§ 107 BGB, der Minderjährige legt eine gefälschte Einwilligungserklärung vor + guter Glaube an Volljährigkeit


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Die 17-jährige K möchte eine Vespa bei Verkäufer V kaufen. Da Ks Eltern damit nicht einverstanden sind, fälscht sie eine Einverständniserklärung und legt diese V vor. V zeigt ihr eine rote Vespa für € 1.500, die K sehr gut gefällt. Laut V müsste K erst bei Lieferung bezahlen.

Einordnung des Falls

§ 107 BGB, der Minderjährige legt eine gefälschte Einwilligungserklärung vor + guter Glaube an Volljährigkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Mit der gefälschten Einverständniserklärung kann K eine wirksame Willenserklärung auf Abschluss eines Kaufvertrags mit V abgeben.

Nein!

Der Minderjährige bedarf zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters, § 107 BGB. Die Einwilligung muss tatsächlich erteilt worden sein. Ist die Einwilligungserklärung gefälscht, führt dies nicht dazu, dass das Rechtsgeschäft wirksam ist. Der Kaufvertrag über die Vespa ist für K nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, sodass sie der Einwilligung ihrer Eltern bedarf. K hat die Einwilligung jedoch nur gefälscht, die Eltern haben sie nicht tatsächlich erteilt.

2. V hat vertragliche Ansprüche gegen K.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der gute Glaube des Geschäftspartners an die Volljährigkeit wird nicht geschützt. Genauso verhält es sich mit dem guten Glauben an die Echtheit oder das Vorliegen der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters. Zum Schutz des Minderjährigen bestehen in diesem Fall keinerlei vertragliche Ansprüche des Geschäftspartners gegen den Minderjährigen. Mangels wirksamer Willenserklärung der K sowie zu seinem Schutz sind Ansprüche des V gegen K hier nicht begründet worden.

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ri

ri

7.2.2022, 16:39:52

Auf 133/157 BGB kann man hier nicht abstellen, weil schon keine Willenserklärung der Eltern vorliegt?

VIC

Victor

7.2.2022, 17:37:35

Genau. Zudem wäre hier der Wille der Eltern ja sehr eindeutig.

QUIG

QuiGonTim

25.4.2022, 08:42:07

Welche sonstigen Ansprüche hätte V denn gegen K? Kämen solche aus cic oder deiktische Ansprüche in Betracht?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.4.2022, 19:00:37

Hallo QuiGonTIm, eine c.i.c.-Haftung wäre mit dem Rechtsgedanken der §§ 104 ff. BGB nicht vereinbar, denn diese sollen den Minderjährigen ja gerade von einer (quasi-)vertraglichen Haftung freistellen. In der Tat bliebe insoweit allein ein deliktischer Schadensersatz möglich. Die hierfür erforderliche Einsichtsfähigkeit (§ 828 BGB) dürfte man bei einem 17-jährigen Bejahen. Allerdings dürfte es gerade im Hinblick auf § 823 Abs. 1 BGB an einer Rechtsgutsverletzung fehlen. Damit schiede auch ein solcher Anspruch aus. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CR7

CR7

7.11.2022, 13:30:52

Ich verstehe hier nicht so ganz recht. Warum kann in dem Fall, wo der Erwerber einer Sache in seinem guten Glauben geschützt ist, vom minderjährigen wirksam erwerben und damit Eigentümer werden, wenn der gute Glauben an die Volljährigkeit nicht geschützt ist?

PH

Philipp

8.11.2022, 19:32:12

Ich glaube, du vertauschst hier zwei Sachen. Ist der Minderjährige Eigentümer einer Sache, ist die

Übereignung

gem. § 929 S. 1 BGB rechtlich nicht lediglich vorteilhaft, da er sein Eigentum verliert. Es fehlt damit schon am ersten Prüfungspunkt, nämlich an einer wirksamen Einigung, wenn keine Einwilligung oder Genehmigung erteilt wird. Handelt es sich um eine Sache, die dem Minderjährigen gar nicht gehört, stellt die

Übereignung

ein rechtlich neutrales Geschäft dar, weil der Minderjährige weder etwas „gewinnt" noch "verliert". Nach h.M. kann ein Minderjähriger rechtlich neutrale Geschäfte zustimmungsfrei vornehmen, sodass es für den Eigentumserwerb auf den guten Glauben des Erwerbers ankommt, soweit die Sache nicht abhandengekommen ist. (Es wird noch vertreten, dass der Gutgläubige Erwerb an dem Grund scheitere, dass der Erwerber nicht besser stehen darf, als er bei dem Zutreffen seiner Vorstellungswelt stünde: wäre der Minderjährige tatsächlich Eigentümer gewesen, wäre der Eigentumserwerb an einer wirksamen Einigung gescheitert, soweit weder Einwilligung noch Genehmigung erteilt werden, da es nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist, wenn der Minderjährige i.R.v. § 929 S. 1 BGB sein Eigentum verliert. Aus diesem Grund soll der Erwerb trotz Gutgläubigkeit ausnahmsweise nicht möglich sein).

Johannes Nebe

Johannes Nebe

1.8.2023, 07:37:57

Wenn ich diesen Fall mit dem vorangehenden Fall mit der vermieteten Eigentumswohnung vergleiche, erscheint mir die Grenze zwischen beiden sehr knifflig. Auf eine unter falschen Voraussetzungen abgegebene Einwilligung darf der Vertragspartner also vertrauen, auf eine gefälschte Einwilligung aber nicht. Mit kleinen Variationen wäre die Grenze noch schwieriger zu ziehen. Für die Vermietung: Was wäre gewesen, wenn bei der vermieteten Wohnung gar nicht die Eltern am Telephon gewesen wären, sondern nur jemand mit einer erwachsenen klingenden Stimme? Für die Vespa: Wie wäre es mit dem Vertrauen auf die Volljährigkeit, wenn dem Vertragspartner ein gefälschter Personalausweis vorgelegt wird?

LELEE

Leo Lee

2.8.2023, 15:47:16

Hallo Johannes Nebe, es ist tatsächlich nicht immer einfach, eine klare Grenze zu ziehen, da es bei Jura eben immer auf den Einzelfall ankommt. Ein entscheidender Unterschied liegt jedoch darin, dass im Fall der vermieteten Eigentumswohnung die Eltern auch tatsächlich eine Einwilligung erteilt hatten, nur unter einem Irrtum (anders als in diesem Fall, wo die Eltern nie eine solche Einwilligung erteilt haben). Mithin ist der V in diesem Fall weniger schutzwürdig, da er nicht "blind" darauf vertrauen konnte, dass die Einwilligung schon von den Eltern stammen wird. Zu deiner hypothetischen Konstellation beim Vermietungsfall: Wenn die Eltern überhaupt "nichts" mit dieser Einwilligung zu tun hatten, dann müsste an konsequenterweise ebenfalls wie im vorliegenden Fall die Einwilligung ablehnen zwecks Minderjährigenschutzes. Zu deiner hypothetischen Konstellation beim Vespafall: Wenn ein gefälschter Ausweis vorgelegt wird, vertraut zwar der V auf die Volljährigkeit; jedoch ersetzt dieses Vertrauen eben nicht eine Einwilligung der Eltern, die immer tatsächlich (s.o.) vorliegen muss! Summa summarum: Der objektive Empfängerhorizont hilft nur bei der Auslegung des Vertragsinhalts, wenn tatsächlich eine Einigung erzielt wurde - eben weil die Eltern z.B. eingewilligt haben. Allerdings ersetzt dieser niemals eine Einwilligung von gesetzlichen Vertretern. Schließlich hat er auch die Möglichkeit, die Eltern zur Genehmigung aufzurufen, sobald er die Wahrheit erfährt. Hierzu kann ich dir die Lektüre von Brox/Walker - BGB AT, 45. Anlage § 12 Rn. 24 ff. empfehlen :)! Liebe Grüße Leo @Lukas Mengestu

Johannes Nebe

Johannes Nebe

2.8.2023, 15:50:33

Herzlichen Dank, Leo, für die hilfreiche Vertiefung!

LELEE

Leo Lee

2.8.2023, 16:39:19

Sehr gerne, Johannes!

Law🦥

Law🦥

9.2.2024, 22:49:21

Ich verstehe, glaube ich, nicht, warum die gefälschte Erklärung von K ggü V keine wirksame WE darstellt. Klar, wir wissen, dass die Erklärung gefälscht ist, aber doch V nicht alleine durch Vorlage der Erklärung? Ist er in seinen Ansprüchen nicht geschützt, weil er V glaubt, dass die WE der Eltern echt ist? Das ist sicher eine Basicfrage- aber darauf baut ja jede Frage des Falls auf :)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.2.2024, 13:59:48

Hallo law, danke für deine Frage! Ich kann dein Störgefühl nachvollziehen. Der Verkehrsschutz und der gute Glaube des Rechtsverkehrs genießen einen hohen Status in unserer Rechtsordnung. In dieser Konstellation spielen die Besonderheiten des Minderjährigenrechts mit rein. Der Minderjährige ist besonders schützenswert und schutzbedürftig. Daher "trumpft" der Minderjährigenschutz oftmals andere Interessen in der Abwägung. Es ist wichtig, den Minderjährigenschutz bei solchen Fällen stets im Hinterkopf zu behalten und bei Abwägungen entsprechend zu berücksichtigen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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