Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2017

Zeitpunkt des Entstehens der Gewährleistungsrechte beim Werkvertrag

Zeitpunkt des Entstehens der Gewährleistungsrechte beim Werkvertrag

12. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B beauftragt W mit einer Fassadenerneuerung. W führt die Arbeiten aus. B nimmt die Arbeiten nicht ab. Er rügt Mängel und setzt eine Frist zur Mangelbeseitigung. W verneint die Mangelhaftigkeit. Ein Gutachter stellt fest, dass die Arbeiten mangelhaft waren. B begehrt von W einen Kostenvorschuss für die Mängelbeseitigung.

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Für den Kostenvorschuss kommen verschiedene Anspruchsgrundlagen in Betracht.

Genau, so ist das!

Als Anspruchsgrundlage kommt §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 3 BGB in Betracht (Kostenvorschuss für die Aufwendungen der Selbstvornahme). Daneben kommt ein Anspruch auf Kostenvorschuss aber auch in Betracht, wenn B einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes (§§ 634 Nr. 4, 280, 281 BGB) geltend macht. Kleiner Schadensersatz bedeutet, dass der Besteller das Werk behält und die Kosten der Mängelbeseitigung als Schaden geltend macht. Trotz § 281 Abs. 4 BGB (Erlöschen des Primäranspruches) ergibt sich der Anspruch auf Vorschuss in diesem Fall aus der Wertung der §§ 634 Nr. 2, 637 BGB. Die §§ 634 Nr. 2, 637 BGB beinhalten den Rechtsgedanken der Vorfinanzierung durch den Unternehmer (dazu BGH, Urteil vom 22.2.2018 – VII ZR 46/17, RdNr. 48-51).
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2. Der Anspruch auf Kostenvorschuss aus § 637 Abs. 3 BGB setzt grundsätzlich die Abnahme des Werkes voraus.

Ja, in der Tat!

Voraussetzung sämtlicher Ansprüche aus § 634 BGB ist die Mangelhaftigkeit des Werkes (§ 633 Abs. 2 BGB) sowie grundsätzlich auch die Abnahme (§ 640 BGB). BGH: Ob das Werk mangelhaft sei, beurteile sich grundsätzlich im Zeitpunkt der Abnahme. Bis dahin könne der Unternehmer frei wählen, wie er den Anspruch des Bestellers erfülle. Das Bestehen von Mängelrechten während der Herstellungsphase würde aber in das Recht des Unternehmers eingreifen. Der Besteller sei durch Erfüllungsansprüche und Rechte des allgemeinen Leistungsstörungsrechts ausreichend geschützt. Für die Zäsur durch die Abnahme sprächen einerseits die Regelung in § 634a Abs. 2, 1 Nr. 1 und 2 BGB (Verjährungsbeginn mit Abnahme) wie auch der Wortlaut „Nach“-erfüllung, der Übergang der Leistungsgefahr (§ 644 Abs. 1 BGB) und die Fälligkeit (§ 641 Abs. 1 BGB) zu diesem Zeitpunkt (BGH, RdNr. 32ff.).

3. Ausnahmsweise können Mängelrechte aber auch ohne Abnahme geltend gemacht werden.

Ja!

BGH: In bestimmten Fällen könne der Besteller berechtigt sein, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2-4 BGB ohne Abnahme geltend zu machen. Dies sei zu bejahen, wenn der Besteller nicht mehr die Erfüllung des Vertrages verlangen könne und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen sei. So liege es, wenn der Besteller Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes geltend mache oder er die Minderung des Werklohnes erkläre. Ferner komme dies in Betracht, wenn der Besteller zum Ausdruck bringe, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer zusammenarbeiten zu wollen, eine (Nach-)Erfüllung also ablehne. Dann finde eine Abrechnung der beiderseitigen Ansprüche statt (BGH, RdNr. 44ff.).

4. Unter Anwendung dieser Grundsätze konnte der Kostenerstattungsanspruch ohne vorherige Abnahme geltend gemacht werden.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Voraussetzungen der genannten Fallgruppen liegen nicht vor. BGH: Wenn der Besteller nach §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1, 3 BGB einen Vorschuss für die zur Beseitigung des Mangels im Wege der Selbstvornahme erforderlichen Aufwendungen verlange, erlösche der Erfüllungsanspruch des Bestellers nicht. Das Recht zur Selbstvornahme und der Anspruch auf Kostenvorschuss ließen den Erfüllungsanspruch unberührt. Auch ein Nacherfüllungsanspruch könne noch geltend gemacht werden, weil der Kläger nicht zum Ausdruck gebracht habe, unter keinen Umständen am Vertrag festhalten zu wollen (BGH, RdNr. 50).Verlangt der Besteller Vorschuss, so geht das Verhältnis nur dann in ein Abrechnungsverhältnis über, wenn er zugleich ausdrücklich oder konkludent erklärt, nicht mehr mit dem Unternehmer zusammenarbeiten zu wollen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jana-Kristin

Jana-Kristin

14.8.2020, 18:23:10

Tolle Aufarbeitung der BGH-Entscheidung! Nur eine kleiner Hinweis: Bei der Frage, ob

Mängelrechte

in bestimmten Fällen vor Abnahme geltend gemacht werden können, steht in der Lösung, dass dies dann der Fall ist, wenn das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist. Beispielsweise liegt ein solches vor, wenn der Unternehmer SE geltend macht oder Minderung erklärt. Richtigerweise muss dies aber der Besteller ggü. den Unternehmer geltend machen bzw. erklären.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

14.8.2020, 19:29:20

Vielen lieben Dank, Jana-Kristin für das nette Lob :) Und Danke dir für den aufmerksamen Hinweis, wir haben das korrigiert!

Blackpanther

Blackpanther

21.3.2022, 20:45:51

Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn B seinen Anpruch nicht auf Selbstvornahme, sondern auf Kleinen Schadenersatz s

tat

t der Leistung stützt? Dann wäre doch der Abrechnungszeitraum eröffnet und die Geltendmachung ohne vorherige Abnahme möglich, während das Ergebnis für B i.E. dasselbe wäre, oder verstehe ich da was falsch?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.3.2022, 14:09:02

Hallo Blackpanther, in der

Tat

hält der BGH an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach bei der Forderung von Schadensersatz/Minderung eine Abnahme entbehrlich ist. Hätte B hier also s

tat

t dem Kostenvorschuss Schadensersatz bzw. Minderung verlangt, so hätte seine Klage Erfolg gehabt. Im Hinblick auf die Forderung des Kostenvorschusses blieb der BGH dagegen dabei, dass es hier im Grundsatz auf eine vorherige Abnahme ankomme. Allein durch die Vorschussforderung gehe das Verhältnis noch nicht in ein Abrechnungsverhältnis über. Dies sei allenfalls dann der Fall, wenn der Besteller ausdrücklich oder

konkludent

zum Ausdruck bringe, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer, der ihm das Werk als fertig an

geboten

hat, zusammenarbeiten zu wollen, also endgültig und ernsthaft eine Nacherfüllung ablehnt (RdNr. 47). Denn auch in diesem Fall, könne der Besteller nicht maher zum (Nach-) Erfüllungsanspruch zurückk

ehre

n, weswegen ausschließlich ein Abrechnungs- und Abwicklungsverhältnis vorliege. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Blackpanther

Blackpanther

22.3.2022, 14:15:16

Ich würde mich freuen, wenn ihr noch etwas klarer darstellen könntet, warum die Ansprüche auf Nacherfüllung und Vorschuss der Selbstvornahmekosten unproblematisch vor Abnahme und neben dem primären Erfüllungsanspruch geltend gemacht werden können (so wie ich es verstehe, weil sie im Prinzip inhaltsgleich sind). Ich weiß nicht, ob es auch anderen so geht, aber ich habe mich bei der Beantwortung gefragt, warum zunächst gesagt wird, dass für alle Gewährleistungsansprüche grds. die Abnahme erforderlich ist, danach die Ausnahmen genannt werden und als Endergebnis rauskommt, dass keine Ausnahme vorliegt, der B den Vorschuss aber trotzdem ohne Abnahme verlangen kann.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.3.2022, 13:58:31

Hallo Blackpanther, vielen Dank für Deine Nachfrage. Die entsprechende Passage aus dem Urteil ist in der

Tat

leicht missverständlich. Kurz vorweg: Der Vorschuss kann hier nicht verlangt werden und es kann auch keine Selbstvornahme verlangt werden. Aus diesem Grund muss hier die letzte Antwort auch mit "stimmt nicht" beantwortet werden. Nun aber kurz zum Regel-Ausnahmeverhältnis: Der BGH hat in der Entscheidung klargestellt, dass im Grundsatz sämtliche Mängelgewährleistungsrechte im

Werkrecht

erst NACH Abnahme geltend gemacht werden können. Vor der Abnahme stehen dem Besteller aber neben dem Erfüllungsanspruch trotzdem die Rechte aus dem allgemeinen

Leistungsstörungsrecht

zu (zB Rücktritt / Schadensersatz). Insoweit macht der BGH eine Ausnahme. Denn durch die Geltendmachung des Rücktritts/Schadensersatzes erlischt der Primärleistungsanspruch (vgl. § 281 IV BGB). Das Vertragsverhältnis wandelt sich in ein Abrechnungsverhältnis um, weswegen letztlich die Mängelgewährleistungsrecht nach § 634 Nr. 2-4 BGB auch ohne Abnahme anwendbar sein sollen. Anders sei dies dagegen bei dem Anspruch auf Selbstvornahme. Der Anspruch auf Selbstvornahme und der

Nacherfüllungsanspruch

bestehen nebeneinander (beide setzen eine Abnahme voraus). Das bedeutet, selbst wenn der Besteller einen Kostenvorschuss verlangt, so kann er von dem Unternehmer weiterhin die Nacherfüllung verlangen. Kommt der Unternehmer dem nach, so kann er vom Besteller den Vorschuss aber natürlich zurückverlangen. Im vorliegenden Fall hat der Kläger (bzw. die Rechtsvorgänger) lediglich Vorschuss, nicht aber "kleinen Schadensersatz" verlangt. Da es für den Vorschussanspruch aber nach Ansicht des BGH der Abnahme und nicht bloß der Herstellung des Werkes bedarf, hat der BGH hier die Klage abgewiesen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Blackpanther

Blackpanther

23.3.2022, 15:40:43

Herzlichen Dank für die Ausführliche Antwort! Nach intensiver Lektüre des Urteils habe ich es auch verstanden. Der Aufbau ist wirklich sehr missverständlich.

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

3.1.2023, 12:02:00

Ist es nicht ein Widerspruch, den Vorschuss über den kleinen SE s

tat

t der Leistung laufen zu lassen, wenn die

tat

sächliche Erfüllung der Hauptleistungspflicht noch möglich ist und bei Vornahme zum letztmöglichen Zeitpunkt die Mangelhaftigkeit entfiele? Ich hadere bei dem Urteil total mit der Abgrenzung von SE s

tat

t und neben der Leistung, könntet ihr mir das nochmal kurz im Zusammenhang erklären?

DIAA

Diaa

24.9.2023, 10:29:39

Wann würde man dann einen solchen Anspruch bejahen? Ist es nicht so, dass nach erfolgter angemessenen Frist und Selbstvornahme keine Nacherfüllung möglich ist und der Besteller nicht mehr am Vertrag halte?

DIAA

Diaa

24.9.2023, 10:33:53

NM, es hat sich gelöst

AN

antonie

14.5.2024, 16:12:04

Ich bin gerade sehr verwirrt: Wo genau ist denn der Unterschied zwischen der Selbstvornahme und dem kleinen Schadensersatz, zumal beide eine

Fristsetzung

voraussetzen und man im

Werkrecht

keine fiktiven Beseitigungskosten mehr verlangen kann? Wann prüfe ich welche AGL? Wäre sehr dankbar für Aufklärung!


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