Nichtigkeit nach § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Arbeitsvorgänge in der Baubehörde B verzögern sich aufgrund von Personalmangel massiv. Sachbearbeiterin S erlässt eine Abrissverfügung gegenüber Unternehmerin U. U hat die betreffende Lagerhalle aber schon vor sechs Monaten nach einem Hinweis der Behörde abreißen lassen.

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Einordnung des Falls

Nichtigkeit nach § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Tatbestand des Erlasses einer Abrissverfügung setzt bauordnungsrechtlich das Vorliegen einer baulichen Anlage voraus. Damit ist der gesetzliche Tatbestand hier nicht erfüllt. Ist der Verwaltungsakt materiell rechtswidrig?

Genau, so ist das!

Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Bauabrissverfügung findet sich im jeweiligen Landesrecht (z.B. § 82 Abs. 1 BauO NRW, Art. 76 S. 1 BayBO, § 79 Abs. 1 S. 1 HBauO). Die Abrissverfügung setzt voraus, dass ein bauliche Anlage formell und materiell illegal ist. Bauliche Anlagen sind mit dem Erdboden verbunden und aus Bauprodukten hergestellt. Formelle Illegalität bedeutet, dass die bauliche Anlage nicht genehmigt wurde. Materielle Illegalität bedeutet, dass die bauliche Anlage nicht genehmigungsfähig ist. Die Verfügung bezieht sich auf die Illegalität der Lagerhalle (= bauliche Anlage). Diese wurde aber abgerissen. Es fehlt daher bereits an einer baulichen Anlage. Der Tatbestand zum Erlass der Bauabrissverfügung ist im konkreten Fall nicht erfüllt. Die Verfügung ist materiell rechtswidrig. Diese Ausführungen dienen dem systematischen Verständnis. In der Klausur müsstest Du die (offensichtliche) Rechtswidrigkeit nicht unbedingt oder nur ganz kurz feststellen und könntest direkt zur Frage der Nichtigkeit kommen.
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2. U muss die Abrissverfügung in jedem Fall anfechten, damit diese ihre Wirkung verliert.

Nein, das trifft nicht zu!

Gegenstand von Widerspruch und Anfechtungsklage sind wirksame Verwaltungsakte. Gemäß § 43 Abs. 3 VwVfG ist ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam. Das bedeutet, dass ein nichtiger Verwaltungsakt (in der Regel) nicht Gegenstand von Widerspruch und Anfechtungsklage sein kann. Denn entfaltet ein Verwaltungsakt keine Rechtswirkung, kann er den Adressaten auch nicht belasten. Damit besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Ein nichtiger Verwaltungsakt entfaltet genauso viel Regelungswirkung, wie ein nicht existierender Verwaltungsakt, nämlich gar keine. U müsste die Abrissverfügung nicht anfechten, wenn diese nichtig wäre. Dann könnte U die Verfügung einfach „ignorieren“. In bestimmten Konstellationen kann es aus Gründen effektiven Rechtsschutzes geboten sein, die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts feststellen zu lassen (§ 43 Abs. 1 Var. 3 VwGO). Auch eine Anfechtungsklage zur Aufhebung eines nichtigen Verwaltungsakts ist nicht von vornherein unzulässig, weil der Rechtsschutzsuchende nicht immer sofort weiß, ob der ihn belastende Verwaltungsakt nichtig ist.

3. Die Abrissverfügung ist nichtig gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG.

Ja!

Gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, der aus tatsächlichen Gründen von niemanden ausgeführt werden kann. Der Begriff der „Ausführung“ ist im weitesten Sinne zu verstehen. Ist ein Verwaltungsakt tatsächlich objektiv nicht ausführbar, liegt es auf der Hand, dass die Regelungswirkung ins Leere geht und der Verwaltungsakt von Anfang an keinerlei Rechtswirkung entfalten soll. Kann nur der Adressat des Verwaltungsakts diesen nicht ausführen (= subjektive Unmöglichkeit), führt dies nicht zur Nichtigkeit. Auch die rechtliche Unmöglichkeit wird von der Vorschrift nicht umfasst. Diese kann nur nach § 44 Abs. 1 VwVfG zur Nichtigkeit des Verwaltungsakt führen. Die Lagerhalle, auf welche sich die Abrissverfügung bezieht, existiert nicht mehr. Es ist U tatsächlich unmöglich, genau dieses Haus abzureißen. Der Verwaltungsakt ist nichtig und muss von U nicht weiter beachtet werden. Eine Klausurkonstellation mit einem nach § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG nichtigen Verwaltungsakt ist kaum vorstellbar. Dieser Fall dient der didaktischen Erläuterung der Fallkonstellation. In einer mündlichen Prüfung könnte ein besonders neugieriger Prüfer aber danach fragen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ASA

asanzseg

5.4.2023, 17:28:11

Die Fallfrage und die Subsumtion passen nicht richtig bzw sind unvollständig. In der Lösung wird auf die obj. Unmöglichkeit nach §44 II Nr.4 VwVfG hingewiesen als einzige zur Nichtigkeit führende Unmöglichkeit. In der Subsumtion sagt ihr, es ist dem U unmöglich die bauliche Anlage (mangels Vorhandensein) abzureisen. Ihr geht hier weder normtechnisch noch sagt ihr welche Art von Unmöglichkeit im konkreten Fall vorliegt. Um dann in den Hinweisen zu sagen dass ein solcher Fall der obj. Unmöglichkeit so gut wie nie vorkommen kann. Aber der liegt doch genau hier vor?? Nicht nur der U sondern alle können diese Maßnahme mangels Bauliche Anlage nicht durchführen.

EL

Elisa

11.1.2024, 18:00:35

Ihr schreibt, dass der Begriff „Ausführung“ im Kontext des § 44 II Nr. 4 VwVfG „im weitesten Sinne zu verstehen“ ist. Aber auch, dass weder die

subjektive Unmöglichkeit

noch die rechtliche Unmöglichkeit von der Vorschrift umfasst ist. Ich habe deshalb Probleme zu verstehen, inwiefern der Begriff im weitesten Sinne zu verstehen ist.

GEM

GemäßigtSozialdemokratischerKoalabär

7.8.2024, 12:36:03

So wie ich das verstehe, geht es beim Begriff der „Ausführung“ um die Anordnung, a

GEM

GemäßigtSozialdemokratischerKoalabär

7.8.2024, 12:42:29

So wie ich das verstehe, geht es beim Begriff der „Ausführung“ um die Handlung, die weit zu verstehen ist, also sowohl

aktives Tun

als auch Dulden, Unterlassen oder sogar eine Feststellung (Kopp/Ramsauer § 44 Rn. 41). Der Begriff der Unmöglichkeit ist hingegen eng zu verstehen, also nur die obj. Unmöglichkeit. Umstritten ist dies wohl für die Frage, ob die Unmöglichkeit auch Ausführungen erfasst, die nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand durchführbar sind (dagegen zB Stelkens/Bonk/Sachs § 44 Rn. 145, Schoch/Schneider § 44 Rn. 78; dafür zB Huck/Müller § 44 Rn. 16).


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