Referendariat

Die StA-Klausur im Assessorexamen

Das materielle Gutachten

Einführungsfall - Eröffnung des vorgeworfenen Sachverhalts + Belehrung über Schweigerecht

Einführungsfall - Eröffnung des vorgeworfenen Sachverhalts + Belehrung über Schweigerecht

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Polizeibeamtin P ist auf Streifendienst. Sie erwischt B dabei, wie B Parfum aus dem Drogeriemarkt entwendet. P schildert B in groben Zügen, dass ihr die Begehung eines Diebstahls vorgeworfen wird und beginnt noch vor dem Drogeriemarkt damit, B Fragen zum Geschehen zu stellen.

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Einordnung des Falls

Einführungsfall - Eröffnung des vorgeworfenen Sachverhalts + Belehrung über Schweigerecht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Beschuldigte muss vor ihrer polizeilichen Vernehmung belehrt werden, welche Tat ihr zur Last gelegt wird (§ 163a Abs. 4 StPO).

Ja, in der Tat!

Gemäß § 136 StPO ist die Beschuldigte vor jeder richterlichen Vernehmung über den Gegenstand des Verfahrens sowie ihre Aussagefreiheit zu belehren. Nach § 163a Abs. 4 S.1 StPO sind auch die Staatsanwaltschaft und die Polizei verpflichtet, die Beschuldigte zu Beginn jeder Vernehmung über die vorgeworfene Tat zu belehren. B wäre somit zu belehren, wenn sie (1) Beschuldigte ist und es sich (2) um eine Vernehmung handelt.Beachte den unterschiedlichen Wortlaut des § 136 Abs. 1 S. 1 StPO und § 163a Abs. 4 S. 1 StPO: Während bei der richterlichen Vernehmung die konkreten Strafrechtvorschriften zu nennen sind, genügt bei der polizeilichen Vernehmung die Information über wesentlichen Elemente des ihm angelasteten Geschehens bzw. Grundzüge der Beweislage.Dies dient letztlich dem Schutz des Beschuldigten vor (fahrlässig) irreführenden, rechtliche Falschmitteilungen durch juristisch nur bedingt geschulte Polizeibeamte.
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2. Ist B Beschuldigte?

Ja!

Beschuldigte ist die Tatverdächtige, gegen die ein Ermittlungsverfahren geführt oder eingeleitet wird. Die Beschuldigteneigenschaft setzt subjektiv den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde voraus, der sich objektiv in einem Willensakt manifestieren muss. Sollte noch kein förmliches Ermittlungsverfahren gegen einen Verdächtigen eingeleitet worden sein, ist maßgeblich, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, v.a. in der Wahrnehmung der Betroffenen, darstellt. Jedenfalls muss aber ein Anfangsverdacht gegen die Person bestehen. B wurde noch auf frischer Tat ertappt. Somit gibt es zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt. Es besteht damit ein Anfangsverdacht. Zudem hat P subjektiv einen Verfolgungswillen. Indem sie mit der Vernehmung beginnt, manifestiert sich dieser Wille.

3. Eine Belehrungspflicht der B besteht jedoch nur, wenn es sich auch um eine Vernehmung handelt (§§ 163a Abs.4, 136 Abs.1 StPO). Fehlt es an einer Vernehmung, weil P die Fragen zum Geschehen nicht erst auf der Polizeiwache stellt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Vernehmung liegt vor, wenn der Vernehmende der Beschuldigten in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr Auskunft verlangt. P ist auf Streife unterwegs, sodass davon auszugehen ist, dass sie uniformiert ist und damit der B in amtlicher Funktion gegenübergetreten ist. Gerade in dieser Eigenschaft verlangt P von B Auskunft über das Geschehen. Es liegt eine Vernehmung vor. Unerheblich ist insoweit, ob das Auskunftsverlangen noch am Tatort oder erst auf der Polizeiwache erfolgt.

4. Es besteht somit eine Belehrungspflicht gem. §§ 163a Abs.4, 136 Abs.1 StPO. Ist P dieser Pflicht vollständig nachgekommen?

Nein, das trifft nicht zu!

Aufgrund des Verweises in § 163a Abs. 4 S. 2 StPO finden die Belehrungspflichten zur richterlichen Vernehmung weitgehend auch auf die polizeiliche Vernehmung Anwendung. Eine ordnungsgemäße polizeiliche Belehrung muss insbesondere folgende Bestandteile enthalten: die Eröffnung des Tatvorwurfs, § 163a Abs.4 S. 1 StPO, die Belehrung über die Aussagefreiheit, §§ 163a Abs. 4 S. 2, 136 Abs.1 S.2 StPO, die Belehrung über das Recht zur Verteidigerkonsultation, §§ 163a Abs. 4 S. 2, 136 Abs.1 S.2 StPO. P hat B zwar in groben Zügen über den ihr vorgeworfenen Sachverhalt in Kenntnis gesetzt (§ 163a Abs.1 S.1 StPO). Jedoch hat sie B nicht darauf hingewiesen, dass es ihr freisteht, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. (§ 136 Abs.1 S.2 StPO) Die Belehrung war daher nicht ordnungsgemäß.Weitere wichtige Belehrungs-/Hinweispflichten sind in § 136 Abs.1 S.3-6 StPO aufgezählt.

5. Da keine ordnungsgemäße Belehrung der B vor der Vernehmung erfolgt ist, können die Aussagen der B vor dem Supermarkt im späteren Prozess nicht verwertet werden (Beweisverwertungsverbot).

Ja!

Zur Annahme eines Beweisverwertungsverbotes wegen eines Verstoßes gegen die §§ 136, 163a StPO ist immer die Abwägung zwischen dem Interesse der Beschuldigten am Schutz ihrer verfahrensrechtlichen Stellung und dem Interesse der Allgemeinheit an der Aufklärung der Straftaten und Funktionieren der Strafrechtspflege erforderlich. Nach der Rspr. stellt die fehlende Belehrung über das Schweigerecht (§ 136 Abs.1 S.2 StPO) einen schwerwiegenden Verfahrensverstoß dar, der grundsätzlich zu einem Beweisverwertungsverbot führt. Nur ausnahmsweise soll ein Verstoß gegen diese Belehrungspflicht folgenlos sein, wenn feststeht, dass die Beschuldigte ihr Schweigerecht auch ohne Belehrung gekannt hat. Hier überwiegt das Interesse der B am Schutz ihrer verfahrensrechtlichen Stellung gegenüber dem Verfolgungsinteresse.
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