Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Rechtfertigungsgründe

Notwehr nach § 32 Abs. 1 StGB – nicht gegenwärtig (noch nicht unmittelbar bevorstehend)

Notwehr nach § 32 Abs. 1 StGB – nicht gegenwärtig (noch nicht unmittelbar bevorstehend)

16. Februar 2025

6 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T erfährt von einem bevorstehenden Überfall auf sein Bordell. Eine halbe Stunde vor dem Überfall begibt sich T zum 100 m entfernten Treffpunkt der Angreifer und vertreibt dieselben mit einer Flinte.

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Einordnung des Falls

Notwehr nach § 32 Abs. 1 StGB – nicht gegenwärtig (noch nicht unmittelbar bevorstehend)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den Tatbestand der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB erfüllt.

Ja!

Eine Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) erfordert den Einsatz von Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel, also das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf welches der Täter zumindest Einfluss zu haben vorgibt. T verfolgte mit seinem Auftritt den Zweck, die Angreifer einzuschüchtern und zum Verschwinden zu bewegen. Andernfalls würde er Gebrauch von seiner Waffe machen.
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2. Der Überfall auf das Bordell des T würde einen "Angriff" (§ 32 Abs. 2 StGB) darstellen.

Genau, so ist das!

Ein Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen. Darunter fallen strafrechtlich geschützte Rechtsgüter sowie sonstige rechtlich geschützte Interessen. Ein Überfall unter Gewaltanwendung verletzt eine Vielzahl geschützter Interessen, wie beispielsweise die Willensentschließungsfreiheit, das Vermögen, die Gesundheit oder das Hausrecht.

3. Der Angriff war auch bereits "gegenwärtig (§ 32 Abs. 2 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Angriff ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, bereits stattfindet oder noch fortdauert. Unmittelbar bevorstehend ist dabei ein Verhalten, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann. Der Überfall sollte erst eine halbe Stunde später stattfinden. Zudem befanden sich die Angreifer noch 100 m vom Bordell entfernt. Es fehlt ein ausreichender zeitlicher und örtlicher Zusammenhang für einen unmittelbar bevorstehenden Angriff.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

22.3.2021, 11:56:49

Würde Gegenwärtigkeit auch dann verneint, wenn das Bordell gänzlich abseits der Zivilisation gelegen wäre (Polizei und Nachbarn können nur innerhalb von 1h den Ort erreichen) und der einmal aufgewiegelte Mob auch sofort zum

Überfall

übergehen würde? Weniger starke aber gleichgeeignete Abwehrmittel ließen sich ja womöglich nur in diesem Vorstadium (Mob hat sich erst getroffen und ist noch nicht aufgewiegelt) realisieren...

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

2.5.2021, 15:52:53

So wie ich das mit dem "unmittelbar bevorstehend" verstehe, geht es vor allem darum, dass es dem sich Verteidigenden nicht zumutbar wäre, noch zu warten, weil er damit die Chance auf Abschwächung oder Abwendung des Erfolges aufgeben oder erheblich schwächen würde. Danach wäre er in deinem Fall wahrscheinlich dennoch gerechtfertigt. Man kann aber sicherlich andere Ansichten vertreten; bei Notwehr muss man was Überdehnungen des Wortlautes ja auch vorsichtig sein.

Sparvey Hecter (StGBae)

Sparvey Hecter (StGBae)

16.10.2024, 17:46:54

Gibt es für das Kriterium der „Gegenwärtigkeit“ eine Art Faustformel o.Ä.? Ich hätte die Gegenwärtigkeit hier auch verneint, habe mich aber dennoch gefragt, wie es aussehen würde, wenn sich der Mob z.B. zwei Häuser weiter zum Angriff bereit gemacht hätte. Nachtrag: Der Kommentar über mir beantwortet das Ganze mehr oder weniger.

ELA

Emil Langenberg

13.2.2025, 11:20:39

Ich denke tatsächlich nicht, dass der Angriff in dieser Situation bereits als "gegenwärtig" im Sinne der Notwehr verstanden werden kann. Bedenken wir mal die Konsequenz: Wenn bereits die bloße Versammlung 100 Meter entfernt mit dem Ziel, in einer halben Stunde wirklich "loszulegen" und das Bordell zu zerstören einen gegenwärtigen Angriff im Sinne des § 32 StGB darstellen würde und damit eine Notwehrlage begründest, dann heißt dass, dass auch die Notwehrhandlung nur am § 32 StGB zu messen ist. Das bedeutet im wesentlichen: keine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Wenn die "Angreifer" sich mit der Schrotflinte jetzt (anders als hier) nicht vertreiben lassen, sondern darauf beharren an Ort und Stelle zu verweilen, gleichzeitig aber auch keine weiteren aggressiven Handlungen vornehmen (!), dürfte der Verteidiger diesen Leuten jedenfalls in die Gliedmaßen schießen. Allein deshalb, weil die "Angreifer" sich dort (100 Meter entfernt vom Bordell und mit dem Plan, in einer halben Stunde anzugreifen) versammelt haben und sich weigern zu gehen. Die Tatsache, dass das Notwehrrecht keine Verhältnismäßigkeit kennt und dem Verteidiger damit extreme Maßnahmen gestattet hat als Kehrseite eben eine extreme zeitliche Beschränkung. Das ist, auch wenn das Bordell weit abgelegen liegt, klassische (unzulässige) Präventivnotwehr. Die Sache ist über den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB viel besser gelöst. Hier genügen für die Gegenwärtigkeit Dauergefahren. Auch die Versammlung der zukünftigen Angreifer genügt. Die Bedrohung mit der Schrotflinte lässt sich darüber rechtfertigen. Wenn der Mob daraufhin aggresiv wird und gegen den Verteidiger tätlich werden möchte liegt ein gegenwärtiger Angriff nach § 32 StGB vor und es darf geschossen werden. Wenn er sich auflöst ist das Ziel erreicht. Wenn er weder aggresiv tätlich wird noch sich auflöst verbleibt genug Zeit um auf die Polizei zu warten. Wenn ihr einen Fall kennt, in dem der BGH Gegenwärtigkeit nach § 32 StGB in einem Fall wie hier geschildert angenommen hat immer her damit. Generell wäre ich *sehr* vorsichtig damit, die Gegenwärtigkeit bei § 32 StGB weit zu verstehen. Für solche gegenwärtigen Gefahren existiert § 34 StGB.


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