Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Stellvertretung

Offenkundigkeit: Ausnahme - verdecktes Geschäft für den, den es angeht

Offenkundigkeit: Ausnahme - verdecktes Geschäft für den, den es angeht

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K bittet ihren Mitbewohner M, ihr etwas Obst vom Wochenmarkt mitzubringen. Er solle einfach etwas aussuchen, das frisch aussieht. Dort angekommen untersucht M das Obst. Anschließend kauft er für K 6 Pfirsiche, ohne dem Verkäufer V zu erzählen, dass diese für K sind.

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Einordnung des Falls

Offenkundigkeit: Ausnahme - verdecktes Geschäft für den, den es angeht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M hat beim Kauf der 6 Pfirsiche eine eigene Willenserklärung abgegeben.

Genau, so ist das!

Eine wirksame Stellvertretung setzt nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB voraus, dass der Vertreter eine eigene Willenserklärung abgibt und nicht nur diejenige seines Geschäftsherrn überbringt. Dadurch wird die Stellvertretung von der Botenschaft abgegrenzt. Ob eine Person als Vertreter oder als Bote agiert, ist dabei aus Sicht eines objektiven Empfängers (§§ 133, 157 BGB) zu beurteilen. Hat die Person hiernach ein gewisses Maß an Entschließungsfreiheit und Handlungsspielraum, so ist sie Vertreter. M hatte die Pfirsiche untersucht, bevor er sie kaufte. Er konnte nach außen erkennbar selbst entscheiden, welches Obst er kauft und hatte somit ein gewisses Maß an Handlungsspielraum.
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2. M hat die Willenserklärung in Bezug auf den Kauf der Pfirsiche im Namen der K abgegeben.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB muss der Vertreter die Willenserklärung im Namen des Vertretenen abgeben (Offenkundigkeit). Dies erfordert, dass nach objektivem Empfängerhorizont erkennbar ist, dass der Vertreter für eine andere Person auftritt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Erklärung ausdrücklich im Namen des Vertretenen erfolgt oder ob die Umstände ergeben, dass sie in dessen Namen erfolgen soll (§ 164 Abs. 1 S. 2 BGB). M hat gegenüber V nicht geäußert, dass er die Pfirsiche für K kauft. Er hat die Willenserklärung in Bezug auf den Kauf der Pfirsiche nicht im Namen der K, sondern in eigenem Namen abgegeben.

3. Für die Wirksamkeit der Stellvertretung ist es vorliegend ausnahmsweise unschädlich, dass M die Willenserklärung nicht im Namen der K, sondern in eigenem Namen abgegeben hat.

Ja!

Eine Ausnahme vom Offenkundigkeitsprinzip ist das sog. verdeckte Geschäft für den, den es angeht. Bei diesem ist dem Vertragspartner die Identität der Person, mit der er kontrahiert, gleichgültig. Meistens betrifft dies Geschäfte, bei denen die Leistung sofort bewirkt wird (Bargeschäfte des täglichen Lebens), da dort die Solvenz des Gegenübers nicht relevant ist. Wer Vertragspartner wird (wen das Geschäft angeht), richtet sich nach dem Willen des Vertreters. Je nachdem, ob er Eigenwirkung oder Fremdwirkung für die von ihm abgegebene Willenserklärung möchte, gilt sie für ihn selbst oder den Vertretenen. Der Obstkauf ist ein Bargeschäft des täglichen Lebens. M wollte K verpflichten. Zu diesem Ergebnis gelangt man durch eine teleologische Reduktion des § 164 Abs. 1 BGB. Das darin enthaltene Offenkundigkeitsprinzip möchte den Vertragspartner davor schützen, dass ihm ein Vertrag mit einer Person aufgedrängt wird, mit der er keinen Vertrag schließen möchte. Bei Geschäften, bei denen ihm die Identität seines Vertragspartners gleichgültig ist, bedarf es dieses Schutzes jedoch nicht.

4. M handelte mit entsprechender Vertretungsmacht.

Genau, so ist das!

Eine Vertretungsmacht kann sich aus Rechtsgeschäft, aus Gesetz oder gar aus dem Bestehen eines Rechtsscheins ergeben. Die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht wird gemäß § 166 Abs. 2 S. 1 BGB auch Vollmacht genannt. Die Vollmachterteilung (Bevollmächtigung) ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie kann sowohl gegenüber dem Vertreter (Innenvollmacht), als auch gegenüber dem Geschäftspartner (Außenvollmacht) erklärt werden, gegenüber dem die Vertretung stattfinden soll (§ 167 Abs. 1 BGB). Indem K den M gebeten hat, ihr Obst mitzubringen, hat sie ihm gegenüber eine Innenvollmacht erteilt.

5. Zwischen K und V ist ein Kaufvertrag zustande gekommen.

Ja, in der Tat!

Die Voraussetzungen der Stellvertretung lagen vor. Der Kaufvertrag kam in dem Moment zustande, in dem V seine Willenserklärung gegenüber M abgegeben hat (§ 164 Abs. 3, Abs. 1 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

CO

coolerfrosch

10.4.2024, 20:22:20

in der einen Antwort steht: „die Erteilung der Vollmacht ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung“. Wäre es nicht akkurater zu sagen, dass die Erteilung der Vollmacht ein einseitiges Rechtsgeschäft, bestehend aus einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist? Willenserklärungen sind ja eigentlich immer einseitig.

Rechthaber

Rechthaber

4.6.2024, 19:27:26

kann man das verdeckte

Geschäft für den den es angeht

als zulässigen Fall einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtungsermächtigung ansehen ?

Dogu

Dogu

27.6.2024, 12:01:40

Für mich eher eine teleologische Reduktion des

Offenkundigkeitsprinzip

s.


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