Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Abgabe und Zugang von Willenserklärungen

Wirksamwerden – Zugang: Tatsächliche Kenntnisnahme, bevor sie nach den gewöhnlichen Umständen zu erwarten war.

Wirksamwerden – Zugang: Tatsächliche Kenntnisnahme, bevor sie nach den gewöhnlichen Umständen zu erwarten war.

21. November 2024

4,8(12.340 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

M will Geschäftsräume kündigen. Die Kündigung muss am 31.1. zugehen. M fährt am 31.1. um 23 Uhr zu V’s Büro und wirft sie in den Briefkasten. Da V im Büro etwas vergessen hatte, fährt er dort um 23.30 Uhr noch einmal hin. Er guckt auch in den Briefkasten und entdeckt die Kündigung.

Diesen Fall lösen 64,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Wirksamwerden – Zugang: Tatsächliche Kenntnisnahme, bevor sie nach den gewöhnlichen Umständen zu erwarten war.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Kündigung an V wird erst wirksam, wenn mit der Leerung des Briefkastens zu den üblichen Geschäftszeiten des V zu rechnen ist, mithin am 1.2.

Nein, das ist nicht der Fall!

Empfangsbedürftige WE werden wirksam mit Zugang (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Zugang (Phase 3) liegt bei verkörperten WE vor, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann und wenn unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist. Erfolgt die tatsächliche Kenntnisnahme (Phase 4) bereits vor dem Zeitpunkt, in dem sie normalerweise zu erwarten war, ist die Erklärung aber schon in diesem Augenblick zugegangen. Sobald der Empfänger tatsächlich Kenntnis genommen hat, kann er sich auf die Folgen der Erklärung einstellen und verdient in seinem Vertrauen auf ihre Geltung Schutz. Tatsächliche Kenntnisnahme ist für den Zugang daher zwar nicht erforderlich, bewirkt ihn aber.M hat die Kündigung um 23 Uhr in Vs Briefkasten eingeworfen. Der Briefkasten gehört zu Vs Machtbereich. Mit einer Kenntnisnahme des V wäre nach gewöhnlichen Umständen zu dem Zeitpunkt zu rechnen, zu dem mit einer Leerung des Briefkastens zu rechnen ist. Bei einem außerhalb von Vs Geschäftszeiten abends oder nachts eingeworfenen Brief ist nicht mehr mit einer Leerung am selben Tag zu rechnen. Daher wäre nach allgemeinen Grundsätzen erst am 1.2. mit einer Kenntnisnahme durch V zu rechnen. V hat die Kündigung aber noch in der Nacht des 31.1. tatsächlich zur Kenntnis genommen. Die Kenntnisnahme (Phase 4) lag damit vor dem Zeitpunkt, zu dem mit ihr zu rechnen gewesen wäre (Phase 3). Die tatsächliche Kenntnisnahme bewirkt hier daher den Zugang. Die Kündigung ist somit am 31.1. zugegangen und wirksam geworden.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Foxtrot Bravo

Foxtrot Bravo

25.2.2021, 16:26:18

Rein praxisnah: die Beweislast des fristgerechten Zugangs trägt hier doch der M, demnach müsste er im Zivilprozess beweisen, dass V tatsächlich - gerade nicht normalen Umständen entsprechend - doch noch am späten Abend des 31.1. Kenntnis genommen hat oder?

Speetzchen

Speetzchen

25.2.2021, 20:48:32

ja, da hast du Recht !

DEL

deliaco

10.1.2024, 23:11:07

Etwas blöde Frage aber: Wie kommt man darauf, dass M hier die Beweislast trägt?

QUIG

QuiGonTim

28.1.2024, 11:08:24

Es ist ein allgemeiner Grundsatz des Zivilprozessrechts, dass eine Partei die Tatsachenbehauptungen zu beweisen hat, die für sie günstig sind. Würden M und V später beispielsweise über das Bestehen von Mieitzinszahlungsansprüchen des V gegen M streiten, käme es darauf an, bis wann das Mietverhältnis bestanden, mithin ob und wann die Kündigung des M wirksam wurde. Da M daran gelegen ist, dass seine Kündigung noch am 31.01. wirksam wurde, ist die Tatsachenbehauptung, dass V das Kündigungsschreiben noch am 31.01. zur Kenntnis nahm, für M günstig (für V ungünstig). M trägt also die Beweislast.

LEO12

Leo123!

4.11.2024, 18:20:44

Auch genannt - Rosenberg’sche Formel !

Sirius Black

Sirius Black

2.3.2024, 15:56:53

Im Text der Frage hat sich ein kleiner Zahlendreher bezüglich des Datums eingeschlichen. Es müsste sich um den 1.2. handeln, nicht um den 2.1.

LELEE

Leo Lee

3.3.2024, 18:40:54

Hallo Sirius Black, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat hatte sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen! Wir haben den Fehler nun korrigiert und möchten uns bei dir vielmals dafür bedanken, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren und freuen und auf weiter Feedbacks von dir! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

STE

Sternensilber

25.8.2024, 22:08:17

Hier wird gesagt, dass die tatsächliche Kenntnisnahme den Zugang bewirkt, weil das Vertrauen des Empfängers auf die Wirksamkeit der Kündigungserklärung Schutz bedürfe. Hier wird der Empfänger aber gerade benachteiligt, dass er zufälligerweise die viel zu spät eingeworfen Kündigungserklärung noch liest. Die Regel die ihn schützen soll, hilft dem Erklärenden, der die Erklärung zu Unzeit einwirft. Gibt es eine Möglichkeit, dies zu berücksichtigen. Oder ist die Regel absolut?

TI

Timurso

26.8.2024, 13:54:05

Die Regel dürfte relativ absolut sein. Was du hier beachten musst: Der Empfänger ist hier nicht schutzwürdig, da er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis nimmt. Der Grundgedanke des Gesetzes bei Fristen wie dieser ist ja immer, dass der Empfänger mindestens Zeit X zwischen Kenntnis von der Kündigung und Vertragsende haben soll. Da man auch den Verkehrsschutz berücksichtigen muss, wird auf den Machtbereich + gewöhnliche Kenntnisnahme anstatt der tatsächlichen Kenntnisnahme abgestellt. Dies stellt ein Abweichen von der eigentlich erforderlichen Kenntnis zuungunsten des Empfängers dar. Wenn er nun tatsächliche Kenntnis hat, steht er daher besser, als das Gesetz es erfordern würde. Dieser Zeitpunkt ist daher für die Bestimmung des Zugangs vorrangig und wirkt gerade nicht zulasten des Empfängers, der dadurch sicher die gesamte Kündigungsfrist lang Kenntnis von der Willenserklärung hat, was bei den normalen Zugangsregeln dagegen nicht mal der Fall sein muss.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen