Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Rechtfertigungsgründe
Notwehr nach § 32 Abs. 1 StGB – nicht gegenwärtig (noch nicht unmittelbar bevorstehend)
Notwehr nach § 32 Abs. 1 StGB – nicht gegenwärtig (noch nicht unmittelbar bevorstehend)
16. Februar 2025
6 Kommentare
4,7 ★ (24.986 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T erfährt von einem bevorstehenden Überfall auf sein Bordell. Eine halbe Stunde vor dem Überfall begibt sich T zum 100 m entfernten Treffpunkt der Angreifer und vertreibt dieselben mit einer Flinte.
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Einordnung des Falls
Notwehr nach § 32 Abs. 1 StGB – nicht gegenwärtig (noch nicht unmittelbar bevorstehend)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat den Tatbestand der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB erfüllt.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Überfall auf das Bordell des T würde einen "Angriff" (§ 32 Abs. 2 StGB) darstellen.
Genau, so ist das!
3. Der Angriff war auch bereits "gegenwärtig (§ 32 Abs. 2 StGB).
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
🦊LEXDEROGANS
22.3.2021, 11:56:49
Würde Gegenwärtigkeit auch dann verneint, wenn das Bordell gänzlich abseits der Zivilisation gelegen wäre (Polizei und Nachbarn können nur innerhalb von 1h den Ort erreichen) und der einmal aufgewiegelte Mob auch sofort zum
Überfallübergehen würde? Weniger starke aber gleichgeeignete Abwehrmittel ließen sich ja womöglich nur in diesem Vorstadium (Mob hat sich erst getroffen und ist noch nicht aufgewiegelt) realisieren...
ehemalige:r Nutzer:in
2.5.2021, 15:52:53
So wie ich das mit dem "unmittelbar bevorstehend" verstehe, geht es vor allem darum, dass es dem sich Verteidigenden nicht zumutbar wäre, noch zu warten, weil er damit die Chance auf Abschwächung oder Abwendung des Erfolges aufgeben oder erheblich schwächen würde. Danach wäre er in deinem Fall wahrscheinlich dennoch gerechtfertigt. Man kann aber sicherlich andere Ansichten vertreten; bei Notwehr muss man was Überdehnungen des Wortlautes ja auch vorsichtig sein.

Sparvey Hecter (StGBae)
16.10.2024, 17:46:54
Gibt es für das Kriterium der „Gegenwärtigkeit“ eine Art Faustformel o.Ä.? Ich hätte die Gegenwärtigkeit hier auch verneint, habe mich aber dennoch gefragt, wie es aussehen würde, wenn sich der Mob z.B. zwei Häuser weiter zum Angriff bereit gemacht hätte. Nachtrag: Der Kommentar über mir beantwortet das Ganze mehr oder weniger.
Emil Langenberg
13.2.2025, 11:20:39
Ich denke tatsächlich nicht, dass der Angriff in dieser Situation bereits als "gegenwärtig" im Sinne der Notwehr verstanden werden kann. Bedenken wir mal die Konsequenz: Wenn bereits die bloße Versammlung 100 Meter entfernt mit dem Ziel, in einer halben Stunde wirklich "loszulegen" und das Bordell zu zerstören einen gegenwärtigen Angriff im Sinne des § 32 StGB darstellen würde und damit eine Notwehrlage begründest, dann heißt dass, dass auch die Notwehrhandlung nur am § 32 StGB zu messen ist. Das bedeutet im wesentlichen: keine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Wenn die "Angreifer" sich mit der Schrotflinte jetzt (anders als hier) nicht vertreiben lassen, sondern darauf beharren an Ort und Stelle zu verweilen, gleichzeitig aber auch keine weiteren aggressiven Handlungen vornehmen (!), dürfte der Verteidiger diesen Leuten jedenfalls in die Gliedmaßen schießen. Allein deshalb, weil die "Angreifer" sich dort (100 Meter entfernt vom Bordell und mit dem Plan, in einer halben Stunde anzugreifen) versammelt haben und sich weigern zu gehen. Die Tatsache, dass das Notwehrrecht keine Verhältnismäßigkeit kennt und dem Verteidiger damit extreme Maßnahmen gestattet hat als Kehrseite eben eine extreme zeitliche Beschränkung. Das ist, auch wenn das Bordell weit abgelegen liegt, klassische (unzulässige) Präventivnotwehr. Die Sache ist über den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB viel besser gelöst. Hier genügen für die Gegenwärtigkeit Dauergefahren. Auch die Versammlung der zukünftigen Angreifer genügt. Die Bedrohung mit der Schrotflinte lässt sich darüber rechtfertigen. Wenn der Mob daraufhin aggresiv wird und gegen den Verteidiger tätlich werden möchte liegt ein gegenwärtiger Angriff nach § 32 StGB vor und es darf geschossen werden. Wenn er sich auflöst ist das Ziel erreicht. Wenn er weder aggresiv tätlich wird noch sich auflöst verbleibt genug Zeit um auf die Polizei zu warten. Wenn ihr einen Fall kennt, in dem der BGH Gegenwärtigkeit nach § 32 StGB in einem Fall wie hier geschildert angenommen hat immer her damit. Generell wäre ich *sehr* vorsichtig damit, die Gegenwärtigkeit bei § 32 StGB weit zu verstehen. Für solche gegenwärtigen Gefahren existiert § 34 StGB.