Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Fahrrad-Fall (Verschulden Minderjähriger im Straßenverkehr)

Fahrrad-Fall (Verschulden Minderjähriger im Straßenverkehr)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der achtjährige K schiebt sein Fahrrad auf dem Bürgersteig und läuft so seinen Freunden ohne Rädern hinterher. Dabei lässt er das Rad immer wieder los und neben sich her rollen. Auch als Autofahrerin A auf gleicher Höhe mit ihm ist, lässt K unvermittelt das Fahrrad los. Dieses rollt auf die Straße und beschädigt das Auto der A.

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Einordnung des Falls

Fahrrad-Fall (Verschulden Minderjähriger im Straßenverkehr)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat eine kausale und rechtswidrige Verletzungshandlung am Eigentum der A begangen.

Ja!

Durch das Loslassen des Fahrrads ist dieses auf die Straße gerollt und hat das Fahrzeug als Eigentum der A beschädigt. Dieses Verhalten ist eine adäquat-kausale und zurechenbare Verletzungshandlung. Weiterhin wird die Rechtswidrigkeit des Verhaltens indiziert und es sind keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich.
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2. Grundsätzlich haben Achtjährige die von ihnen verursachten Schäden im Straßenverkehr zu vertreten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Beurteilung der Verschuldensfähigkeit von Minderjährigen richtet sich nach einem abgestuften System (§ 828 BGB). Danach haftet ein Schädiger, der das 7., aber nicht das 10. Lebensjahr vollendet hat, nicht für den von ihm verursachten Sachen bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug (§ 828 Abs. 2 BGB). Diese Regelung basiert auf dem Gedanken, dass sich Kinder in der Entwicklung im Straßenverkehr typischerweise in Überforderungssituationen befinden, da sie Geschwindigkeiten und Gefahren falsch einschätzen.

3. Von diesem Grundsatz ist eine Ausnahme zu machen, wenn gerade keine verkehrstypische Überforderungssituation vorliegt.

Ja, in der Tat!

Grundsätzlich ist eine teleologische Reduktion des Wortlauts der Vorschrift in den Fällen anzudenken, in denen sich keine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisieren. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Kind mit einem Fahrrad gegen ein ordnungsgemäß geparktes Fahrzeug gestoßen ist und dieses beschädigt hat.

4. K hat den Schaden an dem Fahrzeug zu verschulden.

Nein!

BGH: Auch in diesem Fall habe sich gerade eine Gefahr verwirklicht, die daraus herrühre, dass Kinder in dem entsprechenden Alter wegen ihres Lauf- und Erprobungsdrangs und ihres gruppendynamischen Verhaltens oft zu einem verkehrsgerechten Verhalten nicht in der Lage seien. Dabei komme es nicht darauf an, ob sich die Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat. Es reiche aus, dass die Möglichkeit bestand, dass K nicht in der Lage war, Geschwindigkeit und Entfernung des Autos einzuschätzen und er deshalb nicht damit rechnete, dass das Fahrrad gerade zu der Zeit auf die Fahrbahn geraten könnte, als die A ihn passierte (RdNr. 10).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EVA

evanici

11.9.2023, 14:09:54

Was wäre denn dann überhaupt ein Beispiel für keine Überforderungssituation? Bzw. nach welchen Maßstäben macht man das fest?

NI

Nilson2503

9.10.2023, 17:22:04

Ich meine ein klassisches Beispiel ist eine Kollision mit stehenden, nicht am fließenden Verkehr teilnehmenden Kfz. Generell kann man sich Fragen, ob der konkrete Schädigungsgang teilweise wegen der typischen Dynamik und Schnelllebigkeit des Straßenverkehrs entstanden ist.


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