Zivilrecht

Schadensrecht

Feststellung eines ersatzfähigen Schadens

Kein Ersatz fiktiver Mangelbeseitigungskosten im Werkrecht

Kein Ersatz fiktiver Mangelbeseitigungskosten im Werkrecht

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B schließt mit W einen Vertrag über die Errichtung eines Werks im Wert von €5.000. Ein Jahr nach Abnahme (§ 640 BGB) zeigen sich Sachmängel, die aber bereits bei Abnahme vorhanden waren. Die Behebung der Mängel würde €1.000 kosten. Mit dem Mangel ist das Werk nur €4.500 wert. B hat W erfolglos eine Frist zur Behebung der Mängel gesetzt.

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Einordnung des Falls

Kein Ersatz fiktiver Mangelbeseitigungskosten im Werkrecht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B hat gegen W einen Anspruch auf Ersatz des mangelbedingten Minderwerts des Werkes (€500) aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB.

Ja!

Es handelt sich um einen Anspruch auf Schadenseratz statt der Leistung. Hätte W den Mangel im letzten möglichen Zeitpunkt der Nacherfüllung behoben, wäre die Schadensposition entfallen. Die Voraussetzungen des Anspruchs liegen vor: Das Werk war bei Abnahme mangelhaft, W hat die Pflicht zur Behebung der Mängel nicht binnen der gesetzten Frist erfüllt. Sein Verschulden wird vermutet. Da B bereits Schadensersatz statt der Leistung verlangt hat, ist Naturalrestution ausgeschlossen (§ 281 Abs. 4: "... der Anspruch auf die Leistung ist ausgeschlossen..."). B kann die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert des Werkes ohne Mangel (€5.000) und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel (€4.500) als Schaden geltend machen (BGH, RdNr. 27).
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2. B kann die Mangelbeseitigungskosten auch als Aufwendungsersatz gemäß §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1 BGB verlangen.

Genau, so ist das!

Die Tatbestandsvoraussetzungen entsprechen denen der §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1,3, 281 Abs. 1 BGB. Unterschied: Der Anspruch aus §§ 634 Nr. 2, 637 BGB setzt kein Verschulden des W voraus und ist daher in der Regel günstiger für den Besteller.

3. B stehen gegen W Gewährleistungsrechte nach Werkvertragsrecht (§ 634 BGB) zu.

Ja, in der Tat!

Notwendige Voraussetzung für Mängelrechte im Werkrecht sind das Bestehen eines Werkvertrags (§ 631 BGB) sowie ein Sachmangel (§ 633 Abs. 2 BGB) im Zeitpunkt der Abnahme (§ 640 BGB). Diese Voraussetzungen liegen vor.Die Rechte des Bestellers werden in § 634 BGB aufgezählt und sind auch auf Bauverträge (§ 650a BGB) und Verbraucherbauverträge (§ 650i BGB) anwendbar. Diese Vertragstypen sind Fallgruppen des allgemeinen Werkvertrags, auf die bestimmte Sondernormen zusätzlich anwendbar sind.

4. Lässt B den Mangel beseitigen, hat er gegen W einen Anspruch auf Ersatz der Mangelbeseitigungskosten in Höhe von €1.000 nebst Umsatzsteuer aus Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB.

Ja!

Es handelt sich um den kleinen Schadensersatz statt der Leistung, weil B nur die Kosten der Mangelbehebung verlangt, am Vertrag im Übrigen aber festhalten möchte (Unterschied zum großen Schadensersatz statt der Leistung). W hat die Pflicht zur Nacherfüllung verletzt. Das Vertretenmüssen wird gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. Problematisch ist, dass der Schaden erst aufgrund der Mangelbeseitigung durch B selbst entstanden ist, er also als letzter zur Verursachung beigetragen hat. Dies steht der Ersatzfähigkeit indes nicht entgegen, weil B sich zu dieser Schadensbeseitigung herausgefordert fühlen durfte (BGH, RdNr. 46).

5. Der Anspruch auf Ersatz des mangelbedingten Minderwerts ist in Anlehnung an §§ 634 Nr. 3, 638 BGB zu bemessen.

Genau, so ist das!

Maßgeblich für die Bemessung des mangelbedingten Minderwerts ist das Äquivalenzverhältnis aus Leistung und Gegenleistung. Dieses Verhältnis kommt in § 638 BGB (Minderung) zum Ausdruck. Weil der Anspruch aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB strengere Voraussetzungen hat (Verschulden!) sind die Wertungen des § 638 BGB auch auf den Anspruch auf Schadensersatz zu übertragen (BGH, RdNr. 40f.).Hier beträgt der Wert des Werkes mit Mangel €4.500.

6. Auch wenn B Schadensersatz statt der Leistung verlangt, kann er weiterhin gem. §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 3 BGB Vorschuss fordern, wenn er den Mangel beseitigen will.

Ja, in der Tat!

B kann einen Vorschuss verlangen (§§ 634 Nr. 2, 637 BGB), unabhängig davon, welche Anspruchsgrundlage er wählt (BGH RdNr. 48f.). Für den Anspruch auf Aufwendungsersatz ergibt sich diese Rechtsfolge aus dem Gesetzeswortlaut. Nach BGH besteht der Anspruch aber auch, wenn B Schadensersatz verlangt und den Mangel beseitigen will. Dem steht § 281 Abs. 4 BGB nicht entgegen, weil diese Vorschrift nur die Primärleistung (Mängelbeseitigung) ausschließt. Aus § 637 Abs. 1 HS. 2 kann nicht hergeleitet werden, dass ein noch bestehender Anspruch auf Nacherfüllung Voraussetzung eines Vorschussanspruches sei. Denn durch die Wahl des Schadensersatzes statt der Leistung soll der Besteller nicht schlechter gestellt werden als bei der Nacherfüllung. Dem entspricht es, dass der W die (Vorfinanzierungs-) Kosten der Mangelbeseitigung trägt (BGH, RdNr. 49f.).

7. B kann gegen W alternativ auch einen Anspruch auf Ersatz der fiktiven Mängelbeseitigungskosten in Höhe von €1.000 aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1,3, 281 Abs. 1 BGB geltend machen.

Nein!

Mit dem vorliegenden Urteil ändert der BGH die bisherige Rechtsprechung, nach der diese Art der Schadensberechnung möglich gewesen war.Dafür sprechen folgende Argumente: (1) Beim Besteller realisiert sich kein Vermögensnachteil in Höhe fiktiver Mängelbeseitigungskosten. (2) Eine Schadensberechnung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten bildet das Leistungsdefizit nicht zutreffend ab, sondern führt zu einer Übervorteilung des Bestellers. Dies liegt daran, dass die Kosten der fiktiven Mängelbeseitigung von vielen Faktoren abhängen und auch die Kosten des Werkes weit übersteigen können (BGH RdNr. 32f.). Sofern eine Schadensbeseitigung nicht erfolgt, kann nur der mangelbedingte Minderwert liquidiert werden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MO

Mona

14.8.2020, 20:43:59

Ich verstehe bei der ich glaube vorletzten Antwort nicht ganz inwiefern B den „Schaden“ selbst verursacht hat. Ist das einfach ungünstig formuliert oder habe ich etwas übersehen?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

14.8.2020, 22:01:50

Hallo Mona, danke für die gute Frage! Das hängt mit den unterschiedlichen

Schadensposten

zusammen. Da der BGH in dieser Entscheidung für das Werkvertragsrecht den Ersatz fiktiver Mängelbeseitigungskosten als Schaden abgelehnt hat, könnte B ohne Beseitigung des Mangels nur den Minderwert (500€) als Schadensersatz verlangen. Entscheidet sich B aber den Mangel für 1000€ zu beseitigen, so entspricht sein Schaden nicht mehr dem Minderwert, sondern den Mängelbeseitigungskosten. Daher hat B durch die Mangelbeseitigung die letzte Ursache zur Entstehung des Schadens von 1000€ gesetzt. Dennoch besteht ein Schadensersatzanspruch.

MO

Mona

15.8.2020, 21:30:09

Danke für deine schnelle und sehr verständliche Antwort und generell für eure Mühe und diese App!:) Ich bin mir sicher, ich bin bei weitem nicht die einzige, die das sehr zu schätzen weiß!

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

16.8.2020, 00:58:11

Vielen Dank, liebe Mona für das sehr nette Lob, das freut uns wirklich sehr und ist natürlich auch Ansporn für uns! Sehr interessant noch zu diesem Fall des VII. Zivilsenats des BGH im Werkvertragsrecht: Der V. Senat, zuständig für Kaufverträge, hat eine Anfrage (Beschl. v. 13.03.2020, Az. V ZR 33/19) an den VII. Senat gestellt, ob er an der Aufgabe der Rechtsprechung zum fiktiven Schadensersatz festhält. Das hätte dann nämlich auch Auswirkungen auf das Kaufrecht. Wahrscheinlich landet die Frage demnächst beim Großen Senat für Zivilsachen des BGH.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

16.8.2020, 00:58:46

Die Frage ist durchaus examensrelevant, durchaus auch für die mündliche Prüfung.

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

7.2.2021, 09:07:20

Examensrelevant trifft zu, in Bayern war der Fall 2020 im zweiten Examen dran ✌️

Tigerwitsch

Tigerwitsch

12.3.2021, 17:09:48

Interessant: Der V. Zivilsenat hat nunmehr bestätigt, dass im Kaufrecht (!) der Ersatz fiktiver Schäden weiterhin gilt. https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021054.html Wenn die Entscheidung veröffentlicht ist, wäre es klasse, wenn Ihr das in der Rubrik „aktuelle Rechtsprechung“ besprecht 😊

LO

Lorenz

30.9.2024, 10:48:29

Ist in BW 2022 im 2. Examen gelaufen. Aber offenbar noch nicht beim Großen Senat gewesen

🦊²

🦊²

21.12.2022, 09:01:42

Hi, also folgt dann konkret der Zahlungsanspruch aus § 251 Abs. 1 BGB, weil die Naturalrestituion Unmöglich geworden ist infolge des Schadensersatz statt der Leistung verlangen gem. § 281 IV BGB, oder? Liebe Grüße

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.12.2022, 10:49:01

Hallo Fuchs², in der Tat ist bei der Schadensberechnung letztlich auf § 251 Abs. 1 BGB zurückzugreifen. Die Herstellung ist auch dann unmöglich, wenn rechtliche Gründe die Naturalrestitution ausschließen, hier also wegen § 281 Abs. 4 BGB (Oetker, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2022, BGB § 251 Rn. 6). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

iudexaquo

iudexaquo

21.10.2023, 16:37:41

könntet ihr die Erklärung zur letzten Frage noch vervollständigen? :)

MAG

Magie99Capona

22.6.2024, 18:38:23

für was genau verlange ich denn Vorschuss wenn ich SE statt der Leistung verlange? hab das bei der frage Nicht ganz verstanden

PAT

Patrick4219

26.7.2024, 19:36:53

Vorschuss für die Reparaturkosten. Wenn du deine Mauer für 1000.-€ repatieren lässt, dann steht dir auch beim SE statt der Leistung ein Anspruch auf Zahlung der Reparaturkosten (als

Schadensposten

) zu. Für diesen kannst du dann einen Vorschuss verlangen.

DIAA

Diaa

7.9.2024, 14:45:29

@[Patrick4219](231635) dein Beispiel erläutert doch die Situation eines Vorschusses für Aufwendungen..

Tobias Krapp

Tobias Krapp

22.10.2024, 18:15:46

Hallo @[Magie99Capona](247187) @[Patrick4219](231635) @[Diaa](211889), das war hier in der Aufgabe bisher etwas unpräzise formuliert. Natürlich kann kein "Vorschuss" für den Schadensersatz verlangt werden. Dem BGH ging es darum, dass auch der Besteller, der bereits Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes verlangt hat (mit der Wirkung des § 281 IV BGB), weiterhin das Recht hat, Vorschuss zu fordern, wenn er den Mangel beseitigen will. Dass der

Nacherfüllungsanspruch

gem. § 281 IV BGB nun ausgeschlossen ist, ist insoweit egal. Auch hier ergibt sich der Vorschussanspruch dann aber aus §§ 634 Nr. 2, 637 I, III BGB, und der Vorschuss ist dann ganz normal der Vorschuss für die Mängelbeseitigungskosten. Ich habe das sprachlich in der Aufgabe präzisiert. Vielen Dank euch für euren Hinweis auf diese kleine Unstimmigkeit! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

NAN

Nani123

21.10.2024, 16:27:23

ich verstehe einen Teil der Antwort in der letzten Frage nicht: Zunächst heißt es, dass der Vorschuss beim AS auf

Aufwendungsersatz

sich aus dem Wortlaut ergibt = § 637 III Vorschuss geht auch beim Schadensersatz und § 281 IV steht dem nicht entgegen, weil sie sich nicht auf den

Aufwendungsersatz

bezieht. Bis hierhin alles klar und verständlich. Aber dann: „Aus § 637 I HS. 2 kann nicht hergeleitet werden, dass ein noch bestehender AS auf NE VSS eines Vorschussanspruches sei.“ Warum sollte das denn überhaupt erst hergeleitet werden? Und was genau bedeutet das jetzt? Stehe da total auf dem Schlauch..

Tobias Krapp

Tobias Krapp

22.10.2024, 18:04:59

Hallo @[Jana](82314), der BGH hat sich an dieser Stelle kurz mit einer Mindermeinung auseinandergesetzt, die das fordert. Hintergrund: Sobald der Besteller Schadensersatz fordert, ist der Anspruch auf Nacherfüllung gem. § 281 IV BGB ausgeschlossen. § 637 I Hs. 2 wiederum spricht davon, dass der Vorschuss nur verlangt werden kann "wenn nicht der Unternehmer die Nacherfüllung zu Recht verweigert". Man könnte dann ja sagen: Wenn es einen Ausschluss des Vorschusses gibt, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung zu Recht verweigert, wie soll das funktionieren, wenn die Nacherfüllung ausgeschlossen ist? Der Unternehmer ist ja dann von seiner Pflicht zur Nacherfüllung frei, die Frage der berechtigten Verweigerung stellt sich gar nicht mehr. Daraus ließe sich im Umkehrschluss folgern: Die Frage der berechtigten Verweigerung stellt sich nur, wenn noch ein

Nacherfüllungsanspruch

besteht. Und da die (fehlende) berechtigte Verweigerung Anspruchsvoraussetzung für 637 ist, ist das Voraussetzung für den Anspruch. Das ist die Argumentation, und diese hat der BGH wie in der Aufgabe gezeigt mit dem Argument, dass der Besteller durch die Wahl des Schadensersatzes statt der Leistung nicht schlechter gestellt werden soll, verworfen. Ich hoffe, das hat weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

NAN

Nani123

22.10.2024, 20:53:19

@[Tobias Krapp](259492) vielen Dank für Deine verständliche Antwort! :)

AN

Antonia

27.10.2024, 00:03:37

Wird die

Differenzhypothese

also nicht im Rahmen der Naturalrestitution angewandt? Nur im Rahmen der §251, 252?


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