Nichtigkeit nach § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG

25. Januar 2025

6 Kommentare

4,8(11.369 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Arbeitsvorgänge in der Baubehörde B verzögern sich aufgrund von Personalmangel massiv. Sachbearbeiterin S erlässt eine Abrissverfügung gegenüber Unternehmerin U. U hat die betreffende Lagerhalle aber schon vor sechs Monaten nach einem Hinweis der Behörde abreißen lassen.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Nichtigkeit nach § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Tatbestand des Erlasses einer Abrissverfügung setzt bauordnungsrechtlich das Vorliegen einer baulichen Anlage voraus. Damit ist der gesetzliche Tatbestand hier nicht erfüllt. Ist der Verwaltungsakt materiell rechtswidrig?

Genau, so ist das!

Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Bauabrissverfügung findet sich im jeweiligen Landesrecht (z.B. § 82 Abs. 1 BauO NRW, Art. 76 S. 1 BayBO, § 79 Abs. 1 S. 1 HBauO). Die Abrissverfügung setzt voraus, dass ein bauliche Anlage formell und materiell illegal ist. Bauliche Anlagen sind mit dem Erdboden verbunden und aus Bauprodukten hergestellt. Formelle Illegalität bedeutet, dass die bauliche Anlage nicht genehmigt wurde. Materielle Illegalität bedeutet, dass die bauliche Anlage nicht genehmigungsfähig ist. Die Verfügung bezieht sich auf die Illegalität der Lagerhalle (= bauliche Anlage). Diese wurde aber abgerissen. Es fehlt daher bereits an einer baulichen Anlage. Der Tatbestand zum Erlass der Bauabrissverfügung ist im konkreten Fall nicht erfüllt. Die Verfügung ist materiell rechtswidrig. Diese Ausführungen dienen dem systematischen Verständnis. In der Klausur müsstest Du die (offensichtliche) Rechtswidrigkeit nicht unbedingt oder nur ganz kurz feststellen und könntest direkt zur Frage der Nichtigkeit kommen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. U muss die Abrissverfügung in jedem Fall anfechten, damit diese ihre Wirkung verliert.

Nein, das trifft nicht zu!

Gegenstand von Widerspruch und Anfechtungsklage sind wirksame Verwaltungsakte. Gemäß § 43 Abs. 3 VwVfG ist ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam. Das bedeutet, dass ein nichtiger Verwaltungsakt (in der Regel) nicht Gegenstand von Widerspruch und Anfechtungsklage sein kann. Denn entfaltet ein Verwaltungsakt keine Rechtswirkung, kann er den Adressaten auch nicht belasten. Damit besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Ein nichtiger Verwaltungsakt entfaltet genauso viel Regelungswirkung, wie ein nicht existierender Verwaltungsakt, nämlich gar keine. U müsste die Abrissverfügung nicht anfechten, wenn diese nichtig wäre. Dann könnte U die Verfügung einfach „ignorieren“. In bestimmten Konstellationen kann es aus Gründen effektiven Rechtsschutzes geboten sein, die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts feststellen zu lassen (§ 43 Abs. 1 Var. 3 VwGO). Auch eine Anfechtungsklage zur Aufhebung eines nichtigen Verwaltungsakts ist nicht von vornherein unzulässig, weil der Rechtsschutzsuchende nicht immer sofort weiß, ob der ihn belastende Verwaltungsakt nichtig ist.

3. Die Abrissverfügung ist nichtig gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG.

Ja!

Gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, der aus tatsächlichen Gründen von niemanden ausgeführt werden kann. Der Begriff der „Ausführung“ ist in einem weiten Sinne zu verstehen, umfasst z.B. auch rein feststellende oder gestaltende Maßnahmen. Ist ein Verwaltungsakt tatsächlich objektiv nicht ausführbar, liegt es auf der Hand, dass die Regelungswirkung ins Leere geht und der Verwaltungsakt von Anfang an keinerlei Rechtswirkung entfalten soll. Kann nur der Adressat des Verwaltungsakts diesen nicht ausführen (= subjektive Unmöglichkeit), führt dies nicht zur Nichtigkeit. Auch die rechtliche Unmöglichkeit wird von der Vorschrift nicht umfasst. Diese kann nur nach § 44 Abs. 1 VwVfG zur Nichtigkeit des Verwaltungsakt führen. Die Lagerhalle, auf welche sich die Abrissverfügung bezieht, existiert nicht mehr. Es ist U tatsächlich unmöglich, genau dieses Haus abzureißen. Der Verwaltungsakt ist nichtig und muss von U nicht weiter beachtet werden. Eine Klausurkonstellation mit einem nach § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG nichtigen Verwaltungsakt ist kaum vorstellbar. Dieser Fall dient der didaktischen Erläuterung der Fallkonstellation. In einer mündlichen Prüfung könnte ein besonders neugieriger Prüfer aber danach fragen.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ASA

asanzseg

5.4.2023, 17:28:11

Die Fallfrage und die Subsumtion passen nicht richtig bzw sind unvollständig. In der Lösung wird auf die obj.

Unmöglichkeit

nach §44 II Nr.4 VwVfG hingewiesen als einzige zur Nichtigkeit führende

Unmöglichkeit

. In der Subsumtion sagt ihr, es ist dem U unmöglich die bauliche Anlage (mangels Vorhandensein) abzureisen. Ihr geht hier weder normtechnisch noch sagt ihr welche Art von

Unmöglichkeit

im konkreten Fall vorliegt. Um dann in den Hinweisen zu sagen dass ein solcher Fall der obj.

Unmöglichkeit

so gut wie nie vorkommen kann. Aber der liegt doch genau hier vor?? Nicht nur der U sondern alle können diese Maßnahme mangels Bauliche Anlage nicht durchführen.

EL

Elisa

11.1.2024, 18:00:35

Ihr schreibt, dass der Begriff „Ausführung“ im Kontext des § 44 II Nr. 4 VwVfG „im weitesten Sinne zu verstehen“ ist. Aber auch, dass weder die

subjektive Unmöglichkeit

noch die

rechtliche Unmöglichkeit

von der Vorschrift umfasst ist. Ich habe deshalb Probleme zu verstehen, inwiefern der Begriff im weitesten Sinne zu verstehen ist.

GEM

GemäßigtSozialdemokratischerKoalabär

7.8.2024, 12:36:03

So wie ich das verstehe, geht es beim Begriff der „Ausführung“ um die Anordnung, a

GEM

GemäßigtSozialdemokratischerKoalabär

7.8.2024, 12:42:29

So wie ich das verstehe, geht es beim Begriff der „Ausführung“ um die Handlung, die weit zu verstehen ist, also sowohl

aktives Tun

als auch Dulden, Unterlassen oder sogar eine Feststellung (Kopp/Ramsauer § 44 Rn. 41). Der Begriff der

Unmöglichkeit

ist hingegen eng zu verstehen, also nur die obj.

Unmöglichkeit

. Umstritten ist dies wohl für die Frage, ob die

Unmöglichkeit

auch Ausführungen erfasst, die nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand durchführbar sind (dagegen zB Stelkens/Bonk/Sachs § 44 Rn. 145, Schoch/Schneider § 44 Rn. 78; dafür zB Huck/Müller § 44 Rn. 16).

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

23.12.2024, 15:11:32

Hallo @Elisa, @[GemäßigtSozialdemokratischerKoalabär](2873) hat Deine Frage im Kern schon genau richtig beantwortet. Erfasst sind vom Begriff der "Ausführung" zB auch Verwaltungsakte, die streng nach dem Wortsinn gar nicht "ausgeführt" werden können, weil sie zB auf Duldung oder Unterlassen gerichtet oder rein feststellender Natur sind (BeckOK-VwVfG/Schemmer, 65. Ed, Stand 1.10.2024, § 44 Rn 51). Wir haben das jetzt in der Aufgabe auch kurz angedeutet. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

MAND

Mandy

23.12.2024, 14:39:21

Moin zusammen, nur ein kleiner Hinweis: die Abrissverfügung in Hamburg ist in § 76 I 1 HBauO geregelt. ich meine es wurde § 79 HBauO als beispielhafte Landesnorm genannt. LG


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen