Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Gläubiger- /Schuldnermehrheit

Entstehung der Gesamtschuld – Gesetzliche Anordnung 1

Entstehung der Gesamtschuld – Gesetzliche Anordnung 1

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Lawra (L) und Justus (J) sprühen gemeinschaftlich auf den Eingang ihrer Fakultät den Spruch "Geld hat man zu haben". Der Spruch hatte sie seit Beginn des Studiums an jedem Monatsende genervt. Universität U findet das weniger lustig und lässt das Graffiti für €1.000 beseitigen.

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Einordnung des Falls

Entstehung der Gesamtschuld – Gesetzliche Anordnung 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. U hat sowohl gegen L als auch J einen Anspruch auf Schadensersatz für die Beseitigung des Graffitis nach § 823 Abs. 1 BGB.

Ja!

Der haftungsbegründende Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) einen Verletzungserfolg (2) durch ein zurechenbares Verhalten des Schädigers, der dabei (3) rechtswidrig und (4) schuldhaft gehandelt haben muss.Durch das Besprühen des Eingangs haben L und J jeweils das Eigentum der U rechtswidrig und schuldhaft verletzt.
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2. Kommt es für die Haftung von L und J gegenüber U darauf an, wie viel des Graffitis sie jeweils gesprüht haben hatten?

Nein, das ist nicht der Fall!

Für einen Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB bedarf es auch eines kausalen Schadens. Begehen dabei mehrere gemeinschaftlich eine unerlaubte Handlung, so ist jeder Einzelne für den gesamten Schaden verantwortlich (§ 830 Abs. 1 S. 1 BGB).Das von L und J angebrachte Graffiti war kausal für die Reinigungskosten. Da L und J gemeinschaftlich handelten, sind sie für den gesamten Schaden verantwortlich (§ 830 Abs. 1 S. 1 BGB). Unerheblich ist, welche Tatbeiträge sie im Einzelnen erbracht haben.Bei einer Gruppe von Schädigern ist der Nachweis, wer für den Schaden im Einzelnen verantwortlich ist, regelmäßig unmöglich. Hier soll § 830 Abs. 1 BGB den Geschädigten entlasten.

3. Kann U von L Erstattung des gesamten Schadens (€1.000) verlangen?

Ja, in der Tat!

Begehen mehrere gemeinschaftlich eine unerlaubte Handlung so haften sie für den hieraus Schaden als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1 BGB). Der Geschädigte kann sich aussuchen, ob er die Leistung anteilig von den Schädigern verlangt, oder nur von einem Teil die volle Leistung verlangt (§ 421 S. 1 BGB)Da L und J gemeinsam gesprayt haben, haften sie nicht nur anteilig als Teilschuldner. Vielmehr müssen sie für den Schaden in vollem Umfang als Gesamtschuldner (§ 830 Abs. 1 S. 1, 840 Abs. 1 BGB) einstehen. U kann sich aussuchen, in welcher Höhe sie L und J jeweils in Anspruch nimmt. Insgesamt darf sie von beiden zusammen aber maximal €1000 verlangen.

4. Wenn U sich die Beseitigung komplett von L bezahlen lässt, hat J Glück gehabt und muss letztlich nichts zahlen.

Nein!

Im Verhältnis untereinander sind die Gesamtschuldner zu gleichen Teilen verpflichtet, die Schuld zu begleichen, soweit sich im Einzelfall nichts anderes ergibt (§ 426 Abs. 1 S. 1 BGB).Sofern L der U die kompletten Beseitigungskosten erstattet, hat sie gegen J einen Anspruch auf Erstattung der Hälfte der Kosten aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB.§ 426 Abs. 1 S. 1 BGB stellt eine eigene Anspruchsgrundlage des Gesamtschuldners dar. Darüber hinaus erlischt die Forderung des Gläubigers durch die Leistung eines Gesamtschuldners nicht, sondern geht auf den leistenden Gesamtschuldner nach § 426 Abs. 2 S. 1 BGB über (Legalzession). Hierzu später mehr.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AR

Artimes

27.6.2024, 16:53:13

Zitiert man optimalerweise bereits die jeweilige AGL i.V.m. § 840 I BGB oder bringt man § 840 I BGB erst beim Gesamtergebnis zum jeweiligen Anspruch?

LELEE

Leo Lee

29.6.2024, 07:21:49

Hallo Artimes, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage. Hierzu gibt es leider keine „richtige“ Antwort! Allerdings ist es bei 840 üblich, dass man die Norm nicht direkt in der Normenkette mitzitiert, da 840 nur die Gesamtschuld regelt und nicht unmittelbar einen Anspruch gegen eine bestimmte Person einräumt :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

paulmachtexamen

paulmachtexamen

21.7.2024, 23:25:22

Ich verstehe noch nicht so ganz das Zusammenspiel von 823 und 830, gerade weil 830 eine eigenständige AGL sein soll. Könntet ihr daher netterweise noch ein Prüfungsschema ergänzen, aus dem klar hervorgeht, wie und wo man 830 und 823 I prüft. Also prüft man zB den 830 im 823 oder genau andersherum oder doch ganz anders? Besten Dank! 🦊

Nora Mommsen

Nora Mommsen

23.7.2024, 15:08:43

Hallo paulmachtexamen, danke für deine Frage! Da wir uns hier im Schuldrecht AT befinden und die Kapitel auch nicht mit Exkursen überfrachten wollen, möchte ich dich an der Stelle einmal verweisen. Ausführliche Aufgaben zu den § 830 BGB findest du in einem eigenen Kapitel im Deliktsrecht "§§ 830, 840". Dort gehen wir ausführlich auf die genauen Unterschiede und Funktionen der Ansprüche ein. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

paulmachtexamen

paulmachtexamen

25.7.2024, 12:37:04

Hi Nora, besten Dank für deine Antwort. Auf diese Aufgabe bin ich indes nicht über das Schuldrecht, sondern über das Deliktsrecht - §§ 830,840 - gestoßen. Dort befindet sich dieselbe Aufgabe nochmal, denn mein Kommentar ist auch in der Deliktsrechtseinheit zu sehen. Meine Frage konnte ich durch die Deliktsrechtsfälle leider nicht klären. Ein Aufbauschena zu 830 habe ich im Deliktsrecht nicht finden können. Daher würde ich mich über eine Antwort sehr freuen! Beste Grüße Paul

Paulah

Paulah

27.7.2024, 17:28:43

Hallo Paul, vielleicht hilft dir der Aufsatz in der ZJS 2/2022 "Ein schockierender Abend" von Frau Prof. Gsell und ihrem Mitarbeiter Herrn Veicht weiter.

paulmachtexamen

paulmachtexamen

27.7.2024, 17:53:22

Hallo Paula(h), lieben Dank für Dein Hinweis! Welch Glück, dass die ZJS kostenlos ist 🗞️.

paulmachtexamen

paulmachtexamen

27.7.2024, 17:58:49

Da es sicherlich noch andere interessieren könnte, habe ich folgenden Hinweis aus der Zeitschrift kopiert: „Hinweis: § 830 Abs. 1 S. 2 BGB wird oftmals als eigenständige Anspruchsgrundlage eingeordnet, wird jedoch auch als Beweislastregel verstanden, wobei dem einzelnen Schädiger der Beweis des Gegenteils nach § 2

92 ZPO

offensteht. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage kann von den Bearbeitenden ebenso wenig verlangt werden wie (…), es kommt vielmehr darauf an, dass die Vorschrift des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB überhaupt gesehen wird.“ Der Aufbau scheint daher zumindest nicht von allzu großer Bedeutung zu sein. Die Autoren haben folgenden Weg gewählt: AGL 823 I iVm 830 I 2 und den 830 I 2 dann iRd Haftungsbegründenden Kausalität bei 823 I geprüft.


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