Tilgungsreihenfolge: Irrtum über Schuldenumfang

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M schuldet V €400 Miete und €400 aus einem Kaufvertrag. M glaubt, neben der Miete seien nur noch €100 offen und übergibt V bei ihrem Auszug €500 mit den Worten: "Das dürfte alles sein". V erklärt, dies reiche nicht und will Ms Couch als Pfand behalten. M erwidert, die Miete sei beglichen.

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Einordnung des Falls

Tilgungsreihenfolge: Irrtum über Schuldenumfang

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Darf V die Couch als Pfand behalten, wenn ihr daran ein Vermieterpfandrecht (§ 562 Abs. 1 BGB) zusteht?

Ja!

Der Vermieter darf Sachen des Mieters bei dessen Auszug in Besitz nehmen, sofern diese seinem Vermieterpfandrecht unterliegen (§ 562b Abs. 1 S. 2 BGB). Das Vermieterpfandrecht setzt unter anderem eine offene Forderungen aus dem Mietverhältnis voraus (vgl. § 562 Abs. 1 BGB). Forderungen, die aus anderen Gründen gegenüber dem Mieter bestehen, werden nicht geschützt. Erlischt die Mietforderung, so erlischt auch das Vermieterpfandrecht (§§ 1257 iVm 1252 BGB). Einzelheiten zu den Voraussetzungen des Vermieterpfandrechts findest Du im Kurs "Mietrecht".
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2. Hat M durch die Aussage "Das dürfte alles sein" zum Ausdruck gebracht, sie wolle vorrangig die Mietschuld tilgen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Hat der Schuldner gegenüber dem Gläubiger mehrere gleichartige Verbindlichkeiten, so kann er bestimmen, auf welche Verbindlichkeit er leisten will (§ 366 Abs. 1 BGB). Diese Tilgungsbestimmung ist eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf welche die Regelungen über (empfangsbedürftige) Willenserklärungen entsprechend anwendbar sind. M bezweckte hier erkennbar die Tilgung aller Schulden. Dafür reicht indes die Zahllung nicht aus. Damit fehlt es aber an einer geeigneten Zweckbestimmung.

3. Kann man nach der herrschenden Meinung bei fehlerhafter Tilgungsbestimmung immer auf die gesetzliche Tilgungsreihenfolge zurückgreifen (§ 366 Abs. 2 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Bei fehlerhafter Tilgungsbestimmung wendet die herrschende Meinung die gesetzliche Reihenfolge dann nicht an, wenn die gesetzliche Tilgungsreihenfolge (1) dem zu vermutenden vernünftigen Willen des Schuldners ganz offensichtlich widerspricht und dies (2) ohne weiteres erkennbar ist. Stattdessen soll die Leistung getilgt werden, die der Schuldner ohne Irrtum bestimmt hätte. Die fehlende Anwendbarkeit wird mit dem Sinn und Zweck der Norm begründet (=teleologische Reduktion)Nach anderer Auffassung scheide bei fehlerhafter Tilgungsbestimmung die gesetzliche Reihenfolge schon deshalb aus, da nach dem Wortlaut diese nur bei unterlassener und nicht bei fehlerhafter Zweckbestimmung anwendbar sei.

4. Wird aufgrund der fehlerhaften Zweckbestimmung die Kaufpreisschuld als "weniger sichere" Forderung getilgt (§ 366 Abs. 2 BGB)?

Nein!

Irrt sich der Schuldner hinsichtlich seiner Tilgungsbestimmung, so ist darauf abzustellen, welche Forderung er ohne Irrtum getilgt hätte, wenn (1) die irrtümliche Tilgungsbestimmung dem vernünftigen Willen des Schuldners ganz offensichtlich widerspricht und dies (2) ohne weiteres erkennbar ist.Ohne den Irrtum hätte M ihre Zahlung direkt auf die Tilgung der Mietforderung gerichtet, um sich des Vermieterpfandrechts zu entledigen. Für V war zu erkennen, dass M hier primär zahlen wollte, um ungestört ausziehen zu können. Durch die Zahlung wurde damit ihre Mietforderung getilgt.

5. Angenommen die Voraussetzungen des Vermieterpfandrechts lagen zunächst vor. Darf V nach der geleisteten Zahlung von €400 die Couch als Pfand behalten?

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Vermieter darf Sachen des Mieters bei dessen Auszug in Besitz nehmen, sofern diese seinem Vermieterpfandrecht unterliegen (§ 562b Abs. 1 S. 2 BGB). Erlischt die Mietforderung, so erlischt auch das Pfandrecht (§§ 1257 iVm 1252 BGB).Trotz der irrtümlichen Tilgungsbestimmung ist Vs Mietforderung durch Ms Zahlung erfüllt worden. Damit ist Vs Vermieterpfandrecht erloschen und V hat kein Recht mehr die Couch als Pfand zu behalten. Neben der Forderung aus einem (1)Mietvertrag über Räume oder Grundstücke setzt das Vermieterpfandrecht voraus, dass es sich (2) um eine bewegliche Sache handelt, die (3) im Eigentum des Mieters steht, (4) pfändbar ist und (5) in den Mietraum "eingebracht" wurde. Die Voraussetzungen liegen vor.
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