+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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A wird wegen einem öffentlichen Beitrag über Politiker P in einem sozialen Netzwerk wegen Beleidigung (§ 185 StGB) verurteilt. Dieser war drei Wochen lang online. P sah den Beitrag am Tag des Uploads, stellte aber erst drei Monate und eine Woche nach dem Upload Strafantrag.

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Einordnung des Falls

Beginn der Antragsfrist

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Fehlt bei einer Verurteilung wegen Beleidigung ein wirksamer Strafantrag, hebt das Revisionsgericht das Urteil auf und stellt das Verfahren ein (§ 194 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Ein notwendiger und nicht ersetzbarer Strafantrag ist Verfahrensvoraussetzung. Der BGH und die Praxis unterscheiden absolute und relative Antragsdelikte. Absolute Antragsdelikte sind solche, bei denen stets ein Strafantrag erforderlich ist. Ob ein wirksamer Strafantrag vorliegt, ist im Freibeweisverfahren zu ermitteln. Zweifel am Vorliegen des Strafantrags gehen zugunsten des Angeklagten. Die einfache Beleidigung (§ 185 StGB) wird nur auf Antrag verfolgt (§ 194 Abs. 1 S. 1 StGB). Der Antrag kann also nicht durch die Bejahung des öffentlichen Interesses ersetzt werden. Fehlt der wirksame Strafantrag und ist er auch nicht mehr nachholbar, ist das Urteil aufzuheben und das Verfahren einzustellen (§ 354 Abs. 1 StPO).
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2. P war berechtigt, einen Strafantrag zu stellen (§ 77 Abs. 1 StGB).

Ja!

Antragsberechtigt ist grundsätzlich der Verletzte (§ 77 Abs. 1 StGB). Verletzter ist der Träger des durch die Tat unmittelbar verletzten Rechtsguts. Wer darunter fällt, ist durch eine Auslegung des jeweiligen Straftatbestandes zu ermitteln. Verletzter im Rahmen der Beleidigung (§ 185 StGB) ist derjenige, dessen persönlicher Geltungswert herabgesetzt wird. P wird durch die Beleidigung herabgesetzt und ist damit strafantragsberechtigt.

3. Der Strafantrag ist nur wirksam, wenn er innerhalb der Antragsfrist gestellt wird (§ 77b Abs. 1 StGB)

Genau, so ist das!

Der Strafantrag ist nur wirksam, wenn der Berechtigte den Antrag bis zum Ablauf einer Frist von drei Monaten stellt (§ 77b StGB). Die Frist beginnt mit Ablauf des Tages, an dem der Berechtigte von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt (§ 77b Abs. 2 StGB). Kenntnis liegt vor, wenn der Geschädigte die Tatumstände derart kennt, dass er in der Lage ist, vom Standpunkt eines besonnenen Menschen aus aus beurteilen, ob er Strafantrag stellen soll.

4. Der Zeitpunkt der Vollendung und der Beendigung der Tat fallen hier auseinander, da das Bild wochenlang durch Nutzer wahrgenommen wurde.

Ja, in der Tat!

Bei der Beleidigung können die Vollendung und die Beendigung auseinanderfallen. Eine Tat ist vollendet, wenn alle Merkmale des Tatbestands vollständig verwirklicht sind. Beendet ist die Tat, wenn der Täter sein „rechtsverneinendes Tun“ abschließt, das Tatunrecht also in vollem Umfang verwirklicht wurde. Vollendet war die Tat spätestens, als P den Beitrag sah. Indem A den Beitrag wochenlang öffentlich zugänglich hielt und damit weitere Kenntnisnahme durch die Nutzer der Plattform ermöglichte, schaffte er einen ehrverletzenden Dauerzustand und erhielt diesen vorsätzlich aufrecht. Erst als er offline geht, ist die Tat beendet. Für den Verletzten macht es einen großen Unterschied, ob eine Ehrverletzung einmalig erfolgt und kaum wahrgenommen wird oder ob die ehrverletzende Äußerung längere Zeit online gehalten und weiter verbreitet wird.

5. Nach der h.M. ist immer nur Kenntnisnahme von der vollendeten Tat erforderlich (§ 77b Abs. 2 StGB), um die Frist für den Strafantrag in Gang zu setzten.

Nein!

Die Kenntnisnahme der Tat umfasst bei Erfolgsdelikten den Erfolg in seinem konkreten Umfang. Zuvor kann der Verletzte nicht endgültig entscheiden, ob er Strafantrag stellt. Fallen Vollendung und Beendigung auseinander, kann nach h.M. deshalb auch auf den Zeitpunkt der Beendigung abzustellen sein, wenn der Schaden durch mehrere Ereignisse entsteht oder sich nach und nach weiter vergrößert. Das Bild war wochenlang online. Die Ehrverletzung intensivierte sich fortlaufend durch die weitere Bereitstellung und Kenntnisnahme. Die Frist begann also hier frühestens mit der Beendigung der Tat.

6. Eine Mindermeinung will die Frist schon beginnen lassen, wenn der Berechtigte von der vollendeten Tat Kenntnis nimmt.

Genau, so ist das!

Während die h.M. darauf abstellt, dass der Berechtigte vor Beendigung der Tat häufig nicht abschätzen kann, ob er Strafantrag stellen will, argumentiert die Mindermeinung, der Zeitpunkt der Beendigung sei kaum trennscharf zu ermitteln. Das Strafantragsrecht sei dagegen sehr formal ausgestaltet und brauche klare Maßstäbe. Anders als beim Verjährungsbeginn (§ 78a StGB) sei die Beendigung auch nicht ausdrücklich als Startpunkt der Antragsfrist normiert. Hiernach wäre der Fristbeginn schon am Tag des Uploads zu verorten, als P das Bild wahrnahm.

7. Das Revisionsgericht hebt nach der h.M. das Urteil auf und stellt das Verfahren wegen des nicht rechtzeitig gestellten Strafantrages ein (§ 354 Abs. 1 StPO).

Nein, das trifft nicht zu!

Die Antragsfrist beginnt nach hM frühestens mit Beendigung der Tat.Hier wurde die Tat erst drei Wochen nach dem Upload beendet. Die Frist von drei Monaten (§ 77b Abs. 2 S. 1 StGB) hielt P ein, indem er drei Monate und eine Woche nach dem Upload Strafantrag stellte. Die Revision kann also nicht auf einen unwirksamen Strafantrag gestützt werden und hat keinen Erfolg.Nach der Mindermeinung wäre die Frist dagegen schon eine Woche vor Antragsstellung abgelaufen.
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