Diebstahl unter Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs, §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Var. 2 StGB


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D entwendet in einem Lebensmittelladen drei teure Whiskeyflaschen. Dabei führt sie an ihrem Gürtel ein größeres klappbares Taschenmesser bei sich, mit dem sie im Geschäft die Sicherungsetiketten durchtrennt hat. Gegen Menschen wollte sie das Messer aber nie einsetzen.

Einordnung des Falls

Diebstahl unter Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs, §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Var. 2 StGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Begriff des gefährliches Werkzeuges in § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) Var. 2 StGB ist unstreitig.

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Nein, das trifft nicht zu!

Der Begriff des gefährlichen Werkzeuges bereitet erhebliche Interpretationsschwierigkeiten. Dabei sind verschiedene Standpunkte zu unterscheiden. Neben der rein abstrakt-objektiven Betrachtungsweise und der situationsbezogenen abstrakt-objektiven Betrachtungsweise wird auch eine konkret-subjektive Betrachtungsweise vertreten.

2. Nach der vor allem durch die Rspr. vertretenen rein abstrakt-objektiven Sichtweise ist das Taschenmesser der D ein gefährliches Werkzeug (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 a) Var. 2 StGB).

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Ja!

Nach der Rspr. ist ein Gegenstand als ein gefährliches Werkzeug einzuordnen, wenn dieser im Falle seines Einsatzes gegen Personen aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. BGH: Im Hinblick auf das Verletzungspotenzial gehe jedenfalls von Taschenmessern mit größerer Klingenlänge eine abstrakte Gefahr aus, die derjenigen von als Waffen einzuordnenden Messern zumindest nahe komme (RdNr. 38). Kritisiert wird an dieser Ansicht vor allem eine zu ausufernde Ausweitung der Strafbarkeit. Jeder Bagatelldiebstahl würde bei dem routinemäßigen oder auch nur zufälligen Mitführen eines entsprechenden Alltagsgegenstandes zu einem “Diebstahl mit Waffen” hochgestuft.

3. Ist das Taschenmesser der D auch nach der durch die wohl hM. in der Literatur vertretenen situationsbezogenen abstrakt-objektiven Betrachtungsweise ein gefährliches Werkzeug?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der situationsbezogenen abstrakt-objektiven Betrachtungsweise ist neben der Verletzungseignung erforderlich, dass das Beisichführen des Gegenstandes aus Sicht eines objektiven Beobachters keine andere Funktion erfüllen kann, als zu Verletzungszwecken eingesetzt zu werden (Waffenersatzfunktion). Aus der Sicht eines objektiven Betrachters dient das Taschenmesser hier lediglich dem Durchtrennen der Etiketten (deliktstypisches Werkzeug). Ihm kommt gerade keine Waffenersatzfunktion zu. Zwar ermöglicht diese Ansicht eine gebotene restriktivere Interpretation des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) Var. 2 StGB. Allerdings ergeben sich erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten, wie etwa zu welcher Uhrzeit oder Gelegenheit das Beisichführen eines bestimmten Gegenstands nun als ungefährlich oder gefährlich einzustufen ist.

4. Ist das Taschenmesser der D nach der durch einen Teil der Literatur vertretenen konkret-subjektiven Betrachtungsweise ein gefährliches Werkzeug?

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Nein, das trifft nicht zu!

Nach der konkret-subjektiven Betrachtungsweise führt der Täter ein gefährliches Werkzeug bei sich, wenn er den Gegenstand bei der Tat im Bedarfsfall so verwenden will, dass dieser nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Verwendung im konkreten Fall erhebliche Verletzungen hervorrufen kann. D wollte ihr Taschenmesser indes niemals gegen Menschen einsetzen. Zwar werde diese Ansicht besser dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG gerecht. Allerdings ist nach dem Wortlaut des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB die Waffe ein anderes Werkzeug, sodass der beim Waffenbegriff unbestritten geltende objektive Maßstab auch hier gelten müsse. Zudem lege ein Umkehrschluss mit dem in § 244 Abs. 1 Nr. 1 b) StGB erforderten Verwendungswillen nahe, dass ein solcher hier gerade nicht erforderlich ist.

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