Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Geschäftsfähigkeit

§ 107 BGB, Auslegung der Einwilligung, Zeitpunkt des Widerrufs, Anfechtung

§ 107 BGB, Auslegung der Einwilligung, Zeitpunkt des Widerrufs, Anfechtung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der 16-jährige K hat eine Eigentumswohnung geerbt, die die Interessentin I für €400 monatlich mieten würde. Da K weiß, dass dies seinen Eltern E zu wenig ist, erzählt er ihnen, dass I €700 bezahlen würde. Nachdem die E bei I angerufen haben, um ihr Einverständnis mitzuteilen, sagt K der I zu.

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Einordnung des Falls

§ 107 BGB, Auslegung der Einwilligung, Zeitpunkt des Widerrufs, Anfechtung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die E haben gegenüber I wirksam in den Mietvertrag zwischen K und I zum Mietpreis von €400 eingewilligt.

Ja, in der Tat!

Ob eine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vorliegt, richtet sich nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB). Wenn der gesetzliche Vertreter in seiner Einwilligung die Vertragsbedingungen nicht selbst nennt, sind zwei Fälle zu unterscheiden: (1) Erklärt er die Einwilligung gegenüber demjenigen, der ihm die Vertragsbedingungen genannt hat, so gilt sie nur für genau dieses Rechtsgeschäft. (2) Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn er gegenüber dem Geschäftspartner die Einwilligung erklärt, welche auf falschen Informationen des Minderjährigen beruht. Nach h.M. darf der Geschäftspartner dann davon ausgehen, dass die Einwilligung für die mit dem Minderjährigen vereinbarten Konditionen gilt.So liegt es hier: K kann davon ausgehen, dass Es Einwilligung für die Miete über €400 gilt.
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2. Die E können ihre Einwilligungserklärung gegenüber der I widerrufen.

Nein!

Eine Einwilligung ist nur bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts widerruflich (§ 183 S. 1 BGB). Die I hat dem K das Angebot gemacht, dass sie seine Wohnung für € 400 mieten würde. Dieses Angebot hat K bereits angenommen. Seine Annahme war wirksam, da eine wirksame Einwilligung seiner Eltern vorlag.

3. Die E können ihre Einwilligungserklärung gegenüber der I anfechten.

Genau, so ist das!

Nach h.M. ist eine Einwilligungserklärung, die auf falschen Angaben des Minderjährigen beruht und gegenüber dem Geschäftspartner abgegeben wird, wirksam, aber anfechtbar. In diesem Fall liegt ein Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) vor. Die Anfechtungserklärung erfolgt gegenüber dem Geschäftspartner (§ 143 Abs. 3 S. 1 BGB). Sie muss ohne schuldhaftes Zögern erfolgen, nachdem der gesetzliche Vertreter von seinem Irrtum Kenntnis erlangt (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB). Die E unterlagen hinsichtlich der falschen Angaben des K einem Inhaltsirrtum.Sofern der Vertragspartner die Täuschung kannte oder kennen musste, liegt bereits keine wirksame Genehmigung vor.

4. Wenn die E anfechten, wird der Mietvertrag zwischen K und I dadurch unwirksam.

Ja, in der Tat!

Durch die Anfechtung der Einwilligung wird der vom Minderjährigen geschlossene Vertrag dadurch rückwirkend schwebend unwirksam. Er kann grundsätzlich gemäß § 108 BGB wieder genehmigt werden. Bei Auslegung der Anfechtungserklärung kann man jedoch auch zu dem Ergebnis kommen, dass der gesetzliche Vertreter nicht nur die Einwilligung anfechten, sondern auch die Genehmigung verweigern will. In diesem Fall wird der Vertrag endgültig unwirksam.Davon ist hier auszugehen: Wenn die E ihre Einwilligungserklärung anfechten, lässt sich daraus auch entnehmen, dass sie ihre Genehmigung des Geschäfts verweigern.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ANY

ANY

21.12.2021, 22:45:39

Wie ist bei der Frage zur Anfechtung im Maßstab der letzte Satz betreffend Täuschung des Minderjährigen zu verstehen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.12.2021, 11:46:39

Hallo Any, der Hinweistext war hier etwas missverständlich. Das haben wir nun präzisiert. Wird der gesetzliche Vertreter durch den Minderjährigen getäuscht und erklärt er die Einwilligung gegenüber dem Vertragspartner, so komen zwei Konstellationen in Betracht: a) der Vertragspartner weiß davon oder hätte es wissen müssen und b) der Geschäftspartner kann nicht erkennen, dass der Vertreter von falschen Konditionen ausgeht. Im ersten Fall wird vertreten, dass schon gar keine wirksame Genehmigung vorliegt. Denn bei Auslegung der Erklärung weiß der Vertragspartner (bzw. hätte es wissen müssen), dass nicht das konkrete Geschäft genehmigt werden sollte. Im zweiten Fall ist dagegen die Anfechtung nach § 119 abs. 1 BGB möglich (vgl. Duden, in: BeckOGK, 1.4.2021, § 108 RdNr. 31 f). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

25.4.2022, 08:36:20

Könnte hier auch eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung in Betracht kommen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.4.2022, 18:08:08

Hallo QuiGonTIm, das scheidet hier eher aus. Denn I selbst hat die E nicht getäuscht und ihr ist Ks Handeln auch nicht zurechenbar. Eine arglistige Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB scheidet damit aus. Mangels Kenntnis/Kennenmüssen der I fehlt es auch an den Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 BGB. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

SER

Seriouz0G

12.5.2023, 21:10:44

Wie sieht es denn mit Schadensersatzansprüchen der I aus? Hätte sie Ansprüche gegen den Minderjährigen oder gegen die Eltern auf den Vertrauensschaden aus § 122 oder aus cic? Bin mir ehrlich gesagt unschlüssig, auf wen in diesem Fall abzustellen ist? Einerseits täuscht ja der Minderjährige, andererseits fechten die Eltern an.

Carl Wagner

Carl Wagner

14.5.2023, 11:20:49

Vielen Dank für deine Frage Seriouz0G! (A) Zu § 122 I BGB: Dafür müsste I zunächst ein Schaden entstanden sein. Falls I für eine vergleichbare Wohnung ein noch günstigeres Angebot gefunden hätte (zB 350 €/Monat) und sie dieses wegen des Vertragschlusses ausgeschlagen hat, dann könnte dies einen Vertrauensschaden begründen, gem. § 122 I BGB (vgl. MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 122 Rn. 17; OLG Hamm, NJW 2004, 2601, 2602). Entscheidend wäre dann der Ausschluss des § 122 II BGB. Fahrlässige Unkenntnis reicht bereits aus. Dafür ist sogar ausreichend, dass ein vernünftiger Empfänger der WE nach den konkreten Umständen sich zu einer Rückfrage beim Erklärenden veranlasst gesehen hätte (BeckOK BGB/Wendtland, 65. Ed. 1.2.2023, BGB § 122 Rn. 10). Das wäre hier der Knackpunkt: War das Angebot so günstig, dass I noch einmal hätte nachfragen müssen oder nicht? Oder wollten die E einen ungerechtfertigt hohen Preis und die 400 € waren der eigentliche normale Preis? Je nachdem wie der Sachverhalt gestrickt ist, könnte I SE gegen die Eltern wegen eines konkret günstigeren Mietangebots geltend machen, oder nicht. (B) Zu §§ 280 I, 241 II, 311 II Nr. 2 BGB: (1) Das Verhältnis von § 122 I BGB und der cic ist streitig, aber nach hM kann die cic neben § 122 I BGB angewendet werden (BeckOK BGB/Wendtland, 65. Ed. 1.2.2023, BGB § 122 Rn. 12). Grundsätzlich würde ein MJ nicht aus cic haften, es sei denn die Eltern haben dem Vertrag zugestimmt (BeckOK BGB/Sutschet, 65. Ed. 1.2.2023, BGB § 311 Rn. 41). Das ist hier der Fall, so dass ein SE aus cic eröffnet ist. Die PV könnte darin liegen, dass K die I nicht über den wahren Willen der Eltern aufgeklärt hat bzw. (ggf. konkludent) darüber täuschte, dass diese einverstanden seien würden, die Wohnung zu 400 € zu vermieten. Das Vertretenmüssen wird vermutet, § 280 I 2 BGB, liegt hier aber ohnehin nachweislich vorsätzlich vor. Dann muss I noch einen Schaden geltend machen. Dieser reicht weiter als

§ 122 BGB

, weil er auf das

Erfüllungsinteresse

gerichtet ist (BeckOK BGB/Wendtland, 65. Ed. 1.2.2023, BGB § 122 Rn. 12). --- Entscheidend ist, ob der Preis von 400 € normal oder "viel zu günstig" war. Je nachdem hätte I nachfragen müssen, so dass

§ 122 BGB

ggf. scheitert und auch § 280 I BGB ggf. scheitert, weil I spätestens bei Erklärung des Einverständnisses der Eltern hätte nachfragen müssen, um so die Täuschung des MJ abzuwenden. (Für den Fall des zu günstigen Angebots: Entweder schon keine Aufklärungspflicht seitens des K, sondern Nachfragepflicht der I bei den E oder auf Ebene des Mitverschuldens Kürzung um 100%). Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team

RAP

Raphaeljura

19.6.2023, 09:38:18

Wenn man die Anfechtung so auslegen würde, dass nur die Einwilligung angefochten wird, dann würde es schwebend unwirksam werden und die Eltern hätten zwei Wochen Zeit es zu genehmigen. Und danach würde es automatisch unwirksam werden. Gibt es Fälle bei denen die Eltern explizit das so angestrebt haben? Letztlich wäre der Vorteil sich Zeit zu verschaffen, da der Vertragspartner solange gebunden ist.

PET

Petrus

22.12.2023, 18:19:35

Was meint „Vornahme des Rechtsgeschäfts“ bei § 183 S. 1 BGB? Meint das nur den Vertragsschluss oder muss dafür der Vertrag auch bereits dinglich vollzogen worden sein?

LELEE

Leo Lee

25.12.2023, 11:43:16

Hallo Petrus, vielen Dank für die sehr gute Frage! Bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts bedeutet, dass der jeweilige rechtsgeschäftliche Tatbestand (worin eben eingewilligt wurde) vollständig verwirklicht wird. Dies dürfte die Abgabe der entsprechenden willenserklärung sein (bei Verpflichtung auf Schließung des Vertrags und bei Verfügung auf die dingliche Einigung). Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Bayreuther § 183 Rn. 12 sehr empfehlen :). Besinnliche Feiertage und einen guten Rutsch wünscht dir das Jurafuchsteam!


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