Klagebefugnis: Anspruch nicht auf gebundene Entscheidung, sondern bloß auf ermessensfehlerfreie Bescheidung, weil Ermessen der Behörde eingeräumt


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A möchte im Geltungsbereich eines Bebauungsplans eine Unterkunft für Asylsuchende errichten. Das Vorhaben widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans. Die Behörde (B) weist die beantragte Baugenehmigung deswegen ab. A meint, dass von den Festsetzungen abgewichen werden kann.

Einordnung des Falls

Klagebefugnis: Anspruch nicht auf gebundene Entscheidung, sondern bloß auf ermessensfehlerfreie Bescheidung, weil Ermessen der Behörde eingeräumt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Statthaft ist die Verpflichtungsklage. A ist klagebefugt, wenn sie die Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung darlegen kann.

Genau, so ist das!

Die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) ist statthaft, wenn das Klagebegehren des Klägers gerichtet ist auf den Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts. Klagebefugt ist nur, wer die Möglichkeit einer Verletzung von eigenen Rechten geltend machen kann (§ 42 Abs. 2 VwGO). A begehrt die Genehmigung ihres Bauvorhabens (= Erlass eines Verwaltungsakts). A muss darlegen, dass sie durch Bs Versagung in eigenen Rechten verletzt ist.

2. A ist klagebefugt, wenn sie einen möglichen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung geltend machen kann.

Ja, in der Tat!

Im Rahmen der Verpflichtungsklage ist der Kläger klagebefugt, wenn möglicherweise ein Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts besteht. A müsste geltend machen können, dass sie einen Anspruch auf Erlass der Baugenehmigung hat. Ein gängiger Flüchtigkeitsfehler ist es, im Rahmen der Verpflichtungsklage auf die Adressatentheorie abzustellen. Diese darf nur angesprochen werden, wenn es um die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsakts geht!

3. B hätte die Baugenehmigung erlassen müssen. A hat einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung.

Nein!

Zwar ist die Erteilung der Baugenehmigung nach den Normen der landesrechtlichen Bauordnungen eine gebundene Entscheidung. Danach hat der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Dieser Anspruch besteht allerdings nur, wenn das Vorhaben mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Zu diesen Vorschriften zählt insbesondere das BauGB. Ein Bauvorhaben im Bereich eines Bebauungsplans ist nur rechtmäßig, wenn es den Festsetzungen des Plans entspricht (§ 30 Abs. 1 BauGB). As Vorhaben entspricht nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans. Sie hat keinen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung.

4. Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann die Behörde bei der Erteilung der Baugenehmigung Befreiungen von den Festsetzungen erteilen. Die Vorschrift eröffnet eine Ermessensentscheidung.

Genau, so ist das!

Ermessensentscheidungen sind von den gebundenen Entscheidungen zu unterscheiden. Bei gebundenen Entscheidungen ist die beantragte Leistung zu gewähren bzw. der beantragte Verwaltungsakt zu erlassen, wenn die normierten Voraussetzungen vorliegen. Die Behörde hat keinen Entscheidungsspielraum. Bei Ermessensentscheidungen kann die Behörde bestimmte Handlungen vornehmen oder eben nicht. Sie hat einen gesetzlich eingeräumten Entscheidungsspielraum. Nach § 31 Abs. 2 BauGB "kann" von den Festsetzungen des Bebauungsplans abgesehen werden. Die Behörde hat Ermessen bei der Entscheidung. Eingeräumtes Ermessen sorgt dafür, dass die Verwaltung flexibler handeln kann.

5. A kann geltend machen, möglicherweise einen möglichen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der B zu haben. Sie ist klagebefugt.

Ja, in der Tat!

Liegt nicht eine gebundene Entscheidung vor, sondern eine Ermessensentscheidung, ändern sich die Voraussetzungen der Klagebefugnis im Rahmen der Verpflichtungsklage (minimal). Der Kläger muss nicht einen möglichen Anspruch auf Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts geltend machen, sondern ist klagebefugt, wenn der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann vor allem zur Unterbringung von Asylbegehrenden erteilt werden (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB). Es ist nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass B ihr Ermessen dadurch falsch gebraucht hat, dass sie keine Befreiung erteilt hat.

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TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

22.7.2021, 10:11:51

Hier sollte m.E. sauber unterschieden werden zwischen Ausnahme (31 I) und Befreiung (31 II). Falls der Begriff der Ausnahme hier teils als untechnischer Oberbegriff gemeint war, schlage ich stattdessen "Abweichung" o.ä. vor. Außerdem ist, wenn ich mich nicht täusche, umstritten ob 31 I Ermessen einräumt oder nicht (trotz des eigentlich klaren Wortlauts "kann"). Zumindest der BayVGH sieht hier eine gebundene Entscheidung für ausdrücklich in der BauNVO normierte Ausnahmen. 🤷

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.7.2021, 11:37:36

Hallo TeamRahad, vielen Dank für den Hinweis. Die Terminologie war hier tatsächlich etwas unpräzise, was wir nunmher angepasst haben. Im Hinblick auf die Frage, ob § 31 I BauGB Ermessen einräumt, würde ich mit der Bejahung einer "gebundenen" Entscheidung etwas aufpassen. Richtig ist, dass das der Behörde grundsätzlich eingeräumte Ermessen auf Null reduziert sein kann, wenn keine städtebaulichen Gründe gegen die Zulassung des Vorhabens sprechen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 19.11.2003 - 5 S 2726/02 = DÖV 2004, 306). Im Ergebnis handelt es sich damit ausnahmsweise um eine gebundene Entscheidung. Grundsätzlich räumt die Norm aber Ermessen ein und die Behörde hat insbesondere das Regel-Ausnahmeverhältnis im Hinblick auf das entsprechende Baugebiet zu beachten. Allein der Umstand, dass ein Vorhaben eine der in der BauNVO normierte Ausnahme darstellt, führt deswegen für sich genommen noch nicht dazu, dass die Behörde die Ausnahmegenehmigung erteilen muss (andernfalls könnte dies dazu führen, dass zB in einem allgmeinen Wohngebiet 50 Tankstellen (vgl. § 4 Abs. 3 Nr. 5 BauNVO) oder 100 Gartenbaubetriebe (vgl. § 4 Abs. 3 Nr. 4 BauNVO) zuzulassen wären, was sich ersichtlich nicht mit dem Gebietscharakter vertragen würde). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Dogu

Dogu

13.7.2024, 12:17:21

Wäre der Kläger hier auch klagebefugt, wenn er lediglich geltend macht, der Bauplan mit den entgegenstehenden Festsetzungen sei rechtswidrig und daher nichtig und ein Anspruch auf Baugenehmigung bestünde im entsprechenden unbeplanten Bereich oder ist er insoweit auf die konkrete Normenkontrolle zu verweisen?


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