Strafrecht

BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.

Schwere Körperverletzung, § 226 StGB

Ein wichtiges Glied des Körpers verliert: Prothese steht dem Verlust nicht entgegen

Ein wichtiges Glied des Körpers verliert: Prothese steht dem Verlust nicht entgegen

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

T geht mitten in der Limburger Altstadt mit einer Axt und einem Beil auf die O los. Dabei trennt er ihr rechtes Bein ab. O erhält später eine Beinprothese. Damit sieht man ihr beim Gehen das Handicap gar nicht mehr an. Sie kann damit auch mit einem Fahrrad oder mit Inlineskates fahren.

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Einordnung des Falls

Ein wichtiges Glied des Körpers verliert: Prothese steht dem Verlust nicht entgegen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Os Bein ist ein "Glied des Körpers" (§ 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

Ja!

Der Begriff des Gliedes ist umstritten. (1) Die engste Ansicht zählt dazu nur äußerliche Körperteile, die eine in sich abgeschlossene Existenz mit besonderer Funktion im Gesamtorganismus haben und mit dem Körper durch ein Gelenk verbunden sind (z.B. Arme, Hände, Finger(-glieder), Beine, Knie, Füße, Zehen). (2) Nach einer mittleren Ansicht, die von einer Verbindung durch Gelenke absieht, sind auch Nase, Ohr(-muschel) und äußere Genitalien erfasst. (3) Die weiteste Auffassung bezieht sogar auch innere Organe wie die Niere mit ein. Dies lehnt die Rspr. und h.L. ab. Os Bein ist nach allen drei Ansichten ein Körperglied.
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2. Os Bein ist ein "wichtiges" Glied des Körpers (§ 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

Genau, so ist das!

Die Wichtigkeit des Gliedes bestimmt sich nach seiner generellen Bedeutung für den Gesamtorganismus. Wesentliche Körperfunktionen müssen beeinträchtigt sein. Ob darüber hinausgehend individuelle Verhältnisse des Opfers zu berücksichtigen sind, ist umstritten. Der BGH differenziert: Individuelle soziale Bezüge (z.B. Beruf) sind nicht zu berücksichtigen; die individuelle körperliche Verfassung (z.B. Rechts-/Linkshändigkeit, Vorschäden) dagegen schon. Arme, Hände und Füße sind für das Leben jedes Menschen von genereller Bedeutung. Os Bein ist ein wichtiges Körperteil.

3. O hat das Bein trotz der Beinprothese "verloren" (§ 226 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Verlust meint die völlige, möglicherweise erst durch ärztlich indizierte Amputation geschehene Abtrennung des Gliedes vom Körper. Ein Ersatz durch Prothesen steht dem Verlust nicht entgegen. T hat das Bein der O abgetrennt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jurafuchsu

Jurafuchsu

23.2.2021, 16:40:28

Warum steht der Ersatz bei einem Auge entgegen aber hier nicht? Wie im vorherigen Fall

GEL

gelöscht

16.3.2021, 16:03:14

Hallo Jurafuchsu, Transplante und Implantate werden durch das Einsetzen zu dauerhaften Teilen des menschlichen Körpers (MüKoStGB/Hardtung, 3.A. 2017, StGB § 226 RdNr. 17f.). Im Fall mit dem Auge konnte die Beeinträchtigung durch ein dauerhaft mit dem Körper verbundenen Hilfsmittel beseitigt werden. Es ist anerkannt, dass bei nur vorübergehend mit dem Körper verbundenen Hilfsmitteln, die eine Entstellung nicht äusserlich kaschieren können die schwere Folge nicht beseitigt wird. Wenn O kurze Hosen anziehen würde, wäre ihre Prothese für alle sichtbar (Entstellung).

GEL

gelöscht

16.3.2021, 16:11:02

Es ist umstritten, ob nur vorübergehend mit dem Körper verbundene Hilfsmittel ebenfalls eine Beseitigung darstellen können. Nach Rspr und hL kann dies der Fall sein, wenn dadurch die Entstellung verhindert werden konnte. Die Entstellung ist nach dieser Ansicht das massgebliche Kriterium. Allein das äussere Erscheinungsbild sei von Belang. Eine andere Ansicht lässt solche Hilfsmittel nicht ausreichen. Es könne nicht genügen, dass die Verletzung äusserlich kaschiert wurde, aber gleichwohl vorhanden ist. Ausserdem sei der Körper schliesslich immernoch dauerhaft verletzt und dies eben nicht durch ein körperliches Hilfsmittel behoben worden. Viele Grüße Adrian, für das Jurafuchs-Team 🙂

Jonny27

Jonny27

8.4.2021, 12:04:48

Ich hoffe ich interpretiere die Frage von dir @Jurafuchsu nicht falsch, aber so wie ich das sehe musst du hier besonders zwischen § 226 I Nr. 1 und Nr. 2 trennen. Bei Nr. 1 geht es um den Verlust des Sehvermögens, der gerade durch eine künstliche Linse eben nicht dauerhaft ist und somit nicht verloren. Bei Nr. 2 geht es um den Verlust eines Körperglieds als solches, also nicht um die Funktion des Glieds wie bei Nr. 1. Demnach ersetzt die Prothese funktional zwar das Glied, aber es ist eben trotzdem das Glied, hier das Bein, dauerhaft verloren. Wie @Vulpes ausführlich veranschaulicht hat, kann man für diese Differenzierung auch gute Argumenten bringen. LG Jonny


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