Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Internationales Strafrecht
Meilenstein im Völkerrecht: Strafverfolgung nach Weltrechtsprinzip für Staatsfolter in Syrien
Meilenstein im Völkerrecht: Strafverfolgung nach Weltrechtsprinzip für Staatsfolter in Syrien
9. Mai 2023
8 Kommentare
4,6 ★ (22.179 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
2011 nimmt E, Mitarbeiter des syrischen Geheimdiensts, Demonstranten gegen das syrische Assad-Regime fest. E bringt sie in ein für systematische Folter berüchtigtes Gefängnis. Die dort drohenden Misshandlungen nimmt E billigend in Kauf. In Deutschland wird E verhaftet und angeklagt.
Diesen Fall lösen 75,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Das Urteil des OLG Koblenz im ersten Strafprozess wegen staatlicher Folter in Syrien wurde von Politikern, Menschenrechtsorganisationen und Opfern des Bürgerkriegs als "Meilenstein im Völkerrecht" und "Signal im Kampf gegen Straflosigkeit" gefeiert. Anwar R., ein syrischer Staatsbürger, wurde wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt, darunter die Verantwortung für die Folter von mindestens 4.000 Menschen in einem Gefängnis des General Intelligence Directorate in Damaskus. Das Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit im internationalen Strafrecht ermöglicht die Verfolgung möglicher Kriegsverbrechen, die von Ausländern in anderen Ländern begangen wurden.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Soweit ein hinreichender Anknüpfungspunkt zum Inland besteht, ist die Ausübung deutscher Strafgewalt über Straftaten mit Auslandsbezug völkerrechtlich zulässiG?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Wenn die Tat nicht in Deutschland verübt und der Täter kein deutscher Staatsbürger ist, darf ausnahmsweise die deutsche Strafgewalt auch ausgeübt werden?
Ja, in der Tat!
3. Erlaubt das Weltrechtsprinzip die Aburteilung ausländischer Straftaten nur bei hinreichendem Bezug zum Inland?
Nein!
4. Beruhen die Strafverfolgung des E durch deutsche Behörden - hier den Generalbundesanwalt - und die Anklage vor deutschen Gerichten - hier dem OLG Koblenz - auf dem Weltrechtsprinzip?
Genau, so ist das!
5. Steht die Anklage des E vor einem deutschen Gericht - hier dem örtlich und sachlich zuständigen OLG Koblenz - in Konflikt zu der Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Steht einer Strafverfolgung des E bei Anwendung der Regeln des Völkerrechts das Verfahrenshindernis der Immunität entgegen?
Nein!
7. Leistete E Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit?
Genau, so ist das!
8. Befand sich E angesichts der Einbindung in die hierarchische, keine Abweichung duldende Befehlsstruktur des syrischen Geheimdiensts in einem Nötigungsnotstand?
Nein, das trifft nicht zu!
9. Macht E bei seiner polizeilichen Vernehmung Aussagen, die zur Anklage von A, des Vernehmungschefs des berüchtigten Gefängnisses, führen. Hierin liegt ein Milderungsgrund nach § 46b Abs. 1 Nr. 1, S. 3 StGB?
Ja!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

lucylawless
2.3.2021, 17:48:27
Ihr seid ja mal wieder aktueller als die Polizei erlaubt :)

Wendelin Neubert
2.3.2021, 18:21:27
Danke dir, lucylawless! Ihr motiviert uns, Euch die wichtigen Entscheidungen unserer Zeit so schnell wie möglich zur Verfügung zu stellen! More to come 😍🚀🍀⚖️🦊! Viele Grüße - Wendelin, für das Jurafuchs-Team

Wendelin Neubert
14.1.2022, 18:39:39
Hallo @[lucylawless](135608)! Wir haben am Ende dieses Falles nun auch noch einen Hinweis auf die Entscheidung des OLG Koblenz von dieser Woche (13.01.2022 - 1 StE 9/19) aufgenommen, in der das OLG den Hauptangeklagten zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt hat. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
Dogu
4.10.2024, 15:22:30
"Das gilt unstrittig für staatliche Hoheitsträger. Im Einzelnen strittig ist die Ausdehnung der Immunität auf einfache Staatsbedienstete. " Der Teil ist für mich als völkerrechtlicher Laie unverständlich. Jeder Beamter eines Geheimdienstes ist doch gleichzeitig staatlicher Hoheitsträger? Oder ist damit das Staatsoberhaupt gemeint? Dann wäre die deutsche Formulierung missverständlich.

Major Tom(as)
28.1.2025, 11:30:33
Das ist hier wirklich etwas unverständlich. Die völkerrechtliche Immunität folgt nämlich für verschiedene Personen aus verschiedenen "Rechtsgedanken". An sich hat völkerrechtliche Immunität nur der Staat an sich (aus ratione materiae), die Begründung dafür ist "par in parem non habet imperium", d.h. also gleichrangige Staaten können nicht übereinander urteilen. Der Staat kann naturgemäß aber nicht selbst handeln. Diese Immunität (ratione materiae) schützt dann Menschen **in der Ausübung** von Hoheitsgewalt. Aber nur:
hoheitliche Handlungen (acta iure imperii). Bei sonstigen Tätigkeiten (
acta iure gestionis) ist der Staat prozessual einem privaten Wirtschaftsakteur gleichgestellt. Was hier unter diese acta iure imperii fällt und wie weit der Schutz geht, ist eben umstritten. Dagegen gibt es für besondere Personen auch eigenständigen völkerrechtlichen Immunitätsschutz, der an sie selbst geknüpft ist (ratione personae). Das folgt aus dem historisch überkommenen Gedanken des Monarchen, der den Staat personifiziert (l´ etat c´ est moi und so). Heutzutage gebührt dieser persönliche Schutz wohl jedenfalls den sog. "Big Three", d.h.: Staatsoberhaupt, Regierungschef und Außenminister. Vielleicht hilft dir das ja weiter, ich fand die Thematik jedenfalls immer spannend :)