dass eine andere Gemeinde für die eigentlich örtlich zuständige Gemeinde in keinem Fall tätig werden darf. Ganz im Gegenteil: Die Entscheidung, eine andere Gemeinde zum Tätigwerden zu ermächtigen, ist Ausdruck einer Selbstverwaltung. Die Baugenehmigung wäre nur nichtig, wenn K nicht durch G zum Erlass ermächtigt war. Vorsicht! § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG bezieht sich nur auf die örtliche Zuständigkeit aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. In den anderen Fällen des § 3 VwVfG kommt daher grundsätzlich eine Unbeachtlichkeit des formellen Fehlers nach § 46 VwVfG in Betracht.

3. K war nicht zum Erlass der Genehmigung durch G ermächtigt. Ist die Baugenehmigung (= Verwaltungsakt) nichtig?

Ja, in der Tat!

Gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn diesen eine Behörde außerhalb ihrer durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG begründeten Zuständigkeit erlassen hat, ohne dazu ermächtigt zu sein. K war örtlich unzuständig (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Die zuständige Behörde der Gemeinde G hat K nicht zum Erlass der Baugenehmigung ermächtigt. Die Baugenehmigung ist nichtig gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG und entfaltet damit keinerlei Rechtswirkung. M darf nicht mit dem Bau beginnen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ASA

asanzseg

5.4.2023, 17:20:13

Ok habe ich das jetzt richtig verstanden: bei der örtlichen unzuständigen Behörde muss man mehrfach in der Prüfung auf die örtliche Unzuständigkeit eingehen. Erstmal muss geprüft werden ob die örtliche unzuständige Behörde überhaupt den VA Bekanntgeben kann. Bei sachlich unzuständigen Behörden gänzlich nein, bei örtlich unzuständigen Behörden i.d.R. Ja. Dann geht man im rahmen der formellen Rechtmäßigkeit des VA im rahmen der Zuständigkeit der Behörde im OB einen solchen VA erlassen durfte und konkret WO sie das ausüben würde also sachliche und örtliche Zuständigkeit. Um dann zu sagen sie war sachlich unzuständig, dies führt nicht immer zur Nichtigkeit nach §44 II VwVfG und damit zur Unwirksamkeit sondern nur wenn sie von der zuständigen Behörde nicht ermächtigt wurde oder wenn kein Gesetz diese Ausnahme zulässt (etwa bei Eilzuständigkeit der Polizei im Rahmen der

Gefahr im Verzug

). Richtig ?

BENED

Benedikt

24.8.2023, 15:21:19

Ich habe es folgendermaßen verstanden: Die Zuständigkeit spielt bei der Existenz und bei der Rechtmäßigkeit von VA's eine Rolle. Die Existenz des

Verwaltungsakt

es scheitert bei fehlender örtlichen Zuständigkeit wegen Nichtigkeit nach § 44 II Nr. 3, wenn keine Ermächtigung durch die zuständige Behörde vorliegt. Bei fehlender sachlicher Zuständigkeit scheitert sie an der Bekanntgabe (immer?). Die Rechtmäßigkeit scheitert an bei fehlender örtlicher Zuständigkeit, wenn diese die Entscheidung in der Sache beeinflussen konnte arg. e. c. § 46 VwVfG. An fehlender sachlichen Zuständigkeit scheitert die Rechtmäßigkeit eines VA's nur, wenn dieser überhaupt existiert. Wann eine sachlich unzuständige Behörde wirksam einen VA erlassen kann, weiß ich nicht. Ich gehe mal davon aus, dass die Verletzung bestimmter sachlicher Zuständigkeitsvorschriften nicht immer die Nichtigkeit (und vielleicht auch noch nichtmal immer die Rechtswidrigkeit) zur Folge haben. § 46 VwVfG ist jedenfalls nicht analog anzuwenden.

Artur Schönhals

Artur Schönhals

8.11.2023, 10:59:14

Also die sachliche Zuständigkeit wird in §44 nicht explizit erwähnt aber ist anhand von der Generalklausel des Absatz 1 zu beurteilen. Danach müsste er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leiden und dies müsste nach verständiger Würdigung offensichtlich sein; hier liegt auch der Knackpunkt, da dies in den seltensten Fällen vorliegen würde.

Simon

Simon

26.1.2024, 00:52:08

Ein wirksamer VA setzt seine Bekanntgabe voraus, vgl. § 43 I VwVfG. Umstritten ist aber, was bei einer fehlerhaften Bekanntgabe gilt. Eine Ansicht nimmt bei jedem Bekanntgabefehler an, dass kein VA existiert (zB Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 41 Rn. 222). Das widerspricht aber schon § 44 III Nr. 1 VwVfG, der zeigt, dass nicht jeder Bekanntgabefehler zu einer Unwirksamkeit des VA führen kann. Überwiegend wird daher differenziert und die Unwirksamkeit nur dann angenommen, wenn eine zwingende Bekanntgabevoraussetzung missachtet wurde (zB Baer, in: Schoch/Schneider, VwVfG, 3. EL August 2022, § 41 Rn. 135 ff., Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 9 Rn. 73 ff., wohl auch BVerwG, NVwZ 1992, 565, 566). Problematisch erscheint jedoch, was letztendlich zu einer Bekanntgabe notwendigerweise gehört. Die hL definiert Bekanntgabe wohl als Eröffnung des Inhalts des VA ggü dem Betroffenen durch die zuständige Behörde in amtlicher Eigenschaft, wobei sich als Umkehrschluss zu §§ 44, 46 VwVfG ergibt, dass damit nur die sachliche Zuständigkeit gemeint ist (vgl. Maurer/Waldhoff, aaO). Das BVerwG spricht jedoch nur davon, dass die Behörde willentlich dem Adressaten vom Inhalt des VA Kenntnis verschaffen müsse (BVwerG, NVwZ 1992, 565, 566; BVerwGE 22, 14). Tatsächlich scheint es die sachliche Unzuständigkeit daher "nur" iRd § 44 I VwVfG zu prüfen (so zB BVerwG, NJW 1974, 1961, 1963). Das leuchtet mE auch ein, da nicht jeder Verstoß gegen die sachliche Zuständigkeit offensichtlich ist und damit zur Unwirksamkeit des VA führen sollte (was aber das Ergebnis wäre, wenn man Bekanntgabe nur bei Handeln der sachlich zuständigen Behörde bejaht). Bsp.: Es handelt nicht die Versammlungsbehörde, sondern die Polizei. MMn ist daher wie folgt vorzugehen: 1) Bekanntgabe des VA, wobei weder sachliche noch örtliche Zuständigkeit eine Rolle spielen; 2) Nichtigkeit nach § 44 II VwVfG, wobei örtliche Zuständigkeit relevant werden kann; 3) Nichtigkeit nach § 44 I VwVfG, wobei sachliche und örtliche Zuständigkeit (unter Berücksichtigung von § 44 III VwVfG) beachtlich sein können; 4) Rechtswidrigkeit des VA, wobei jeder Zuständigkeitsverstoß grds. zur RW führt, aber § 46 VwVfG zu beachten ist.


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