Zivilrecht

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Entscheidungen von 2021

GoA zur Gefahrenabwehr bei betrunkenem Transport des verletzten Geschäftsherrn zum Krankenhaus?

GoA zur Gefahrenabwehr bei betrunkenem Transport des verletzten Geschäftsherrn zum Krankenhaus?

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

A wird von X schwer verletzt. Der Krankenwagen kommt nicht. Der alkoholisierte B (BAK 1,5 ‰) beschließt, den bewusstlosen A mit Ys Pkw ins Krankenhaus zu fahren. B baut einen Unfall. Es ist unklar, inwieweit As bestehende Verletzungen durch den Unfall verstärkt wurden. A verlangt von B Schadensersatz.

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Einordnung des Falls

GoA zur Gefahrenabwehr bei betrunkenem Transport des verletzten Geschäftsherrn zum Krankenhaus?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Vorliegend haftet B für Vorsatz und Fahrlässigkeit, da keine Haftungserleichterung in Betracht kommt.

Nein, das trifft nicht zu!

Hier könnte dem B die Haftungserleichterung des § 680 BGB zugute kommen.
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2. Die Haftungserleichterung des § 680 BGB setzt voraus, dass die Geschäftsführung die Abwendung einer dem Geschäftsherrn drohenden dringenden Gefahr bezweckt. Dies ist hier der Fall.

Ja!

Eine Geschäftsführung ohne Auftrag bezweckt die Gefahrenabwehr i.S.d. § 680 BGB, wenn eine unmittelbar drohende Gefahr für die Person oder das Vermögen des Geschäftsherrn abgewendet werden soll (Sprau, in: Palandt, 79.A.2020, § 680 RdNr. 2). Mit dem Transport von A zum Krankenhaus bezweckte B die Abwendung einer dem A drohenden dringenden Gefahr. Denn A benötigte dringend ärztliche Hilfe. B kommt somit das Haftungsprivileg des § 680 BGB zugute. B haftet daher nur für grobe Fahrlässigkeit.

3. Es war grob fahrlässig, dass B trotz seiner Alkoholisierung (BAK 1,5 ‰) die Fahrt zum Krankenhaus übernommen hat. Deshalb haftet B ungeachtet des Haftungsprivilegs des § 680 BGB für die Übernahme.

Nein, das ist nicht der Fall!

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 29.01.2003 – IV ZR 173/01). Im Gegensatz zur rein objektiv zu beurteilenden einfachen Fahrlässigkeit werden bei grober Fahrlässigkeit auch subjektive Umstände berücksichtigt. Die Übernahme einer Autofahrt mit 1,5 ‰ im Blut ist objektiv grob fahrlässig. Vorliegend musste B allerdings angesichts der schweren Verletzung des A blitzschnell entscheiden. Deshalb kann ihm die Überschätzung der eigenen Fahrtüchtigkeit subjektiv nicht in erheblichem Maße vorgeworfen werden. Die Übernahme war nicht grob fahrlässig. Mangels Vertretenmüssen besteht der Anspruch aus § 678 BGB nicht.

4. Die konkurrierenden Ansprüche aus § 18 StVG und § 823 Abs. 1 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB scheitern ebenfalls auch an dem mangelnden Verschulden des B.

Ja!

§ 18 StVG und § 823 BGB setzen im Grundsatz Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraus. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind besondere Haftungsmaßstäbe (z.B. §§ 680, 708 BGB) auch auf konkurrierende Deliktsansprüche anzuwenden, wenn sie andernfalls typischerweise leer liefen (BGH, 20.12.1966 - VI ZR 53/65). § 680 BGB verschiebt den Haftungsmaßstab auch im Rahmen von § 18 StVG und § 823 BGB, da § 680 BGB andernfalls praktisch außer Kraft gesetzt würde. Insofern sind die Tatbestände nicht erfüllt, da B nicht grob fahrlässig gehandelt hat.

5. Als Anspruchsgrundlage des Schadensersatzanspruch von A gegen B kommt § 678 BGB in Betracht.

Ja, in der Tat!

§ 678 BGB enthält eine eigenständige Anspruchsgrundlage für die Haftung des Geschäftsführers bei Übernahmeverschulden. Die Norm setzt eine echte, unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) voraus. Eine echte GoA liegt vor, wenn jemand (Geschäftsführer) ein Geschäft für einen anderen (Geschäftsherrn) - also mit Fremdgeschäftsführungswillen - besorgt, ohne von ihm beauftragt oder sonst dazu berechtigt zu sein (§ 677 BGB). Unberechtigt ist diese, wenn die Übernahme der Geschäftsführung dem Willen des Geschäftsherrn widerspricht. Ebenfalls in Betracht kommen Ansprüche aus § 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB. Die Ansprüche schließen sich gegenseitig nicht aus (vgl. §§ 16, 18 Abs. 2 StVG). In der Urteilsklausur im Referendariat kannst Du die Prüfung auch primär auf StVG oder § 823 BGB stützen. Im folgenden wird - wie im 1. Examen üblich - der quasivertragliche Anspruch vor den deliktischen Ansprüchen geprüft.

6. Die Voraussetzungen der echten GoA liegen vor.

Ja!

Eine echte GoA liegt vor, wenn jemand (Geschäftsführer) ein Geschäft für einen anderen (Geschäftsherrn) - also mit Fremdgeschäftsführungswillen - besorgt, ohne von ihm beauftragt oder sonst dazu berechtigt zu sein (§ 677 BGB). Bs Transport von A zum Krankenhaus stellte ein fremdes Geschäft dar, für welches B nicht von A beauftragt war. B handelte auch mit Fremdgeschäftsführungswillen. Eine GoA lag somit vor.

7. B handelte entsprechend As Willen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Haftung setzt voraus, dass bereits die Übernahme der Geschäftsführung dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn widerspricht. Maßgebender Zeitpunkt ist die Übernahme selbst, also die erste, von dem Fremdgeschäftsführungswillen getragene Ausführungshandlung. A war nicht mehr in der Lage tatsächlichen einen eigenen Willen zu bilden. Es entspricht nicht dem mutmaßlichen Willen des A, angesichts der damit verbundenen erheblichen Gefahr von dem stark alkoholisierten B in einem Fahrzeug transportiert zu werden. B hat somit eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt. Vertretbar ist ebenfalls, dass die Übernahme des Transports durch B gerade im mutmaßlichen Interesse von A war. Denn A war schwer verletzt war und musste dringend ins Krankenhaus. Dann kommt eine Haftung aus echter, berechtigter GoA in Betracht (§§ 280 Abs. 1, 677 BGB).

8. B haftet nach § 678 BGB nur, wenn er die Herbeiführung des Unfall zu vertreten hatte.

Nein, das trifft nicht zu!

Bei der unberechtigten GoA ist der Anknüpfungspunkt des Vertretenmüssens neben der Ausführung auch die Übernahme des Geschäfts. Sofern es der Geschäftsführer zu vertreten hat, dass er das Geschäft unberechtigt übernimmt, so haftet er verschuldensunabhängig für Fehler im Rahmen der Ausführung. Der Schuldner hat bei der Übernahme Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt ist noch sich aus dem Schuldverhältnis ergibt (§ 276 Abs. 1 S. 1 BGB). Nur wenn B die Übernahme nicht zu vertreten hatte, kommt es darauf an, ob er den Unfall zu vertreten hatte.

9. Es war grob fahrlässig, dass B stark alkoholisiert (BAK 1,5 ‰) gefahren ist. Deshalb haftet B ungeachtet des Haftungsprivilegs des § 680 BGB für sein Ausführungsverschulden.

Nein!

Hat der Geschäftsführer die Übernahme nicht zu vertreten, so haftet er gleichwohl, wenn ihn bei der Ausführung des Geschäfts ein Verschulden trifft. Übernahmeverschulden als auch Ausführungsverschulden stehen mit der Alkoholisierung in einem so engen Zusammenhang, dass sie einheitlich am Haftungsmaßstab des § 680 BGB zu messen sind. Auch im Hinblick auf die Durchführung der Fahrt lag somit keine grobe Fahrlässigkeit vor.Darüber hinaus fehlt es auch an der notwendigen Kausalität. Zwar kann die Beweislastregel des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB grundsätzlich auch auf (quasi)vertragliche Ansprüche angewendet werden (Spindler, in: BeckOK BGB, 59. Ed., § 830 Rn. 2). Nach der jüngeren Rechtsprechung des BGH (NJW 1976, 1934) greift dies aber nur in Fällen der Beweisnot, also wenn ggü. beiden Schädigern der Kausalitätsnachweis nicht erfolgreich geführt werden kann. X ist hier aber unzweifelhaft für As Verletzungen verantwortlich. Damit liegt keine Beweisnot vor und B müsste positiv nachgewiesen werden, dass sein Handeln As Verletzungen verstärkt hat.
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