Eröffnungsbeschluss - Nachholung in der Hauptverhandlung

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird vor der großen Strafkammer angeklagt. Sie ist mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt (§ 76 Abs. 2 GVG). Zu Beginn der mündlichen Hauptverhandlung ergeht ein Eröffnungsbeschluss in dieser Besetzung. As Verteidiger rügt den Beschluss als fehlerhaft, verhandelt aber zur Sache. Gegen die Verurteilung legt er Revision ein.

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Einordnung des Falls

Eröffnungsbeschluss - Nachholung in der Hauptverhandlung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach der h.M. hat As Revision schon deshalb Erfolg, da der Eröffnungsbeschluss erst in der Hauptverhandlung gefasst wurde.

Nein!

Der Eröffnungsbeschluss kann nach h.M. bis zum Urteil nachgeholt werden. Denn der Verfahrensstoff wird schon in der Anklage umgrenzt. Auch ist der Angeklagte schon ab Zustellung der Anklageschrift über die Vorwürfe informiert und kann die Aussetzung des Verfahrens verlangen (vgl. § 217 Abs. 2 StPO). Dem Zweck, dem Angeklagten die Belastung eines Prozesses zu ersparen, wird durch die Ablehnung (§ 204 StPO) mehr Rechnung getragen, als durch die Einstellung. Denn diese müsste in einer neuen Verhandlung ausgesprochen werden. Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache (§ 243 Abs. 1 StPO) und endet, auch bei Unterbrechung (§ 229 Abs. 1 StPO), erst mit dem Urteil (§ 260 Abs. 1 StPO).
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2. Nach einer teilweise vertretenen Ansicht ist die Nachholung des Eröffnungsbeschlusses in der Hauptverhandlung generell unzulässig.

Genau, so ist das!

Ein Teil der Literatur fürchtet, dass die Bedeutung des Eröffnungsbeschlusses als grundlegendes Kontrollinstrument ausgehöhlt würde. Außerdem sei es widersprüchlich, die Nachholung in erster Instanz zu erlauben, in der Revisionsinstanz bei Fehlen des Eröffnungsbeschlusses aber immer einzustellen, statt die Sache zurückzuverweisen. Nach allen Ansichten ist eine Nachholung spätestens nach dem erstinstanzlichen Urteil, insbesondere also in der Berufungs-/Revisionsinstanz, nicht mehr möglich. Da es sich für Klausursteller anbietet, an die Problematik der Nachholung des Eröffnungsbeschlusses weitere Probleme anzuhängen, bietet es sich in der Klausur regelmäßig an, der h.M. zu folgen. Gleich mehr dazu.

3. Die notwendige Ladungsfrist ist vorliegend nicht eingehalten (§§ 215 Abs. 1 S. 1, 217 Abs. 1 StPO). Kann A hierauf ihre Revision stützen?

Nein, das trifft nicht zu!

Zwischen der Ladung und der Hauptverhandlung muss eine Frist von mindestens einer Woche liegen (§ 217 Abs. 1 StPO). Dies ist bei der Nachholung in der Verhandlung natürlich nie der Fall. Den Interessen der Angeklagten wird bei einer Nachholung des Eröffnungsbeschlusses deshalb dadurch Rechnung getragen, dass sie die Aussetzung der Hauptverhandlung verlangen kann (§ 217 Abs. 2 StPO). Sie ist darüber zu belehren. Die Nichteinhaltung der Frist selbst kann nur mit einem Antrag nach § 217 Abs. 2 StPO beanstandet werden, nicht aber mit der Revision. Lehnt das Gericht einen solchen Antrag ab, kann dies im Wege der Verfahrensrüge gerügt werden (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO).Da A keinen Aussetzungsantrag stellte, sondern weiterverhandelte, hat sie konkludent auf die Einhaltung der Frist verzichtet (§ 217 Abs. 3 StPO).

4. As Revision hat aber Erfolg, da der Eröffnungsbeschluss in falscher Besetzung gefasst wurde.

Ja!

Wird der Eröffnungsbeschluss nachgeholt, muss er trotzdem in der richtigen Besetzung gefasst werden. Die Eröffnungsentscheidung trifft beim Landgericht die Strafkammer in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung, also mit drei Berufsrichtern ohne Schöffen (§ 199 Abs. 1 StPO i.V.m. § 76 Abs. 1 GVG). Für den nachgeholten Eröffnungsbeschluss gilt nichts anderes. Sonst würde das Recht auf den gesetzlichen Richter umgangen (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Das Gericht durfte weder in reduzierter Besetzung mit nur zwei Berufsrichtern noch unter Mitwirkung der Schöffen entscheiden. Der Eröffnungsbeschluss ist fehlerhaft und damit unwirksam. Der Gesetzgeber ließ mit Einführung des § 76 Abs. 2 GVG die reduzierte Besetzung ausdrücklich nur für die Hauptverhandlung zu. Die Regelungen zur Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung blieben unberührt.

5. Da ein Verfahrenshindernis vorliegt, verweist das Revisionsgericht das Verfahren zurück.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der wirksame Eröffnungsbeschluss ist Verfahrensvoraussetzung. Fehlt er, ist dies in der Revisionsinstanz nicht mehr behebbar. Das Revisionsgericht hebt deshalb das Urteil des Landgerichts auf und stellt das Verfahren ein (§ 354 Abs. 1 StPO).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AN

Anonym

3.7.2024, 08:39:18

Ich verstehe nicht ganz, warum die Ladungsfrist hier „natürlich“ nie eingehalten werden kann, wenn der Eröffnungsbeschluss erst in der HV beschlossen wird. Sind Ladung und Eröffnungsbeschluss dieselbe Sache? Wie kann dann ohne Ladung überhaupt ein Termin stattfinden, zu dem der Angeklagte erscheint? Vielleicht könnte das in der Aufgabe noch klargestellt werden.

EN

Entenpulli

29.7.2024, 09:05:58

§ 215 S. 1 StPO: "Der Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist dem Angeklagten spätestens mit der Ladung zuzustellen." Ich vermute daher, dass diese Frsit und nicht die in § 217 StPO gemeint ist.


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