Gebrauch bei Verwendung einer Fotokopie 2

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

Referendarin T hat die zweite Prüfung mit 4 Punkten abgelegt. Da sie als erfolgreiche Anwältin durchstarten will, befestigt sie lose ein Stück Papier mit der Punktzahl 14 auf dem Zeugnis und kopiert diese Collage. Die aus dem Kopierer ausgeworfene Kopie schickt sie an eine namhafte Großkanzlei.

Diesen Fall lösen 61,2 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Gebrauch bei Verwendung einer Fotokopie 2

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem T die Collage herstellt und diese kopiert, hat sie weder eine unechte Urkunde hergestellt, noch eine echte Urkunde verfälscht (§ 267 Abs. 1 Var. 1, 2 StGB).

Ja, in der Tat!

Eine Urkunde ist unecht, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht (hM., Geistigkeitstheorie). Grundsätzlich stellen Fotokopien keine Urkunden dar. Unter Verfälschung ist jede nachträgliche Veränderung des gedanklichen Inhalts einer echten Urkunde zu verstehen. T hat keine unechte Urkunde hergestellt, da die Fotokopie nach außen hin als Reproduktion erscheint und damit nicht ausnahmsweise Urkundenqualität hat. An dem Zeugnis selbst bzw. dessen Beweisinhalt wurden keinerlei Veränderungen vorgenommen, sodass auch keine echte Urkunde verfälscht worden ist. Auch die Collage hat keine Urkundenqualität, da diese mühelos als Montage zu erkennen ist.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Indem T die Kopie der Collage zu Bewerbungszwecken an eine Großkanzlei schickt, hat sie nach der Rechtsprechung eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht. (§ 267 Abs. 1 Var. 3 StGB).

Nein!

Eine unechte oder verfälschte Urkunde wird gebraucht, wenn sie demjenigen, der durch sie getäuscht werden soll, so zugänglich gemacht wird, dass dieser die Möglichkeit hat, die Urkunde wahrzunehmen.Der Rechtsprechung zufolge kann von einer unechten oder verfälschten Urkunde auch dann Gebrauch gemacht werden, wenn nicht sie selbst, sondern eine Fotokopie oder sonstige Abbildung von ihr verwendet wird. Durch die Verwendung einer Fotokopie wird die sinnliche Wahrnehmung der abgebildeten Urkunde selbst ermöglicht.Für die mittelbare Wahrnehmung ist aber stets erforderlich, dass der Fotokopievorlage der Kopie Urkundenqualität zukommt.Mangels Urkundenqualität der Fotokopievorlage fehlt es hier allerdings schon an einer echten oder verfälschten Urkunde, die man (mittelbar) gebrauchen kann.

3. T hat sich somit nicht wegen Urkundenfälschung strafbar gemacht § 267 Abs. 1 StGB.

Genau, so ist das!

T hat keine taugliche Tathandlung des § 267 Abs. 1 StGB verwirklicht.In diesem Fallbeispiel ist der größte Kritikpunkt der Literatur an der Rechtsprechung zu erkennen: Unterschiedliche Herstellungsverfahren der Fotokopie führen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wenn der “rechtlich gut beratene” Fälscher ein strafloses Herstellungsverfahren nutzt, dann werden laut Literatur gleichgelagerte Fälle willkürlich ungleich behandelt.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BES

besinha

29.12.2023, 17:21:22

Wenn nicht nur ein loses Stück Papier auf dem Zeugnis befestigt worden wäre, sondern vielmehr die Punktzahl 4 durchgestrichen (und mit einer 14 ergänzt) oder mit einem festen Kleber oder ähnlichem die neue Punktzahl hinzugefügt wäre, würde dann eine echte Urkunde verfälscht worden sein?

Cosmonaut

Cosmonaut

18.2.2024, 21:31:11

Hi @[besnadzcn](229203) Unter Rückgriff auf den MüKo ergibt sich mE in deinen Abwandlungen das Folgende: - Abw. 1) 267 (-), mangels Anschein, der neue Erklärungsgehalt (14P) habe von Anfang an in dieser Form vorgelegen (nachträgliche Korrektur hier ja offensichtlich). - Abw. 2) 267 wohl (-), aus denselben Gründen, außer er klebt vielleicht täuschend echt eine „1“ in selber Schrift und Schriftgröße und Leerzeichenabstand vor die „4“, wie sie das Original ausweist. zu Var. 2: „Abs. 1 Alt. 2 setzt zunächst voraus, dass sich der Täter einer echten Urkunde als Ausgangsmaterial bedient (→ Rn. 181) und an dieser unbefugterweise eine nachträgliche Änderung ihres gedanklichen Inhalts vornimmt, wobei er den Anschein erweckt, der neue Erklärungsgehalt habe von Anfang an in dieser Form vorgelegen (→ Rn. 182–188). Auf die Wahrheit oder Unwahrheit kommt es dabei wiederum nicht an, so dass auch derjenige tatbestandsmäßig handelt, der eine inhaltlich unrichtige verkörperte Gedankenerklärung eigenmächtig „berichtigt““ (MüKoStGB/Erb, 4. Aufl. 2022, StGB § 267 Rn. 180) Gruß C

AN

Anne

26.7.2024, 09:45:42

Inwiefern besteht hier ein Unterschied zu dem Fall, in welchem der Parkausweis zunächst durch Aufkleben verändert wurde und die Fotokopie des veränderten Parkausweises dann verschickt wurde?

L.G

L.Goldstyn

2.8.2024, 18:08:41

Hallo Anne, bist Du sicher, dass in dem von Dir genannten Fall der Parkausweis verschickt wurde? Ich finde über die Suchfunktion („Parkausweis“) nur folgenden Fall: „Ts Bewohnerparkausweis ist zeitlich abgelaufen. Um

Geld

zu sparen, befestigt er lose Papierschnipsel auf dem Ausweis und verlängert das Ablaufdatum. Diese Collage kopiert T mit einem Farbkopierer, sodass ein täuschend echt aussehender Parkausweis vom Kopierer ausgeworfen wird.“

AN

Anne

5.8.2024, 13:04:48

Hallo, danke für deinen Kommentar. Habe den Sachverhalt jetzt nochmal gründlich gelesen und festgestellt, dass der Parkausweis nicht verschickt wurde. Wobei das auch nicht der entscheidende Unterschied in den beiden Fällen ist. Bei dem Parkausweisfall wird eine täuschend echte Kopie erstellt, während bei dem Fall mit der Referendarin und der Collage die Kopie klar ersichtlich ist und keine Urkundeneigenschaft hat. Durch deine Anregung konnte ich es jetzt gründlich lesen und habs verstanden :)

L.G

L.Goldstyn

8.8.2024, 11:17:11

Super, freut mich, dass ich (wenn auch nicht direkt) weiterhelfen konnte!

Tobias Krapp

Tobias Krapp

20.8.2024, 16:47:24

Hallo Anne, freut mich, dass L.Goldstyn und du selbst die Frage schon für dich aufklären konnten! Für alle Mitleser nocheinmal: Fotokopien fehlt grundsätzlich die Urkundseigenschaft: Erstens lassen sie ihren Aussteller nicht erkennen, weil eine Identifikation des Kopierenden, auf den es bei einer erkennbaren Kopie ankommt, nicht möglich ist; damit fehlt es an der Garantiefunktion. Zweitens verkörpern sie keine eigene Gedankenerklärung, sondern bringen allenfalls zum Ausdruck, sie seien das Abbild eines anderen Originals; damit fehlt es an der

Perpetuierungsfunktion

. Drittens erkennt der Rechtsverkehr Fotokopien in den meisten Fällen nicht als dem Original gleichwertig an; damit fehlt es an der Beweisfunktion. Eine Ausnahme greift aber dann, wenn die Kopie ernsthaft den Anschein eines Originals erweckt, also täuschend echt aussieht. Denn in diesem Fall liegen die Voraussetzungen des Urkundenbegriffs vor: Als Anschein eines Originals lassen sie den Aussteller erkennen und verkörpern die dem Original eigene Gedankenerklärung selbst; der Rechtsverkehr erkennt die Kopie außerdem als beweisgeeignet an, da er von der Eigenschaft als Original ausgeht. Daher greift in diesem Fall § 267 I StGB. Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias


© Jurafuchs 2024