Ohne Anordnung des Vorsitzenden erfolgte Zustellung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Udo (U) wird in Anwesenheit am 01.07. verurteilt. U legt form- und fristgerecht Revision ein. Der Vorsitzende Richter verfügt die Zustellung des Urteils an Us empfangsberechtigten Verteidiger (V). Die Geschäftsstelle stellt das Urteil aber am 12.07. stattdessen an U zu. U leitet das Urteil erst am Dienstag, den 16.08., an V weiter.

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Einordnung des Falls

Ohne Anordnung des Vorsitzenden erfolgte Zustellung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Us Revisionsbegründungsfrist beginnt vorliegend am Tag nach Ablauf der Revisionseinlegungsfrist.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ist das Urteil wirksam innerhalb der Revisionseinlegungsfrist zugestellt worden, so beginnt die Revisionsbegründungsfrist am Tag nach Ablauf der Einlegungsfrist (§ 345 Abs. 1 S. 1 StPO). Geht das Urteil erst danach (wirksam) zu, so beginnt die Begründungsfrist mit Zustellung des Urteils zu laufen (§ 345 Abs. 1 S. 3 StPO).Ungeachtet der Wirksamkeit der Zustellung, erfolgte diese jedenfalls erst nach Ablauf der Einlegungsfrist, die hier am 08.07. um 24 Uhr endete (§§ 341 Abs. 1, 43 Abs. 1 StPO). Die Revisionsbegründungsfrist beginnt damit mit der wirksamen Zustellung des Urteils (§ 345 Abs. 1 S. 3 StPO).
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2. Sofern die Zustellung an U wirksam war, kann die Revision zum Zeitpunkt der Begutachtung (Di, 16.08) noch rechtzeitig begründet werden (§§ 341, 345 StPO).

Nein, das trifft nicht zu!

Bei Monatsfristen endet die Frist mit Ablauf des Tages des letzten Monats, der durch seine Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat (§ 43 Abs. 1 StPO).Sofern die Zustellung wirksam wäre, hätte die Revisionsbegründungsfrist am 12.07. begonnen und entsprechend am Freitag, den 12.08. geendet. Am 16.08 wäre die Revisionsbegründung damit verfristet.

3. Die Zustellung an den verteidigten Angeklagten ist stets unwirksam (§ 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Nein!

Anders als im Zivilprozess (vgl. § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO) besteht im Strafverfahren auch bei Vorhandensein eines zustellungsbevollmächtigten Verteidigers keine Pflicht des Gerichts Zustellungen nur an diesen vorzunehmen (vgl. § 145a Abs. 3 StPO).Die Zustellung an den Angeklagten führt also nicht stets dazu, dass diese nach § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO unwirksam ist.Wird trotz Empfangsvollmacht an den Angeklagten zugestellt, liegt nur ein Verstoß gegen RiStBV Nr. 154 vor. Dieser führt zwar nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung, kann aber einen Wiedereinsetzungsantrag begründen.

4. Da die Zustellung an U entgegen der Anordnung des Vorsitzenden erfolgte, ist sie unwirksam (§ 36 StPO).

Genau, so ist das!

Eine wirksame Zustellung der Entscheidung setzt voraus, dass sie auf Anordnung des Vorsitzenden erfolgt (§ 36 Abs. 1 S. 1 StPO). Ergeht sie ohne oder entgegen der entsprechenden Anweisung, so ist sie unwirksam.Der Vorsitzende hat nur die Zustellung an Us Verteidiger verfügt. Für die Zustellung an U fehlt es dagegen an einer entsprechenden Anordnung.Anders wäre dies, wenn die Zustellung sowohl an U als auch an seinen Verteidiger verfügt worden wäre. Dann wäre die an U vorgenommene Zustellung wirkam.

5. Da die Zustellung an U unwirksam war, begann die Revisionsbegründungsfrist nie zu laufen.

Nein, das trifft nicht zu!

Auch im Strafverfahren können Zustellungsmängel durch den tatsächlichen Zugang des zuzustellenden Dokuments beim richtigen Adressat geheilt werden (§§ 37 Abs. 1 StPO, 189 ZPO).Indem U dem V das Urteil am 16.08. übergab, hat er die zunächst mangelhafte Zustellung geheilt. Die Monatsfrist beginnt damit ab dem 16.08. zu laufen. Da sie jedenfalls nicht vor dem 16.09. abläuft, kann sie zum Begutachtungszeitpunkt (16.08.) noch problemlos gewahrt werden.
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